Brigitte Annerl: "Reich wirst in Hartberg nicht"
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Brigitte Annerl: "Reich wirst in Hartberg nicht"

Vor neun Jahren spielte der TSV Hartberg noch Regionalliga, heute ist der Klub ein "g'standener" Bundesligist - mit eigenem Stadion. Präsidentin Brigitte Annerl blickt im 90minuten-Interview auf den Weg zur Heimstätte zurück und in die Zukunft.

Eigentlich sollte es nicht wundern, dass der TSV Hartberg funktioniert. 2006 gründete die aus einfachen Wiener Verhältnissen stammende Brigitte Annerl Lenus Pharma. Das Unternehmen stellt Profertil her. Zehn Jahre nach der Gründung vermeldet das Unternehmen, dass man Weltmarktführer bei der Behandlung männlicher Unfruchtbarkeit ist.

Dazwischen wird die Zentrale umgebaut, der Baumeister ist aus Hartberg und redet viel über den TSV. Annerl wird Sponsorin, 2017 wird die Gesundheitsmanagerin Präsidentin. Der Durchmarsch in die Bundesliga gelingt, seit dem Aufstieg sind die Oststeirer mehr als nur mit dabei. Der kleine Klub spielt in der Meistergruppe bei den großen mit, verpasste im Frühjahr gegen den WAC den ersten großen Titel.

Als Damoklesschwert schwebte immer die mangelhafte Infrastruktur über dem Klub. Bereits vor sechs Jahren wollte der Verein ein neues Stadion, geworden ist es ein Umbau. Im 90minuten-Interview reflektiert Brigitte Annerl diese Zeit, erklärt, was den Klub ausmacht und wagt einen mutigen Ausblick in eine Zukunft, wo Pflichtsiege "drohen" könnten.


90minuten: Wie geht es Ihnen jetzt, wo das Stadion Realität geworden ist? Wie gestaltete sich der Weg aus Ihrer Sicht, Frau Annerl?

Brigitte Annerl: Es ist ein extrem wichtiger Schritt, und der Weg war weit. Wir haben vor sechs Jahren zu verhandeln begonnen, dann kamen Corona und ein politischer Wechsel in der Landesregierung. Danach mussten wir quasi von vorne beginnen, jetzt ist die erste Phase des Umbaus abgeschlossen. Die Zulassung ist erteilt und wir können am Samstag unser erstes Heimspiel spielen.

Gott sei Dank konnten wir die Menschen langfristig überzeugen, den Wert von Fußball in unserer Region zu erkennen. Das Ziel "Stadion" vor Augen zu haben, war überlebenswichtig, denn wir waren nach dem Ende des SV Mattersburg die Letzten, die Stahlrohrtribünen hatten - mit diesen hätten wir Lizenzprobleme bekommen. Der Stadion-Um- oder -Ausbau war also ein Muss. Zum Glück hatten wir in der Umsetzung gute Partner an der Seite, und der Kampf hat sich ausgezahlt. Der Probebetrieb letzten Freitag hat bewiesen: Alles funktioniert. Wir freuen uns jetzt sehr auf das Spiel – es ist ja drumherum auch viel gemacht worden.

Dass es nichts wird, haben wir nie gedacht, aber wir mussten den Projektplan das eine oder andere Mal nachjustieren. Die Alternative Neubau stand früh im Raum, das war finanziell aber nicht darstellbar.

Brigitte Annerl

90minuten: Haben Sie sich zwischendurch einmal gedacht, dass es nichts mehr wird?

Annerl: Dass es nichts wird, haben wir nie gedacht, aber wir mussten den Projektplan das eine oder andere Mal nachjustieren. Die Alternative Neubau stand früh im Raum, das war finanziell aber nicht darstellbar.

90minuten: Elf Millionen Euro Kosten, neun Millionen kamen vom Land, also hat man zwei Millionen selbst aufgestellt. Wie jeden Häuslbauer frage ich: Ist es sich ausgegangen?

Annerl: Ehrlicherweise sind die Kosten noch nicht final abgerechnet. Unser Generalunternehmer, die Firma Grabner, kennt unser Budget. Was ich sagen kann, ist, dass wir im Rahmen geblieben sind.

90minuten: Der TSV Hartberg bewegt sich hinter den großen Namen, manche Konkurrenten wie Altach oder Blau-Weiß haben moderne Stadien, andere, wie die WSG oder der WAC, haben noch keine modernen Arenen. Hat man aus Ihrer Sicht nachgezogen oder sich einen Vorsprung verschafft?

Annerl: Aus unserer Sicht sind wir mit der jetzigen Stadionlösung perfekt aufgestellt und vor allem gut positioniert. Unterschiede haben wir in den Kapazitäten, der WAC hat 8.000, die WSG 16.000; auch wenn der Tivoli nicht deren Heimstätte ist. Unser Stadion fasst 5.500, es ist modern und kompakt, passt nach Hartberg und zum TSV. Infrastruktur schießt keine Tore, aber unsere neue Heimstätte ist ein Gamechanger und unsere Zukunftsperspektive.

Unser modernisiertes Stadion ist die Grundlage für wirtschaftliche Stabilität und schafft Raum für Weiterentwicklung. Wir rechnen definitiv mit mehr Zuschauern und einer besseren Atmosphäre. Wir hoffen auch auf viele Familien im Stadion. Zudem können wir Events veranstalten und den Sponsoren die Möglichkeiten bieten, sich noch besser zu präsentieren. Aus meiner Sicht wird uns all das stärken und nachhaltig wachsen lassen. Die Modernisierung des Stadions ist nicht nur für den TSV, sondern für die gesamte Region eine Bereicherung, das war uns immer wichtig.

Annerl hofft, dass der Zuschauerschnitt ähnlich wie an anderen Standorten um 20 bis 25 Prozent steigt
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Annerl hofft, dass der Zuschauerschnitt ähnlich wie an anderen Standorten um 20 bis 25 Prozent steigt

90minuten: Was erwarten Sie hinsichtlich Erlösmöglichkeiten?

Annerl: Es ist schwer, Zahlen zu nennen, aber wir hoffen, dass der Zuschauerschnitt um 20 bis 25 Prozent steigen wird; das sind Erfahrungswerte von anderen, modernen Stadien. Der Versorgungsbereich unter der Südtribüne ist neu und auf alle Bedürfnisse abgestimmt, so etwas hatten wir bislang nicht. Alleine dadurch gibt es mehr Einnahmen. Die Budgets steigen Jahr für Jahr und wir haben schon bewiesen, dass wir nachhaltig wachsen können. 

90minuten: Wobei wir alle wissen, dass Umsatz blöderweise nicht notwendigerweise mehr Geld zum Ausgeben bedeutet.

Annerl: Wir werden auch einen höheren Deckungsbeitrag lukrieren, denn wir brauchen zum Beispiel nicht zwingend viel mehr Personal, da wir bei uns in Hartberg dankenswerterweise immer auf ehrenamtliche Mitarbeiter zählen können.

90minuten: Bevor wir zur laufenden Saison kommen: Ist man mit dem Stadion, Akademie und Umfeld nun so aufgestellt, dass ein Abstieg nicht gleich das Ende des Profifußballs bedeuten würde?

Annerl: Diese Gedanken hatten wir nicht. Seit wir in der Bundesliga sind, wurde der Klassenerhalt erst zweimal ganz in letzter Sekunde entschieden. Und ich erinnere daran, dass wir vor neun Jahren noch in der dritten Liga waren. Dass wir so lange in der höchsten Spielklasse sind, hat uns niemand zugetraut. Es ist alles gesund gewachsen, von Budget über Struktur, sportlichem Erfolg bis hin zur Infrastruktur. Wir haben uns nicht übernommen und werden uns auch nicht übernehmen.

Über den Sport sprechen wir sicher noch, aber ich möchte schon klarstellen, dass wir diese Entwicklung schaffen, obwohl wir Jahr für Jahr große Kaderumbrüche haben. Wir denken also nicht über den Abstieg nach. Klarerweise kann niemand wissen, was in drei Jahren ist. Was ich sagen kann, ist, dass wir wissen, wo wir herkommen und nicht bei jedem Sturm zusammenklappen. Wir sind wetterfest und wenn der Wind bläst, bleiben wir stabil stehen – oder stehen wieder auf.

Ja, reich wirst in Hartberg nicht. Wir entwickeln Spieler und setzen auf Leute, die zu uns passen. Das macht uns aus.

Brigitte Annerl

90minuten: Was den TSV Hartberg ausmacht, ist der lange Atem. Viele andere Vereine hätten in manchen schwächeren Phasen öfter den Trainer gewechselt. Warum?

Annerl: Wir werden nicht bei jedem Gegenwind nervös, unsere Kultur ist Ruhe statt Panik. Wir stehen hinter dem Trainer, auch wenn es ergebnistechnisch manchmal eng ist. In der ersten Bundesligasaison haben wir zwischenzeitlich 13 Spiele in Folge nicht gewonnen und an Markus Schopp festgehalten (15.-27. Spieltag, Anm.). Zusätzlich haben wir keine unmittelbaren Erfolgszwänge. Unsere Erwartungshaltung ist realistisch und ja, wir wollen in der Meistergruppe spielen – aber wir verfallen nicht in eine Depression, wenn das nicht passiert.

Wir bewerten Trainer nicht nach Einzelergebnissen, sondern danach, ob sie zu unserer Philosophie passen, junge Spieler weiterentwickeln können und das Budget respektieren. Ich weiß, dass jeder Trainer gerne mehr Spieler hätte, das geht aber budgetär nicht. Dafür redet niemand drein, jeder hat seinen Job und macht ihn.

90minuten: Wie weit mischen Sie sich ein – bei Trainern und sogenannten Königstransfers?

Annerl: Der Trainer-Vorschlag kommt von Erich Korherr. Wenn er eine Tendenz hat, besprechen wir uns und entscheiden gemeinsam. Bei Spielern bin ich nicht involviert, außer es ist so, wie Sie andeuten; also wenn es zusätzliche Budgets braucht.

90minuten: Und wenn man mit Altach, Blau-Weiß und Co. in derselben Budgetrange ist, wechseln die Spieler halt manchmal wegen ein paar Euro mehr im Monat dort oder hierhin.

Annerl: Ja, reich wirst in Hartberg nicht. Jeder Verein hat seinen eigenen Weg – und wir gehen unseren sehr bewusst, mit viel Identifikation mit der Region und nah an den Menschen. Wir entwickeln Spieler und setzen auf Leute, die zu uns passen. Das macht uns aus. Für junge Spieler ist Hartberg ein Sprungbrett mit klarer Identität. Spieler können sich bei uns in die "Auslage" spielen, bekommen Spielminuten und so viel Einsatzzeit, dass auch unser Nationalteamtrainer aufmerksam wird.  Immerhin hatten wir mit Maximilian Entrup schon einen Spieler im Nationalteam und unser Elias Havel ist am besten Weg dorthin. Das macht den TSV für junge Spieler attraktiv.

Das Letzte, was so mancher Bundesliga-Trainer vor seinem Rauswurf sah: Jubelnde Hartberger
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Das Letzte, was so mancher Bundesliga-Trainer vor seinem Rauswurf sah: Jubelnde Hartberger

90minuten: Viel Spielzeit, junge Spieler – das ist das Unterscheidungsmerkmal?

Annerl: Exakt. Ich erlebe das auch bei Abgängen. Bei uns spielen sie quasi immer durch, gehen dann zu einem größeren Verein – was ich verstehe – aber in vielen Fällen stehen sie dort nicht automatisch in der Startelf, weil die Kader größer sind. Das diskutiere ich immer mit unseren Spielern, wenn sie wechseln wollen: Ich verstehe die Ziele, die Weiterentwicklung, aber es kann sein, dass sie sich nicht mehr so in die Auslage spielen können. Wenn sie das wollen, soll es so sein. Sie müssen sich das nur genau überlegen.

90minuten: Und der TSV nimmt sie ja immer wieder "retour".

Annerl: Donis (Avdijaj, Anm.) war dreimal bei uns. Raphael Sallinger ist zu Hibernians nach Schottland gegangen, er wollte unbedingt dorthin, obwohl wir ihn natürlich nicht hergeben wollten. Er wird immer die Chance haben, zurückzukommen, wenn diese Position bei uns frei ist. Warum auch nicht? Auch Trainer kommen zurück!

90minuten: Ist mit dem Stadion nun mehr möglich als hinter den Großen, weit weg vom Abstieg, sprich: Platz sechs bis acht?

Annerl: Der Modus ist mit der Tabellenteilung unfassbar spannend. Jedes Jahr spielen sich vermeintlich kleinere Vereine in die Top sechs. Genau das ist spannend. Wir wollen nicht einfach irgendwo mitspielen, wir wollen ein Verein sein, der die fixen Plätze herausfordert – nicht zufällig, sondern verlässlich. Wir wollen die Big Five fordern, Spiel für Spiel, Jahr für Jahr. Wir treten mutig auf und zeigen, dass ein kleiner Verein wie der TSV Großes leisten kann. Ja, wir wollen jedes Jahr um Platz sechs, und damit um die Meistergruppe, mitspielen oder jedenfalls um die Top acht.

Wenn uns vor fünf oder sechs Jahren jemand gesagt hätte, dass wir das erreichen, hätte es niemand geglaubt. Zwingend titelverdächtig waren wir wahrscheinlich für niemanden.

Annerl über das Cup-Finale

90minuten: Hartberg war schon im Cup-Finale.

Annerl: Wenn uns vor fünf oder sechs Jahren jemand gesagt hätte, dass wir das erreichen, hätte es niemand geglaubt. Zwingend titelverdächtig waren wir wahrscheinlich für niemanden.

90minuten: Weiter oben druckst man herum, wenn es um Zielformulierungen geht, Sie scheuen sich nicht. Warum?

Annerl: Ohne Ziele kann man nicht wachsen. Wir wollen nachhaltige sportliche Entwicklung und nur der Klassenerhalt als Ziel reicht uns nicht. Wie schon gesagt, wollen wir jedes Jahr in der Meistergruppe spielen oder zumindest in den Top acht sein, statt nur ums Überleben zu kämpfen. Europacup ist unser Bonusziel – nicht als Anspruch, aber als Option.

90minuten: Dann nimmt man an der sich-nach-oben-drehenden Spirale teil. Ein Spieler, der Conference League spielt, ist teurer als einer, der Bundesliga spielt. Welche Ziele haben Sie neben sportlichen Höchstleitungen?

Annerl: Talenteförderung, Fanentwicklung und stabiles wirtschaftliches Wachstum sind sicher die Hauptsäulen.

90minuten: Wenn man die Ziele klarer formuliert, ist es leichter, den Fokus zu behalten?

Annerl: Ja, aber nicht nur. Was schon immer unser Vorteil war, ist nicht zu müssen. Pflichtsiege, Pflichttitel – das haben wir nicht. Das befreit und beflügelt uns. Zusätzlich leben wir das Familiäre und Regionale. Nach jedem Spiel sitzen wir mit den Trainern, Spielern und deren Familien zusammen. Da kämpft einer für den anderen.

Unser Kapitän Jürgen Heil, der sich mit der Stadt und Region identifiziert, reißt alle mit und ist ein Vorbild für die Jungen. Zusammengefasst: Wir sind ein moderner, ruhiger, entwicklungsorientierter Klub, der vorwiegend österreichische Spieler entwickelt, klare Linien hat und nicht durch Hektik seine Identität verliert.

90minuten: Allerdings: Wenn der TSV regelmäßig oben mitspielt, wird es irgendwann Pflichtsiege geben.

Annerl: Siege in den letzten Minuten zu verspielen wie gegen den LASK oder Altach wollen wir nicht mehr. Hier sehen wir es als unsere Pflicht, den Vorsprung über die Zeit zu bringen, und das haben wir schon hervorragend umgesetzt. Ich denke aber nicht, dass wir jemals in die Schiene verfallen, alles unter Druck zu machen.

Egal, was wir noch erreichen werden – wir sind ein Verein zum Anfassen, bodenständig und herzlich – die ideale Mischung aus Menschlichkeit, Weiterbildung und Erfolg, wo jeder jeden kennt und alle zusammenhelfen, um das Beste für den Verein erreichen zu können. Das macht den TSV Hartberg so besonders. Wir setzen alles daran, dass dies so bestehen bleibt, egal welche Erfolge wir noch feiern werden!

90minuten: Wir danken für das Gespräch!


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