Vize-Weltmeister – und jetzt?
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Vize-Weltmeister – und jetzt?

Österreichs U17-Nationalteam hat das Land verzaubert und in Ekstase versetzt. Der Weg vom Talent zum Bundesliga- oder gar A-Nationalteam ist weit. 90minuten ergründet, wann und ob die Mosers, Pokornys und Ndukwes auf höchster Ebene ankommen.

Tagelang lag Österreich im Freudentaumel. Das Männer-Nationalteam qualifizierte sich das erste Mal seit 1998 für eine Weltmeisterschaft, der Nachwuchs musste sich erst im Finale der U17-Weltmeisterschaft den Alterskollegen aus Portugal geschlagen geben.

Gut so. Denn ein Blick auf den A-Nationalteam-Kader zeigt: Der jüngste Kicker mit Einsatzzeit in diesem Jahr war Nikolas Wurmbrand (19 Jahre, 19 Einsatzminuten). Dann folgt Leopold Querfeld (21, 78 Minuten). Die Stammspieler aber sind 24 Jahre alt und älter. So mancher aus der Generation 30+ wird im Sommer wohl die Nationalteamkarriere beenden.

Es braucht in Zukunft frisches Blut, und bei der U17-WM lief allerhand Talent über den Platz; direkt in die Herzen und Hirne Fußballösterreichs. Doch vom Talent zum Profi zu reifen, ist eine große Herausforderung – für die Kicker, ihre Vereine, ihr Umfeld.

90minuten hat Szenekenner befragt, wie und ob all diese Kicker auch irgendwann ganz oben ankommen.

Die kurze Antwort: Nein

Die einfache Antwort ist Nein. Wer will, kann nachdenken, ob der Name Daniel Pirker zu einem Klingeln im Kopf führt. Vermutlich nicht, nicht einmal bei Fußballinsidern. Dabei schoss er Österreichs U17 im Jahr 2003 zu EM-Bronze gegen England. Dass den Ex-GAK-Nachwuchsspieler niemand mehr kennt, ist dann eigentlich kein Wunder. 

Das Schlimmste in diesem Alter ist es, beispielsweise in der Bundesliga regelmäßig auf der Bank zu sitzen, anstatt in der zweiten Mannschaft von Beginn an zu spielen.

Manfred Pamminger

Schließlich beendete er seine aktive Karriere mit 23 Jahren, nicht einmal der eine oder andere Ex-Kollege weiß, was er heute so treibt. Auf der Gegenseite wäre ein Pendant Philip Ilfil. Der Engländer verabschiedete sich nach drei Premier-League-Einsätzen mit Colchester 2008 aus der zweiten englischen Liga.

Natürlich gibt es ganz andere Beispiele. Bei Österreich kickten im Finale ein Franz Schiemer, Marko Stankovic oder Andreas Schicker. Am prominentesten ist Christian Fuchs hin. Bei den Engländern sticht James Milner heraus. Er gewann die Premier League mit Liverpool und Manchester City, 2018/19 wurde er Champions-League-Gewinner mit den Reds. Er kickt noch immer auf höchster Ebene. 

Nachwuchs und Jugend ist eben nicht der Profibereich. Eine Auszeichnung ist der zweite Platz bei einer Weltmeisterschaft aber für jeden, selbst wenn man statt Profifußballer Jurist, Lehrer oder Einzelhandelskaufmann wird. 

Eine Einordnung

Zunächst gilt: "Der Erfolg war so nicht zu erwarten, auch wenn die Ergebnisse im Vorfeld, speziell auch in der Qualifikation, natürlich schon herausragend waren." Diesen Satz sagt Manfred Pamminger, für Liefering und die Akademie der roten Bullen zuständig. Der Ligakrösus stellte neun Spieler ab – und somit das Rückgrat des Teams.

Thomas Hösele, der die Sturm-Akademie leitet, zeigt sich von den umfassenden Fähigkeiten der Österreicher beeindruckt: "Der Erfolg ist aus meiner Sicht sehr hoch einzuschätzen, da er zeigt, dass die Ausbildung der heimischen Talente auf einem hohen Niveau erfolgt, nämlich in allen Bereichen: Technik, Taktik, Athletik und im mentalen Bereich."

Es sind einige vielversprechende Talente dabei - nicht alle werden es schaffen
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Es sind einige vielversprechende Talente dabei - nicht alle werden es schaffen

Ralph Muhr, seit Jahren im heimischen Fußball an der Schnittstelle vom Nachwuchs- in den Profibereich beschäftigt und heute Sportdirektor bei der Talenteschmiede Admira, verfällt gar in Jubelchöre: "Der Erfolg der U17-Nationalmannschaft ist auf alle Fälle eine Bestätigung für die tolle, vor allem akademische Entwicklungsarbeit, die in Österreich nunmehr schon seit mehreren Jahren geleistet wird." 

Spielerberater Georg Lederer von der Agentur More than Sport, der mit Florian Hofmann (FC Liefering) und Ifeanyi Ndukwe (Austria Wien) zwei Akteure vertritt, gefiel die kompakte Defensive und das schnelle Umschalten, ebenso die körperliche Leistungsfähigkeit. Er ergänzt jedoch, dass individuelle fußballerische Qualitäten international extrem gefragt sind.

Österreich macht das gut

So mitreißend vor allem das Achtelfinale gegen England war, davor wurden die Alterskollegen aus Mali, Saudi-Arabien, Neuseeland und Tunesien geschlagen. Alleine der Aufwand, den Österreich betreibt, muss dazu führen, dass diese vier Spiele erfolgreich bestritten werden. Ein Ausscheiden gegen Japan (und auch Italien) wäre in weiterer Folge nicht unverdient gewesen.

Das ändert aber nichts am Erfolg. Im Fußball geht es um das Ergebnis und was Hermann Stadler, der gesamte Staff und die Spieler am Platz geschafft haben, ist außergewöhnlich. Zwar wünscht sich Lederer mehr offensive Kreativität, aber: "Dass wir viele Zweitvertretungen haben, in denen die Spieler an den Erwachsenenfußball herangeführt werden und diese so weit oben spielen, macht uns zum Vorreiter. Italien etwa wird da erst nachziehen."

Mancherorts werden die Teenies schon in die erste Mannschaft gefordert, nun geht es zuerst einmal darum, die Spieler in den Alltag zurückzubringen. "Die Jungs müssen jetzt einmal mit dem Hype, der um sie entstanden ist, vernünftig umgehen", mahnt etwa Hösele ein.

Oft fehlt den Verantwortlichen Vertrauen, junge Talente frühzeitig ins kalte Wasser zu werfen. Möglicherweise würde es ein anderes Ligaformat für junge Talente einfacher machen.

Thomas Hösele

Konkret beschreibt Pamminger, was folgt: "Die Jungs hatten jetzt einmal ein paar Tage frei, um speziell den Kopf ein wenig freizubekommen. Dann folgt eine Erhebung des medizinischen Status Quo jedes Spieles und dann wird individuell für jeden ein Plan für die Zeit bis Weihnachten erstellt. Ab Jänner geht’s dann wieder mit Vollgas los, stehen Trainingslager oder Turniere an."

Harte Arbeit – für die Vereine

In weiterer Folge liegt es an den Vereinsverantwortlichen, so Hösele, "dass die Jungs zum richtigen Zeitpunkt die nächsten Schritte machen und die Möglichkeiten bekommen, sich im Profifußball nicht nur zu etablieren, sondern auch für eine der Topligen zu empfehlen". Oder, wie Muhr es formuliert: "Wir Vereine sind gefordert, den Spielern eine glaubwürdige Perspektive zu bieten."

Die Klubs müssen realistische Chancen auf Einsatzzeit gewährleisten, so Pamminger. Da gehe es um Kaderplanung generell, aber auch um "die Planung der Teamzugehörigkeit an jedem einzelnen Wochenende. Das Schlimmste in diesem Alter ist es, beispielsweise in der Bundesliga regelmäßig auf der Bank zu sitzen, anstatt in der zweiten Mannschaft von Beginn an zu spielen."

Lederer erzählt in dem Zusammenhang eine Geschichte von seinem Schützling Alexander Gorgon. Beim polnischen Klub Pogon Stettin spielte ein Teenager, aus Prinzip: "Gogo hat mir erzählt, dass der Verein den Spieler aus Prinzip einsetzt. Ein 17-, 18-Jähriger kann zwar nicht so gut sein wie der 25-Jährige, der auf die Bank muss - aber so werden Werte geschaffen, weil der Bursche Erfahrung sammelt." Es geht also auch ums Wollen.

Das ist aber keine einfache Sache, vor allem nicht im fordernden österreichischen Ligaformat, wie Hösele meint. Aber es fehlt "den Verantwortlichen oft Vertrauen, junge Talente frühzeitig ins kalte Wasser zu werfen. Möglicherweise würde es ein anderes Ligaformat für junge Talente einfacher machen, Gelegenheiten für Spielpraxis zu bekommen, sich zu adaptieren und sich im Profifußball durchzusetzen."

Lang ist's her, dass Christian Fuchs EM-Bronze in der U17 holte
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Lang ist's her, dass Christian Fuchs EM-Bronze in der U17 holte

Viele Faktoren entscheiden

Dass Trainer generell immer die besten Spieler aufstellen, ist auf höchster Ebene allerdings die Regel und durchaus verständlich. Letztlich dreht sich alles um die Frage, wo die Wahrscheinlichkeit auf Spielzeit hoch ist.

Lederer erinnert sich an einen ehemaligen Rapid-Innenverteidiger, der von der U16 bis zur U20 in allen Nationalteams war und eigentlich das gesamte Paket mitbrachte. Bei den Hütteldorfern bekam er keine Chance, weil dort mit anderen Spielern geplant wurde. Andernorts bekam er hingegen genügend Chancen, schaffte es aber nicht, sein Potenzial auch abzurufen und landete mit Mitte 20 in der Regionalliga wieder.

Es zählen schlichtweg viele Dinge, um zum Vollprofi zu werden. Was nie übersehen werden darf, ist der physische Aspekt. Die noch nicht fertig ausgereiften Körper können von zu früher und zu viel Intensität im Erwachsenenbereich nachhaltig körperlichen Schaden nehmen.

Und dann, so Muhr, wären da noch solche Dinge wie Anstrengungsbereitschaft, Kritikfähigkeit, Geduld, Verletzungsfreiheit bzw. der Umgang mit Rückschlägen, Glück, Durchsetzungsvermögen sowie soziale Umfeldverträglichkeit.

"Und eines muss man da ganz klar sagen", so wiederum Lederer, "alle Spieler in der jetzigen U17 haben irgendwo ein Thema, sei es fußballerische, in der körperlichen Entwicklung, mental und so weiter". Daran muss man persönlich arbeiten.

Du musst gemeinsam mit Verein, Spieler und Umfeld schauen, wo es Möglichkeiten gibt, sich durchzusetzen. Bleibt einer und wartet auf seine Chance? Muss er einmal etwas anderes sehen?

Georg Lederer

Den richtigen Schritt wählen

"Harte Arbeit" kommt da auf die Burschen zu, das formulieren eigentlich alle so. "Sie haben gesehen, dass sie in diesem Alterssegment international mehr als konkurrenzfähig sind. Jetzt folgt aber der schwierigste Schritt, der Übergang in den Erwachsenenbereich", so Pamminger. "Plötzlich muss man sich nicht mehr nur gegen die besten seines Jahrgangs durchsetzen, sondern gegen 10, 15 Jahrgänge."

Neben dem Verein spielen irgendwann Berater bzw. das familiäre Umfeld eine wichtige Rolle, wie Lederer meint.

"Du musst gemeinsam mit Verein, Spieler und Umfeld schauen, wo es Möglichkeiten gibt, sich durchzusetzen. Bleibt einer in Liefering und wartet auf seine Chance bei Red Bull Salzburg? Muss er einmal etwas anderes sehen, sagen wir bei der Vienna oder in Lustenau? Ist er schon reif für Ried oder Hartberg in der Bundesliga?"

Letztlich ist der Erfolg auch eine Befriedigung für all jene, die im Nachwuchsfußball tätig sind. Pamminger meint süffisant: "Es ist erst wenige Wochen her, da hätte man annehmen können, dass im österreichischen Nachwuchsfußball alles brach liegt. Nun sind einige Wochen vergangen und plötzlich ist das Stimmungsbild ein völlig anderes."

Bitte warten

Wobei das eine Binsenweisheit ist - schließlich kennt der heimische Fußball immer schon nur himmelhochjauchzend oder zutodebetrübt. Allerdings, so Pamminger, sei Österreich als kleines Land phasenweise davon abhängig, ob sich genug Qualität findet. In fünf- oder zehnmal größeren Ländern sind seiner Beobachtung nach diese Schwankungen geringer.

Egal, wie es weitergeht - diesen Erfolg kann ihnen niemand mehr nehmen
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Egal, wie es weitergeht - diesen Erfolg kann ihnen niemand mehr nehmen

Vielleicht ist das auch eine Erklärung, warum es im Nationalteam aktuell gefühlt eine Lücke zwischen Mitte 20 und dem U21-Bereich gibt. Wie so oft liegt die Wahrheit eben in der Mitte. Darüber hinaus gibt es noch eine lange Liste an Kickern, die 18, 19, 20 Jahre alt sind, die in der Hackordnung vor den jetzigen U17-Helden stehen. Ein Beispiel ist die Welt von Red Bull: Während Moser, Pokorny und Co. schon in die erste Mannschaft gewünscht werden, versuchen die Trummers, Schusters und Sulzbachers Fuß zu fassen. Und selbst das wird nicht jeder schaffen.

Die Antwort auf die Eingangs gestellte Frage ist demzufolge keine einfache, weil es schließlich zig Gründe haben kann, warum eine Karriere klappt oder nicht – und das hängt nicht nur mit den Gegebenheiten im heimischen Fußball zusammen. Aber: Ja, es braucht das klare Bekenntnis der Vereine, ihren Juwelen eine Chance zu geben. Der Zeitpunkt, wann dies geschieht, muss nicht immer der sein, den man sich von außen vorstellt.

Karrieren können eben geradlinig wie bei David Alaba oder etwas ungewöhnlich wie bei Marco Grüll und Marko Arnautović verlaufen. Die Vize-Weltmeister werden die Brücke überschreiten, wenn sie dort sind – und so brutal das jetzt klingt, da sind sich alle einige: Diesen Schritt müssen sie selber machen.


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