Übergriffe im Fußball: "Sport hat jahrelang weggeschaut und verharmlost"
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Übergriffe im Fußball: "Sport hat jahrelang weggeschaut und verharmlost"

Während Fußball-Österreich im Freudentaumel ist, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen mittlerweile Ex-Funktionär des SCR Altach. Es ist nicht das erste Mal, dass es in den letzten Jahren zu Übergriffen und Gewalt rund um Profiklubs kam.

Ein ehemaliger Funktionär des Bundesligisten SCR Altach wird verdächtigt, heimlich Filmaufnahmen von Spielerinnen in den Vereinsumkleideräumen angefertigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Der Klub selbst reagierte umgehend, als er von den Behörden informiert wurde, das Landeskriminalamt wandte sich in Folge an Betroffene und Angehörige.

Das ist zwar kein direkt körperlicher Übergriff, aber der Fall reiht sich in eine Liste von derartigen Vorfällen im Umfeld österreichischer Profifußballvereine ein.

2022 kam es zu Ermittlungen gegen und später zur Verurteilung wegen Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses eines Vienna-Frauen-Nachwuchstrainers.

Erst im Mai dieses Jahres wurde ein Fall rund um einen WAC-Mitarbeiter publik. Er soll mutmaßlich Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht und Darstellungen von Kindesmissbrauch erstellt haben.

Großes Problem, lange Geschichte

Es sind nicht die ersten und auch nicht die einzigen Fälle, in denen es im Umfeld des österreichischen Sports zu Vorfällen und -würfen aus dem Themenkontext sexualisierter Gewalt kam.

Über Skistar Toni Sailer schreibt etwa das renommierte Magazin Dossier: "Im März 1974 soll Toni Sailer in Zakopane eine 28-jährige Polin misshandelt haben. Ein Akt des Justizministeriums zeigt, wie die Regierung Kreisky interveniert hat, um die Sache aus der Welt zu schaffen." Die Diskussionen um diese dunkle Seite des Skistars halten an, auch weil kürzlich eine Dokumentation über ihn im Fernsehen lief. 

Leider gibt es immer wieder Personen, die sich grenzüberschreitend verhalten. Der österreichische Sport hat aber über viele Jahre eine Kultur gepflegt, in der weggeschaut oder verharmlost wurde.

Viola Kleiser

Ein weiteres Beispiel ist der zweifache Olympia-Goldmedaillen-Sieger und Judoka Peter Seisenbacher. Er wurde wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Es sind zwei der prominentesten Fälle, aber leider nicht die Einzigen – und der Sport bzw. Fußball sieht sich nicht als einzige Institution mit derartigen Vorkommnissen konfrontiert. Das wissen alle, die regelmäßig Nachrichten konsumieren. Eines ist aber klar: Der Sport und insbesondere König Fußball stehen nicht nur dieser Tage nach einer erfolgreichen WM-Qualifikation im Rampenlicht, sondern haben auch eine Vorbildfunktion.

Kultur des Hinschauens entwickeln

Das offizielle Österreich widmet sich dem Thema im Rahmen des Vereins 100% Sport. Gefördert unter anderem von Sportministerium und Bundessport GmbH versteht es sich als österreichisches Zentrum für Genderkompetenz und Safe Sport. 

Das Ziel: ein sicheres und inklusives Sportumfeld. Seit September 2022 sind die Safe Sport Services um die Vertrauensstelle vera* erweitert. Diese unterstützt Betroffene bei Belästigungs- und Gewalterfahrung, zeigt ihnen Handlungsmöglichkeiten auf und begleitet sie bei den nächsten Schritten.

"Langfristig arbeiten wir vor allem auf der Ebene der Prävention", sagt die Ex-Sportlerin und Fachbereichsleiterin bei vera*, Viola Kaiser, gegenüber 90minuten.

Erst kürzlich (und schon länger geplant) waren zwei Mitarbeiter:innen von 100% Sport bei der Konferenz der Geschäftsführer von ÖFB, Bundesliga und Landesverbänden, um dort zum Thema Gewalt im Sport zu sensibilisieren und gemeinsam Schritte für ein Schutzkonzept zu erarbeiten. Das soll sich "top-down" von den Verbandsspitzen bis in die Vereine durchziehen. Eine enge Zusammenarbeit besteht bereits seit Jahren.

Es gibt allerdings ein großes Aber: "Leider gibt es immer wieder Personen, die sich grenzüberschreitend verhalten. Der österreichische Sport hat aber über viele Jahre eine Kultur gepflegt, in der weggeschaut oder verharmlost wurde. Gewalt wurde nicht als solche erkannt, nicht benannt und am wenigsten wurde etwas dagegen getan."

Gemeinsam mit 100% Sport konnte eine detaillierte Vorgangsweise besprochen und festgelegt werden, die den Fußball in Zukunft sicherer machen soll.

ÖFB

ÖFB widmet sich dem Problem

Der Fußballbund hat dieses Thema mehr als nur auf dem Radar, wie man gegenüber 90minuten betont. In den letzten Monaten wurde die Situation im Fußball gründlich analysiert und eine Aufstellung der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken erstellt: "Gemeinsam mit 100% Sport konnte eine detaillierte Vorgangsweise besprochen und festgelegt werden, die den Fußball in Zukunft sicherer machen soll."

Kinderschutz ist ein fixer Bestandteil der Trainerausbildung, der Fokus soll dabei nicht nur auf das Thema Kinder- sondern auch Athlet:innen-Schutz gerichtet sein. Anhand dieser Gesamtanalyse werden nun zukünftige Verbesserungen vorgenommen und gezieltere Maßnahmen gesetzt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Aus- und Weiterbildung von Multiplikator:innen – vor allem Trainer, Schiedsrichter, Funktionäre und Nachwuchsleiter stehen im Fokus der Aktivitäten. 

So bietet man Workshops an oder engagiert sich im Rahmen der Initiative "Wir lieben Fairplay". Diese arbeitet an der Sensibilisierung von Verantwortlichen im Nachwuchsfußball. Weiters beteiligt man sich an der nationalen Kampagne #KeinsVonFünf, eine Kooperation mit 100% Sport, die auf die alarmierende Tatsache hinweist, dass rund jedes fünfte Kind Opfer von Gewalt wird – einschließlich sexualisierter Übergriffe.

Die UEFA bietet zudem allen Mitgliedsverbänden ein umfassendes Schulungskonzept zum Thema Kinderschutz sowie frei zugängliche Online-Kurse.

Ein enges Netz gewoben

Neben Informationen stehen den Betroffenen gezielte Ansprechpersonen und eine interne Meldestelle zur Verfügung, die Vorfälle entgegennimmt und gemeinsam mit Expert:innen sachgerecht behandelt. Zudem ist es für alle Personen, die in das Ausbildungssystem der ÖFB-Trainerakademie bzw. der Landesverbände eintreten, verpflichtend, einen Strafregisterauszug der Kinder- und Jugendfürsorge vorzulegen.

Allerdings: "Der Verband steht – wie viele andere Organisationen – vor der Herausforderung, dass aufgrund datenschutzrechtlicher Einschränkungen keine Informationen zu potenziellen Tätern von staatlichen Behörden oder anderen Sportverbänden weitergegeben werden." Das heißt: Ist ein:e Täter:in bei Verein A auffällig bzw. wird gegen ihn ermittelt, darf man Verein B nicht darauf aufmerksam machen.

Wichtig ist zu betonen: Während die bislang geschilderten Themen weitgehend eindeutig sind, gibt es unter Umständen Grauzonen, die Raum für Ausreden für Täter:innen lassen, aber keinesfalls in Ordnung sind. A la: Der Klapps auf den Hintern, das macht man im Fußball so! Oder: "Guad schaut's aus", war doch ganz anders gemeint. Um genau diese Grauzonen zu verunmöglichen, sind konkrete Schritte vor Ort notwendig.

Nach Bekanntwerden der Vorfälle haben wir kurzfristig einen Informationsabend zum Thema Kinderschutz organisiert. Der gesamte Trainerstab war mit dabei, es war wichtig zu zeigen, dass wir als Verein geschlossen dahinterstehen.

WAC

Wie sehen diese aus und welche haben die erwähnten Vereine nun kurz- und langfristig gesetzt, um den Fußball sicherer zu machen?

"Zero-Tolerance"

Bundesligaklub Altach erklärt auf Anfrage: "Wir sensibilisieren alle Bereiche des Vereins nochmals gezielt für diese Thematik und überprüfen unsere internen Abläufe sowie Richtlinien. Kurzfristig stellen wir sicher, dass alle Verantwortlichen klare Handlungsvorgaben und Zuständigkeiten kennen. Langfristig verankern wir das Thema Prävention fest in unserer Vereinsarbeit und stärken eine offene, respektvolle Vereinskultur." Hierfür ist eine jährliche Qualitätskontrolle und Evaluierung geplant. Weiters will man konkret im Frauenbereich verstärkt auf weibliche Funktionärinnen bauen. 

"Nach Bekanntwerden der Vorfälle haben wir gemeinsam mit der Stadtgemeinde Wolfsberg kurzfristig einen Informationsabend zum Thema Kinderschutz organisiert. Externe Fachleute haben dort verständlich erklärt, worauf es im Umgang mit Kindern und Jugendlichen ankommt, welche Warnsignale es geben kann und wie man richtig reagiert", lässt der WAC wissen. Der gesamte Trainerstab war mit dabei, es war wichtig zu zeigen, dass "wir als Verein geschlossen dahinterstehen".

Das bestehende Schutzkonzept wurde evaluiert und wird weiterentwickelt - unter Einbeziehung von Experten, Kindern und Eltern: "Unser Ziel ist es, dass sich Kinder und Jugendliche in unserem Verein sicher fühlen sollen. Dazu gehört, dass mögliche Grenzüberschreitungen frühzeitig erkannt und professionell bearbeitet werden können. Unsere Trainer werden im Bereich Kinderschutz geschult, klare Verhaltensrichtlinien werden definiert und für alle Beteiligten transparent kommuniziert."

Im Rahmen unserer kontinuierlichen Präventionsarbeit haben wir in den vergangenen Jahren eine Reihe von strukturellen Maßnahmen umgesetzt, um ein sicheres und respektvolles Umfeld zu gewährleisten.

First Vienna FC

Bei der Vienna sind die Vorfälle schon länger her. Mittlerweile gibt es eine kontinuierliche Präventionsarbeit, so wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe von strukturellen Maßnahmen umgesetzt, um ein sicheres und respektvolles Umfeld zu gewährleisten.

Dazu zählen insbesondere: die Einführung eines verbindlichen Verhaltenskodexes für alle; regelmäßige Schulungen und Workshops zu den Themen Gewaltprävention, Machtmissbrauch und sexualisierte Übergriffe; die Einrichtung einer unabhängigen Vertrauensstelle, an die sich Betroffene anonym und vertraulich wenden können; eine enge Zusammenarbeit mit externen Fach- und Beratungsstellen - sowie "die konsequente 'Zero-Toleranz-Politik' gegenüber jeder Form von Gewalt", wie man unmissverständlich mitteilt.

Gut unterstützt? Ja!

Sowohl die Döblinger als auch die Vorarlberger und Kärntner fühlen sich durch die zuständigen Behörden und Opferschutz-Einrichtungen, wie etwa Safe Sport, gut unterstützt. Der ÖFB hat eine eigene Abteilung "Fußball und Soziale Verantwortung" und setzt zudem auf die Hilfe von Expertenorganisationen, um Projekte aufzusetzen und die eigenen Konzepte stetig weiterzuentwickeln.

Wer nun das Gefühl hat, mehr Information zu benötigen, wird bei 100% Sport fündig. Man bietet Vereinen, Verbänden und Einzelpersonen kostenlose Erstberatungen zu (Kinder-)Schutzkonzepten an. Auf der Website steht zudem ein kostenloses E-Learning zur Verfügung, das beispielsweise in Trainer:innenausbildungen verpflichtend integriert werden kann. "Darüber hinaus können bei 100% Sport Workshops und Schulungen zu Gewaltprävention, Schutzkonzepten und Geschlechtergerechtigkeit gebucht werden", so Kleiser.

Auch wenn jeder Fall einer zu viel ist, haben Vereine und Verband schon einige Schritte gesetzt, um den Fußball sicherer zu machen. Dafür braucht es alle im Fußball bzw. Sport.

Denn, sagt Kleiser abschließend: "Wir brauchen eine Kultur des Hinschauens. Präventionsstrukturen, Schutzkonzepte und klare Handlungsleitfäden können es Täter:innen deutlich schwerer machen, überhaupt aktiv zu werden."


So erreichst du die Vertrauensstelle:
E-Mail:
safesport@100prozent-sport.at

Telefon:
Anruf: +43 1 39 39 100
Dienstag: 10:00 – 13:00 Uhr
Donnerstag: 10:00 – 13:00 Uhr

Weiter Infos:
www.safesport.at

In akuten Krisen wende dich rund um die Uhr bitte an eine der qualifizierten Anlaufstellen unter:
gewaltinfo.at


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