Sparta-Prag-Coach Steiner: "Spielphilosophie ist eine nette Sache, aber..."
Europacup-Finale statt Matura, Gastro statt Fußballerkarriere, jetzt Frauen-Cheftrainer statt – ja, was eigentlich? Denn einen Karriereplan hat Michael Steiner nicht. Aber er ist jedenfalls einer, der viel zu sagen hat.
Michael Steiner geht derzeit in Prag spazieren – wenn er nicht gerade das erste Team von Sparta Prag trainiert.
Ein Team mit Tradition auch in Frauenfußball-Zusammenhängen. Das Herrenteam fand sich 1893 zusammen, als Athletic Club Sparta Praha Fotbal. 1967 gründete sich das Frauen-Team.
Sie holten zwölf Titel in der damals tschechoslowakischen Frauenliga, seit sich die zwei Länder 1994 friedlich trennten, waren es noch einmal 21, zuletzt 2021. Die vergangenen vier Titel sicherte sich – wie sonst alle anderen – Slavia Prag.
Dass der heute 51 Jahre alte Steiner das tschechische Topteam betreut, hat sich lange nicht so ganz abgezeichnet, wie eigentlich sehr wenig in seinem Leben. Im 90minuten-Gespräch blickt er auf seine bisherige Karriere zurück.
Verbranntes Talent
In der gegenwärtigen Diskussion rund um heimische Talente, deren Entwicklung und das Standing des österreichischen Fußballs passt Steiners Geschichte als Spieler gut rein. Er landet nach der Zeit im Nachwuchs beim 1. Halleiner SK im Bundesnachwuchszentrum von Austria Salzburg.
Präsident Rudi Quehenberger und Trainer Otto Baric bringen das Team in das Finale des UEFA-Cups. Der Mittelfeldspieler spielt im Halbfinale gegen den Karlsruher SC mit Oliver Kahn und im Finale gegen Inter Mailand. Die Matura macht er nicht, man träumt damals von höheren Weihen.
"Das fußballerische Talent habe ich gehabt, aber die physische und die mentale Komponente haben mir gefehlt, um es wirklich zu schaffen", blickt er zurück.
Mit Rückschlägen tut sich der Teenager ohnehin schwer, fühlt sich alleine gelassen: "Talent ist eine gute Basis, aber es beginnt erst so richtig, wenn man mit 17, 18, 19 Jahren in den Erwachsenenfußball kommt."
Abschied vom Fußball
Eine Weile tut er sich den Kick noch an, beispielsweise bei der Vienna, dem FAC oder in Simmering. Mit 24 Jahren hängt er die Fußballschuhe an den Nagel.
Im Nachhinein ist man immer g'scheiter, aber die Schule zwei Monate vor der Matura wegen ein paar Einsätzen abzubrechen, "war auch nicht die schlaueste Entscheidung."
Ende der 1990er wird man in der zweiten und dritten Leistungsstufe genauso wenig reich wie heute. "Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und von Kindheitsbeinen an habe ich Existenzdruck gekannt", sagt er.
Ottmar Hitzfeld sagte einmal, dass die ersten Jahre für ihn am schwierigsten waren. Er wusste, dass er vielleicht den Job los ist und nie wieder einen findet. Mit dem Risiko struggeln viele Trainer
Die Gastronomie bietet sich als Arbeitsstelle an, mit dem Fußball hat er nichts mehr am Hut. Dabei lernt er jetzt Dinge kennen, die sich später auszahlen werden: Stressresistenz beispielsweise, auch den Wert einer guten Organisation – und Marc Janko.
Kicker? Wirklich!
Er freundete sich mit dem damals jungen Kicker an. Der weiß am Anfang gar nicht, dass Steiner dereinst im Europacup-Finale kickte: "In vielen Gesprächen hat er mich dann dazu angehalten, Trainer zu werden. Da bin ich ins Grübeln gekommen."
Jankos Arbeitgeber Red Bull ist 2009 noch recht neu im Fußballgeschäft. Steiner beginnt parallel zur Tätigkeit im Restaurant bei der U9. Nach wenigen Monaten geht er all-in, mit 35 Jahren. Wobei, all-in ist übertrieben: "Ich dachte mir: warum nicht? Und dann hab’ ich es einfach gemacht."
Er übernimmt mehrere Aufgaben, ist von 2009 im Nachwuchs- und als Individualtrainer tätig. Um auf Vollzeit zu kommen, ist er im Internat Betreuer.
Patrick Pentz, Nicolas Seiwald oder Konrad Laimer lernen von und mit ihm. Was ihn beeindruckt: "Schon damals hast du gesehen, was die für ein Talent haben – in der U9 oder U13! Ich war damals gespannt, was aus ihnen wird und jetzt wissen wir es."
Raus aus der Welt von Red Bull
Im Herbst 2012 betreut er den FC Pinzgau-Saalfelden. Er kann den abstiegsbedrohten Regionalligisten zwar nicht retten, steigt aber gleich wieder auf. Das beweist Geschick.
2014 will ihn Herbert Gager als Co-Trainer beim Zweitligisten SKN St. Pölten. Er setzt sich wieder mit Existenzdruck und der Frage auseinander, ob diese Schritte die richtigen sind.
"Ottmar Hitzfeld sagte einmal, dass die ersten Jahre für ihn am schwierigsten waren. Er wusste, dass er vielleicht den Job los ist und nie wieder einen findet. Mit dem Risiko struggeln viele Trainer", denkt er laut nach.
Darum gibt es seiner Ansicht nach gute Trainer in den höchsten Amateurligen, die sich dieses Risiko nicht antun wollen. Darüber hinaus stellt man sich das Trainergeschäft mit Profilen und Leistungsdaten anders vor, als es ist.
Steiners Wahrnehmung: "Die Realität ist, dass der Großteil der Trainerposten über persönliche Kontakte vergeben wird. Auch heute noch. Man kennt wen oder wird empfohlen. Natürlich gibt es auch Klubs und Verbände, die mit Ausschreibungen arbeiten, da bekommst du dann nette Absagen und am Ende wird es ein Bekannter aus dem Umfeld des Klubs. Ich habe jedenfalls noch keinen Job per Bewerbung bekommen."
Karriereplan? "Da muss ich schmunzeln"
Auf die Frage, ob er in Folge irgendwas plant, denkt er länger nach und meint: "Wenn Trainer sagen, dass sie Karrierepläne haben, muss ich schmunzeln."
Man fährt auf Sicht und weiß nicht, was passiert. Er selbst ist kurzfristig Cheftrainer, nachdem Gager geht. Dann wechselt er für zwei Jahre in den Nachwuchs des SK Rapid.
Die Frauen ziehen den mitgegebenen Plan durch. Ich hatte mit der U19 einmal ein Erlebnis, die Gegner haben mit hoher Abseitsfalle gespielt. Der gegnerische Trainer hat das nicht korrigiert und wir haben unzählige Chancen gehabt, schnell ist es 6:0 gestanden
Von 2017 bis 2021 ist er in der Akademie in St. Pölten und U19-Frauen-Teamchef. Bis zu seinem jetzigen Job wird er noch Ausbildungschef beim FC Basel, Head of Coaching beim TSV Hartberg und Lafnitz-Cheftrainer.
"Ich habe wirklich alles gemacht", lacht er, "vom Internatsbetreuer und U9-Teamchef bis zum Head of Coaching und Co-Founder einer Akademie. Durch diese Breite tue ich mir leichter. Es hat auch dazu geführt, dass mich der Ruttensteiner-Willi damals nach St. Pölten geholt hat."
Auf das gesamte Konzept mit den Akademien, das der Ex-Sportchef des ÖFB implementiert hat, kann man übrigens schon stolz sein, aber das ist wirklich eine andere Geschichte.
Frauen sind anders
Steiner ist 2017 das erste Mal Frauen-Fußballtrainer. Zu der Zeit wird das ÖFB-Nationalteam EM-Dritte, eine Sensation.
Seine Sicht: "Eine Kombi aus einer herausragenden Generation und einem herausragenden Trainer." Dabei sind Frauen ganz anders zu trainieren, wie er schnell feststellen muss. Das beginnt für ihn schon bei der Taktik.
"Im Frauen- und Mädchen-Bereich ist man bei Themen wie Taktik und Spielideen sehr gefordert, weil in dem Bereich die Spielerinnen sich stark an dem orientieren, was die Trainer vorgeben", meint er.
"Die Frauen ziehen den mitgegebenen Plan durch. Ich hatte mit der U19 einmal ein Erlebnis, die Gegner haben mit hoher Abseitsfalle gespielt. Wir haben den Spielerinnen beigebracht, wie man sie ausspielt. Der gegnerische Trainer hat das nicht korrigiert und wir haben unzählige Chancen gehabt, schnell ist es 6:0 gestanden."
Burschen bzw. Männer korrigieren sich eher selbst. Er lernt dabei viel über sich selbst. Läuft Plan A nicht, nehmen viele Burschen und Männer das Heft selbst in die Hand. Sein Blick auf In-Game-Coaching, Pläne und Lenken hat sich jedenfalls geändert.
Widersprüchliche Aussagen
Im Frauenfußball ist er auch mit anderen Themen konfrontiert. Es gibt Studien, dass es bei Frauen fünfmal mehr Kreuzbandrisse gibt. Da muss man viel in der Prävention bzw. Belastungssteuerung arbeiten.
Die Menstruation spielt ebenfalls eine Rolle, allerdings ist das "Zyklustraining schwieriger. Da gehen die Studienergebnisse auseinander. Wir arbeiten derzeit mit Rückmeldungen der Spielerinnen und geben ihnen Trainings- und Spielpausen. Die Gefahr für einen längeren Ausfall ist viel zu groß."
Dazu kommt noch Müdigkeit bzw. das relative Energiedefizit-Syndrom (RED-S). Vereinfacht: Der Körper braucht mehr Energie als zugeführt wird, was zu physischen Problemen wie Stagnation, Bänder- und Muskelverletzungen und Ermüdungsbrüchen führen kann.
Ein "Riesenthema – es braucht viel mehr Forschung."
Spielphilosophie ist eine nette Sache, aber was ist, wenn auf dem Papier steht: Wir spielen mit einem Mittelstürmer – ich aber zwei gute habe?
Auf zum Vergleich
Der Saisonstart ist jedenfalls gelungen, Sparta Prag steht mit 21 Punkten aus sieben Spielen makellos an der Tabellenspitze. Das Team besteht aus vielen Tschechinnen, zudem kicken hier viele US-Amerikanerinnen.
Während St. Pölten in der Champions League spielt, scheiterte man in der Quali. In der 2. Runde des neuen Europa Cups wurde Ferencvaros Budapest mit 5:0 ausgeschalten, im Achtelfinale warten die Young Boys Bern.
Auf Nationalteam-Ebene wird man sehen, wie gut Österreich und Tschechien sind. Da treffen die Teams im Kampf um die Liga A der Nations League aufeinander, das Hinspiel hat die ersatzgeschwächte ÖFB-Auswahl mit 0:1 verloren. Das Rückspiel steigt am Dienstag in Wien.
Er ist gespannt, wie das wird. Die Österreicherinnen haben die Trainerin aufgrund der Ergebnisse gehen gelassen, denkt er. Jetzt setzt man auf einen anderen Fußball. Dieser ist mit Alexander Schriebl Red Bull-beeinflusst.
Eine generelle Ausrichtung eines Verbandes auf einen Stil findet er aber nicht richtig: "Es gibt nur erfolgreichen oder nicht-erfolgreichen Fußball. Spielphilosophie ist eine nette Sache, aber was ist, wenn auf dem Papier steht: Wir spielen mit einem Mittelstürmer – ich aber zwei gute habe? Oder wenn ich Pressing spielen will, die Gegner mir aber den Ball geben?" Derzeit schätzt er den heimischen Kick jedenfalls höher ein.
All seine Erfahrung und die Überlegungen setzt er bei Sparta Prag um. Das ist, wie vieles bisher in seinem Leben, außerhalb der Komfortzone. Steiner ist Legastheniker und Sprachen lernen fällt ihm schwer. Derzeit läuft es. Wo es hingehen kann, kann man bei ihm ohnehin nicht prophezeien. Eines ist sicher: "Ich möchte nicht nur im Büro sitzen, das ist mir zu langweilig."
Georg Sohler