
Hickersberger und die "größte Enttäuschung" seiner Laufbahn
Schwerer als Pepi Hickersberger hatten es nicht viele ÖFB-Teamchefs. Der damals 42-Jährige zählt zu den Gesichtern des Scheiterns bei der WM 1990, konnte parallel aber einen Umbruch einleiten. Gedankt wurde ihm das damals nicht.
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Ob Josef 'Pepi' Hickersberger im Dezember 1987 am Ende dritte, vierte oder fünfte Wahl war, ist nicht genau überliefert. Ganz oben auf der Liste von ÖFB-Präsident Beppo Mauhart während seiner Suche nach einem neuen Teamchef stand er jedenfalls nicht, das wäre auch vermessen gewesen: Als Trainer war der 39-fache Nationalspieler damals ein unbeschriebenes Blatt.
Ein Jahr zuvor hatte er noch den WSV Traisen in der 2. Niederösterreichischen Landesliga als Spielercoach betreut, danach wurde er im Verband als U21-Cheftrainer und Assistent von Branko Elsner beim A-Team eingesetzt. Weil weder Ernst Happel noch Otto Barić oder Erich Ribbeck nach dessen Rücktritt Zeit hatten, die Nationalmannschaft zu übernehmen, kam 'Pepi' Hickersberger zum Zug.
Was soll ich dazu sagen? Dieses Vorurteil ist berechtigt.
Noch vor seiner offiziellen Bestellung musste er sich auf der ORF-Weihnachtsfeier rechtfertigen. Was sagt der Teamchef in spe jenen Kritikern, die ihm seinen Mangel an Erfahrung vorhalten? "Was soll ich dazu sagen? Dieses Vorurteil ist berechtigt, ich werde alles daran setzen, es in Zukunft zu widerlegen."
Hickersberger hatte es - wie viele seiner Amtsvorgänger und Nachfolger - nicht leicht.
Holprige Öffentlichkeitsarbeit
"Er war nicht wirklich beliebt, sie haben vom ersten Ländermatch weg über ihn geschimpft", erinnert sich Peter Rietzler, Alt-Chefredakteur von LAOLA1, zurück.
Gemeinsam mit Andi Ogris lässt er die Ereignisse rund um die WM 1990 noch einmal Revue passieren:
Das galt vor allem für Medien und die allgemeine Öffentlichkeit, weniger für einen Großteil der Mannschaft - dazu später mehr. In seinen öffentlichen Äußerungen merkte man dem damals 39-Jährigen seine Unerfahrenheit vielleicht am meisten an.
1 - Rücktrittsgedanken
Noch vor dem Auftaktspiel kündigte Hickersberger seinen Rücktritt nach der Qualifikation an, um Spekulationen ein Ende zu setzen: "Hauptgrund ist der, dass ich nicht nach jedem Spiel gefragt werden will, wann ich zurücktrete."
Der Schuss ging nach hinten los, die Schlagzeilen blieben gehässig und auch von Präsident Mauhart gab es eine öffentliche Schelte: "Den heutigen Zeitungen kann man entnehmen, dass er einem Irrtum unterlegen ist. Ich hatte ein längeres Gespräch mit ihm."
Es hat Stunden gegeben, in denen ich meinen Entschluss bereut habe.
Hickersberger musste kein Jahr nach seinem Amtsantritt erklären, nicht amtsmüde zu sein. Auch ein Jahr später gab er allerdings öffentlich zu verstehen: "Es hat Stunden gegeben, in denen ich meinen Entschluss [Anm.: Teamchef zu werden] bereut habe. Aber wenn man eine Aufgabe übernimmt, will man sie auch zu Ende führen. Egal wie groß die Enttäuschungen und Widerstände sind, die man überwinden muss."
Groß waren sie tatsächlich, nach dem ersten Qualifikationsspiel gegen die UdSSR - eine 0:2-Niederlage gegen den klaren Gruppenfavoriten - wurde das Auto des Teamchefs beschädigt, die Scheiben waren eingeschlagen, die Papiere weg.
2 - "Psychologische Meisterleistung"
Nach der bitteren 0:3-Niederlage gegen die Türkei gegen Ende der Qualifikation servierte Hickersberger den Medien Andi Herzog - damals 21 Jahre jung - nach einem unglücklichen Auftritt mit der Aussage: "In der Form von Mittwoch ist Herzog eine Belastung." Darauf angesprochen, meinte der Spieler: "Das kann man nicht ohne weiteres wegstecken. Für einen jungen Spieler ist das nicht ideal."
Dass Hickersberger ihn zum Sündenbock macht, ist sportlich nicht korrekt und wieder einmal eine psychologische Meisterleistung.
Und auch sein Trainer bei Rapid, Hans Krankl, hatte eine Meinung: "Dass der Hickersberger den Herzog Andi zum Sündenbock macht, ist sportlich nicht korrekt und wieder einmal eine psychologische Meisterleistung. Was ich bei einem Trainer am wenigsten mag ist, wenn er seine Spieler via Zeitung kritisiert."
3 - Kapitänsfrage
Auch Manfred Zsak musste einen Ausrutscher wegstecken: Statt die Entscheidung für einen Teamkapitän bei der WM-Endrunde zuerst mit den Spielern zu besprechen, rutschte Hickersberger auf einer Pressekonferenz der Name "Polster" heraus.
"Ich merke, wie weh ich damit dem neben mir sitzenden Zsak tue", erinnerte sich der Teamchef in Nachhinein an die Szene.
4 - Der Weber-Konflikt
Den größten Konflikt trug der Teamchef mit Heribert Weber aus: Dieser hatte sich nach einer Erkrankung fit gemeldet, sollte beim entscheidenden Qualifikationsspiel gegen die DDR aber trotzdem nur auf der Bank sitzen. Der 34-jährige Verteidiger war damit unzufrieden und wurde letztlich ganz nach Hause geschickt.
Damit war die Episode aber bei weitem nicht zu Ende: In einer ORF-Diskussion Anfang April 1990 schilderte Hickersberger seine Sicht der Dinge, Weber rief daraufhin in der Sendung an: "Ich nenne ihn eine menschliche Null, weil er mich zwei Jahre benützt hat und alle seiner Probleme mit mir besprochen hat. Dann hat er mich von heute auf morgen fallen gelassen." Noch bei den Vorbereitungsspielen vor der Weltmeisterschaft wurde vom Publikum eine Rückkehr Webers gefordert, zu der es aber nicht kam.
Toni Polster: "Schläge unter die Gürtellinie"
Deutlich besser war der Draht zum Rest der Mannschaft. Als bester Quali-Torschütze mit fünf Treffern hatte Toni Polster großen Anteil an der WM-Teilnahme Österreichs. Dass der beim entscheidenden Spiel gegen die DDR überhaupt noch mit von der Partie war, ist Hickersberger hoch anzurechnen. Polster wurde während der Qualifikation sowohl medial als auch in den Stadien zerrissen.
Ich war schon so weit - Koffer packen und heimfahren. Wegen Hickersberger bin ich geblieben.
Er traf lange nicht wie erwartet und sah sich bei Heimspielen mit Pfeifkonzerten konfrontiert, unter einem anderen Teamchef wäre er wohl weg gewesen. "Ich war schon so weit - Koffer packen und heimfahren. Die Pfiffe waren wie Schläge unter die Gürtellinie. Wegen Hickersberger bin ich geblieben, weil ich ihm einfach viel schuldig bin", erklärte der Stürmer damals.
Im Gespräch mit 90minuten hat Andi Herzog heute viel Gutes über Hickersberger zu sagen: "Er hatte ein richtig gutes Standing in der Mannschaft. Wir hatten den absoluten Glauben an ihn - er war als Spieler und Trainer erfolgreich. Auch Peter Schöttel schließt sich an: "Er war nicht nur ein sehr guter Trainer, sondern konnte auch sehr gut mit Menschen umgehen. Er war sehr geschickt und schlau in seinem Handeln."
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Verpatzte Weltmeisterschaft
Nach erfolgreichen Testspielen gegen die Niederlande, Argentinien und Spanien fuhr Österreich mit großen Erwartungen zur Endrunde in Italien. Von den letzten elf Spielen vor dem Turnier hatte man nur eines verloren.
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Vor dem ersten Spiel gegen den Gastgeber machte sich das Trainerteam vergeblich Gedanken über taktische Varianten, gegen den späteren WM-Dritten war das ÖFB-Team chancenlos. Auch das entscheidende Spiel gegen die Tschechoslowakei ging verloren, nur gegen die USA gelang ein Sieg.
In der Hoffnung als einer der besten Gruppendritten doch noch in die K.O.-Phase aufzusteigen, verfolgte Hickersberger neben seinem Attaché Herbert Prohaska noch das eine oder andere Spiel. Die beiden waren mit versteinerten Mienen in braune Ledersessel eingesunken, Österreich musste früh die Heimreise antreten.
Das war die größte Enttäuschung meiner Trainerlaufbahn.
In einem Buch erklärte der Teamchef das Turnier später zur "größten Enttäuschung" seiner Trainerlaufbahn und ergänzte "die anderen waren einfach besser und wir nicht gut genug".
Auch mit Selbstkritik sparte er damals nicht: Er habe bei den Testspielen zu viele Spieler ein- und ausgewechselt. Bei der WM waren nur zwei Wechsel pro Spiel erlaubt, den Ernstfall habe man also nicht wirklich geprobt.
Jugendförderer
Zum Verhängnis wurde Österreich auch die mangelnde Erfahrung im Kader, dem zweitjüngsten aller Endrundenteilnehmer. Im Spiel gegen Italien kamen sich nur vier Ü25-Spieler zum Einsatz: Manfred Zsak (26), Toni Polster (26), Manfred Linzmaier (27) und Klaus Lindenberger (33). Auf der anderen Seite stand nur ein Spieler unter 25 Jahren auf dem Platz, der 21-jährige Paolo Maldini.
Überhaupt bleibt von der ersten Ära Hickersberger seine Rolle als Jugendförderer in Erinnerung. Unter "seinen" Debütanten finden sich einige verdiente Nationalspieler, denen zu dieser Zeit der Weg ins Team geebnet wurde:
Torwart | Otto Konrad |
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Defensive | Michael Baur, Wolfgang Feiersinger, Peter Schöttel, Michael Streiter, Toni Pfeffer |
Mittelfeld | Kurt Russ, Alfred Hörtnagl, Peter Stöger |
Offensive | Heimo Pfeifenberger, Andi Herzog |

Unvergessenes Ende
Eigentlich hätte Hickersberger das ÖFB-Team nach der Weltmeisterschaft auch zur EM 1992 führen sollen. Es kam anders: Gleich im ersten Spiel der Qualifikation, gegen eine Amateurmannschaft von den Färöern, erlitt Österreich eine Auswärtsniederlage, die bis heute unvergessen ist.
Es sei die größte Enttäuschung seines Lebens gewesen, erklärte Hickersberger im Nachgang. Ein Reporter stellte die Frage: "Sollten Sie nicht vielleicht aus Stolz und Selbstachtung sagen: Ich trete zurück?" Der Teamchef antwortete nach kurzem Nachdenken: "Das würde ich gerne tun." Wenige Tage später tat er es dann auch wirklich, Mitte September 1990 war seine Amtszeit als Teamchef beendet.