
"Realität macht Führungsrollen im Fußball extrem anspruchsvoll"
In der vergangenen Saison kam es zu vielen Trainerwechseln und noch mehr Enttäuschungen. Im Fußball wirken – wie überall – gruppendynamische Prozesse, allerdings unter besonders erschwerten Bedingungen. Mentalcoach Mathias Berthold im Interview.
Fußball-Österreich erlebte in der Saison 2024/25 außergewöhnliche Leistungen. Etwa vom SK Sturm Graz, der den Meistertitel wiederholte. Oder Cupsieger WAC und den Kontrahenten aus Hartberg, die Meistergruppen-Teilnahme von Blau-Weiß Linz.
Umgekehrt erlitten der ohnehin schon entthronte Serienmeister aus Salzburg, Rekordmeister Rapid, der LASK oder Austria Klagenfurt Schiffbruch.
Was war da los? Das kann man oft nur vermuten, die Kabine gilt als mystischer, für Außenstehende unzugänglicher Ort. Außer, es wird gejubelt. Dennoch: Teams funktionieren stets nach ähnlichen Mustern, weswegen 90minuten der Frage nachging, was schiefgehen kann und warum.
"Ich möchte meine Aussagen nicht direkt auf die Bundesliga bezogen wissen", stellt Ex-Skirennläufer und Mentalcoach Mathias Berthold gleich zu Beginn klar. "Es geht mir um den Teamsport im Allgemeinen. Außerdem möchte ich betonen, dass meine Antworten lediglich meine persönliche Meinung widerspiegeln."
Der 1965 geborene Vorarlberger hat umfassende Erfahrung im Leistungssport. Er war selbst Alpin-Skifahrer, später Trainer in Österreich und Deutschland. Im Fußball war der Mentalcoach bislang für den 1. FC Nürnberg und den SK Sturm Graz als Team- und Persönlichkeitsentwickler tätig. Neben dieser Tätigkeit ist er auch zertifizierter Coach für sportpsychologisches Training.
Gegenüber 90minuten teilt er seine Expertise über die mentalen Aspekte des Fußballs. Dabei geht es um die Frage, wie ein Team wirklich funktioniert, wie es sich besser auf Rückschläge vorbereiten kann, ob und inwiefern man aus einer Krise wieder herauskommt – und warum mentale Gesundheit genauso wie Technik und Taktik trainiert werden soll.

Wie funktioniert ein Team?
Fußball ist ein Teamsport. Wenn es nicht läuft, fallen Schlagworte wie "Grüppchenbildung", "Probleme in der Kabine", "Störenfriede" und so weiter.
Fans von Vereinen, die dieses Jahr Enttäuschungen erfuhren, werden solche Gerüchte kennen – selbst wenn sie nicht immer der Wahrheit entsprechen. "Es zeigen sich immer wieder ähnliche Problemfelder, wenn es innerhalb eines Teams zu Unstimmigkeiten kommt", sagt Berthold.
Das sind häufig Kommunikationsprobleme, die Hand in Hand mit mangelnder Klarheit gehen. Die Erklärung dazu: "Fehlt die Klarheit darüber, welche Werte im Team gelebt werden, wie miteinander kommuniziert wird oder wie Kritik verstanden und genutzt werden soll, entsteht ein Umfeld, in dem Unsicherheit und Missverständnisse wachsen."
Ein Team braucht einen klaren Rahmen: Welche Werte stehen im Mittelpunkt? Wie sprechen wir miteinander – nicht nur im Alltag, sondern auch in herausfordernden Momenten? Wie gelingt es uns, Kritik als Erfolgsfaktor zu etablieren, anstatt sie als Bedrohung wahrzunehmen? Dabei hilft konkrete Planung.
Gemeinsamer Plan statt Zufall
Denn wer strukturiert vorgeht, kann auf Probleme und schwierige Phasen schneller und zielgerichteter reagieren. "Diese Klarheit – in Werten, Kommunikation, Kritikfähigkeit und Zielorientierung – ist keine Nebensache, sondern der Schlüssel zu einer funktionierenden Teamdynamik. Nur auf dieser Basis kann nachhaltige Entwicklung stattfinden", so der Mentalcoach.
Der Trainer ist ersetzbar. Denn auch wenn die Ursachen für Misserfolge meist tiefer liegen, trägt die Führungskraft die volle Verantwortung – oft allein.
Im Fußball kommt allerdings hinzu, dass ein Spiel, das in vielen Fällen mit wenigen Toren entschieden wird, vom Zufall lebt: "In einem Low-Score-Game, das oft stark von Dynamik und Zufällen geprägt ist, spielt die Führungskraft eine besonders wesentliche Rolle. Es geht darum, den Prozess so zu koordinieren, dass Rückschläge nicht zu einem Bruch im Team führen."
Dabei steht im Vordergrund, dass man als Team gewinnt und verliert – ohne gegenseitige Schuldzuweisungen, insbesondere nicht in der Öffentlichkeit. An dieser Stelle steht auch wieder vorbereitende Kommunikation im Zentrum: Jeder im Team kennt seine Rolle in schwierigen Szenarien und weiß, welches Verhalten gefragt ist. Das gibt Orientierung.
Trainerarbeit: Theorie und Praxis
Dies klingt in der Theorie sehr logisch und einfach, räumt er ein. In der Praxis werde es schnell schwierig: "Emotionen spielen eine große Rolle, besonders in Situationen mit hohem Druck."
Ein Problem entsteht auch durch den Transfermarkt bzw. das Arbeitsrecht. Während in der Privatwirtschaft unbefristete Verträge relativ einfach unter Fristeinhaltung zu kündigen sind, kann der Sportdirektor nicht einfach im Oktober vier Spieler vor die Tür setzen, nur weil sie Stürmer sind und nicht treffen.
"Das geht nicht einmal so einfach", erklärt Berthold, "selbst wenn sie problematisch sind. Der Trainer hingegen ist schnell ersetzbar – was ihn besonders angreifbar macht. Diese Realität macht die Führungsrolle im Fußball extrem anspruchsvoll. Denn auch wenn die Ursachen für Misserfolge meist tiefer liegen, trägt die Führungskraft die volle Verantwortung – oft allein."

Berthold will auch an dieser Stelle nicht über konkrete Beispiele philosophieren, etwa, was Sturm oder Blau-Weiß besser machen als Salzburg oder Rapid. Erfolgreiche Trainer schaffen es jedenfalls, die Rückschläge gut zu moderieren:
"Führung im Fußball heißt, Stabilität und Klarheit auszustrahlen – auch unter Druck. Wer führt, muss wissen, dass nicht immer alle Stellschrauben in der eigenen Hand liegen. Genau deshalb ist eine starke, reflektierte Führung so entscheidend."
Noch Luft nach oben
Ob und inwiefern hierbei in Österreich schon alles ausgereizt ist, scheint fraglich. Das sei für ihn pauschal schwer zu sagen. Nur so viel: "Ich bin der Meinung: Mentale Gesundheit hat im Mannschaftssport noch nicht den Stellenwert, den sie verdient. Vor allem im männerdominierten Bereich wird darüber oft zu wenig gesprochen."
Körperliche Leistung steht im Vordergrund, psychische Belastungen werden meist nicht thematisiert – oder erst dann, wenn es ernst oder zu spät wird. Zwar gebe es erste positive Entwicklungen, doch im Alltag vieler Teams ist mentale Gesundheit noch nicht selbstverständlich integriert.
Er meint abschließend: "Wichtig wäre, dass mentale Stärke genauso trainiert und besprochen wird wie Technik oder Taktik – vorbeugend, offen und ohne Tabus. Denn wer im Kopf klar ist, kann unter Druck besser performen."