Derby-Skandal 2024: Was wurde aus dem Rapid-Maßnahmenkatalog?
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Derby-Skandal 2024: Was wurde aus dem Rapid-Maßnahmenkatalog?

Nachdem eine handvoll Rapid-Spieler und Funktionäre im Februar 2024 mit diskriminierenden Sprechchören für viel Aufregung gesorgt hatten, erlegte sich der Verein einen Maßnahmenkatalog auf. Welche Vorhaben wurden seither umgesetzt?

Am Sonntag treffen sich der SK Rapid und die Wiener Austria im Allianz Stadion zum 347. Wiener Derby (ab 17:00 Uhr im LIVE-Ticker) - die Hoffnung ist groß, dass ein emotionales und sportlich spannendes, aber letztlich faires Fußballspiel zustande kommt.

Nach Ausschreitungen vor rund einem Jahr haben sich die Vereine auf einen vorübergehenden Verzicht auf Auswärtsfans geeinigt, die "Veilchen" reisen letztmals ohne organisierten Support nach Hütteldorf. Diese Lösung läuft aus, an Maßnahmen, um das Derby-Erlebnis in Zukunft sicherer zu gestalten, wird gearbeitet.

Rapid-Trainer Peter Stöger im Interview:

Ein Eck länger zurück, als der auslösende Vorfall im September 2024, liegt ein anderer Derby-Skandal: Nach einem knappen Heimsieg des SK Rapid im 342. Aufeinandertreffen - dem ersten seit April 2016 - werden mehrere Spieler und Funktionäre der Grün-Weißen bei den Feierlichkeiten gefilmt, auf den Videos zu hören sind beleidigende Sprechchöre in Richtung Austria, der Bundesliga-Strafsenat verhängt im Anspruch Strafen und Sperren.

Der Druck auf den Verein wird enorm, in der Folge sorgen Unbekannte mit einem Steckbrief für Aufregung, in dem die Mitglieder des Senat 1 als "Totengräber des Volkssports" bezeichnet werden - hiervon hat sich Rapid umgehend distanziert.

Besserung versprochen - auch umgesetzt?

Homophobe Sprechchöre bei Wiener Derbys hatten bis zu diesem Punkt in beiden Lagern eine lange, unrühmliche Tradition. Der Vorfall im Februar 2024 hat beim SK Rapid aber sichtlich ein Umdenken eingeläutet: Unter Vizepräsidentin Edeltraud Hanappi-Egger - WU-Professorin mit Schwerpunkt Gender/Diversität in Organisationen - wurde ein Maßnahmenkatalog zusammengestellt und Anfang März 2024 öffentlich präsentiert.

In zehn Punkten wurde Besserung versprochen, ein halbes Jahr später wurde eine neue Stabstelle Diversitätsmanagement und Nachhaltigkeit geschaffen und mit Elisabeth Overbeeke besetzt. Im 90minuten-Interview meinte sie zum auslösenden Eklat: "Eine Frage, die ich mir gestellt habe, ist: Haben alle Beteiligten wirklich unterschätzt, was für eine unglaubliche Vorbildwirkung sie haben? Wie kann ihnen nicht bewusst sein, welche Macht ihre Worte haben können? Mich hat es enttäuscht und nachdenklich gestimmt, dass es passiert ist. Andersherum sehe ich in meiner jetzigen Rolle natürlich die Kehrseite: Für welche guten Sachen können sie in ihrer Rolle und Vorbildfunktion einstehen?"

Das 90minuten-Interview mit Elisabeth Overbeeke:

Seitdem war vom Maßnahmenkatalog und seiner Umsetzung nicht mehr viel zu hören. Waren es leere Versprechen, oder arbeitet Rapid im Stillen an der Umsetzung?

Punkt 1: Verantwortung übernehmen

Vorhaben: Die an den Vorfällen beteiligten Spieler und Funktionäre sind sich ihrer Verfehlungen bewusst und bereuen diese zutiefst. Sie übernehmen Verantwortung für ihr Handeln und werden freiwillig entsprechende Organisationen gegen Diskriminierungen unterstützen. Weiterhin werden sie sich aktiv als Botschafter für das Leitbild des SK Rapid gegen Homophobie, Sexismus und Diskriminierung einsetzen. 

Umsetzung: Der erste Punkt des Katalogs wurde einigermaßen schnell abgearbeitet. Die beteiligten Personen haben sich bereits kurz nach dem Vorfall mit Statements an die Öffentlichkeit gewandt. Vom Senat der Bundesliga wurde ihnen als Teil der Strafe die Teilnahme an drei einstündigen Workshops zum Thema Diskriminierung aufgetragen. Drei der fünf beteiligten Spieler haben Rapid inzwischen verlassen, nur Niklas Hedl und Co-Trainer Stefan Kulovits sind geblieben, Guido Burgstaller hat vor kurzem seine Rückkehr als Nachwuchs-Coach bekanntgegeben.

Punkt 2: Nachschärfen der persönlichen Verantwortung in den Arbeitsverträgen

Vorhaben: Der SK Rapid wird in allen Arbeitsverträgen festlegen, dass sich die Mitarbeiter:innen vollumfänglich zu dem Leitbild des SK Rapid bekennen und entsprechend handeln. Gleichzeitig wird der Ethikrat beauftragt, entsprechende Sanktionsmechanismen bei Verstößen zu erarbeiten und konsequent umzusetzen.

Umsetzung: Auch dieses Vorhaben wurde rasch umgesetzt. Elisabeth Overbeeke erzählt, dass auch sie gleichzeitig mit ihrem Arbeitsvertrag das Leitbild unterschreiben musste. Wie die Sanktionsmechanismen konkret aussehen, ist nicht bekannt.

Punkt 3: Sensibilisierung und Kompetenzerweiterung

Vorhaben: Alle an den Vorfällen beteiligten Spieler und Funktionäre unterziehen sich einer verpflichtenden Sensibilisierungsschulung, die über ihre erbrachten Eigenleistungen finanziert wird. Für einen langfristigen Effekt werden insbesondere Führungskräfte, Fanbetreuung und Schlüsselpersonen kontinuierlich hinsichtlich Homophobie, Sexismus und Diskriminierungen jeglicher Art diversitätskompetent geschult.

Umsetzung: Die geplanten Workshops wurden von entsprechend spezialisierten Organisationen durchgeführt, mit den Mitarbeitenden, aber auch den Führungskräften. Für die Zukunft sind weitere Schulungen vorgesehen.

Punkt 4: Stärkung der Zusammenarbeit mit einschlägigen Institutionen

Vorhaben: Der SK Rapid evaluiert verschiedene Kooperationsmöglichkeiten mit gegen Homophobie und Diskriminierung engagierten Institutionen und Vereinen und setzt entsprechende Kooperationsprojekte um. Darüber hinaus wird mit den Diversitätsbeauftragten der Sponsoren an gemeinsamen Themen gearbeitet.

Umsetzung: Dieser Punkt befindet sich weiterhin in Umsetzung, im Hintergrund laufen Gespräche. Mit Elisabeth Overbeeke gibt es jetzt eine fixe Ansprechperson für Organisationen wie "Fairplay", "100% Sport" und "Fußball für Alle" - aus denen im Vergleich zu vorher deutlich mehr Zufriedenheit zu vernehmen ist. In einem der ersten Schritte im neuen Job hat sich Overbeeke mit den Diversitätsbeauftragten der Hauptsponsoren Wien Energie und Allianz ausgetauscht - vor allem der Energiekonzern hatte sich nach dem Skandal kritisch geäußert.

Leiterin der Stabstelle für Diversitätsmanagement und Nachhaltigkeit: Elisabeth Overbeeke
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Leiterin der Stabstelle für Diversitätsmanagement und Nachhaltigkeit: Elisabeth Overbeeke

Punkt 5: Vermittlung der Werte des SK Rapid in der Nachwuchsarbeit

Vorhaben: Der SK Rapid baut entsprechende pädagogische Konzepte in seine Nachwuchsarbeit ein, mit Fokus auf die Akademie, da gerade diese Phase für das Selbstverständnis als Fußballer:in besonders wichtig ist. Der SK Rapid will damit auch seiner erzieherischen Funktion gerecht werden und das inklusive Leitbild des Vereins in der Nachwuchsarbeit vermitteln.

Umsetzung: Auch hier läuft die Umsetzung, in einem modularen System ('Mehr als Fußball') gibt es seit Juni 2025 neben Sport und Schule eine dritte Säule, in der es um Persönlichkeitsentwicklung geht. Angesprochen werden Themen wie Diversität, Inklusion, inklusive Sprache, Ökologie und das Leitbild. Als Startschuss des Projekts wurde ein gemeinsames Training der U14-Mädchen, Burschen-Nachwuchsmannschaften und des Special Needs Teams abgehalten.

Punkt 6: Diversitätskompetenz intern fördern

Vorhaben: Es wird eine Position eines/einer Diversitätsbeauftragten mit einem entsprechenden Aufgabenprofil geschaffen.

Umsetzung: Elisabeth Overbeeke ist seit September 2024 in Teilzeit beim SK Rapid und parallel in der Privatwirtschaft tätig. Im Interview mit 90minuten beschreibt sie ihre Position: "Im Endeffekt hat man eine zentrale Anlaufstelle gesucht, die koordinieren kann, als Ansprechperson zur Verfügung steht und eigenes Wissen und Ideen einbringt. Wir haben viel Kompetenz in den Bereichen Kommunikation, Marketing und Sport - auch viele soziale Projekte laufen schon lange. Was ich tun kann, ist, dem Ganzen einen Rahmen und eine Richtung zu geben. Es soll deutlich werden: Wir tun Dinge nicht nur, weil wir sie gut finden, sondern weil sie dem Leitbild entsprechen, zu uns passen und typisch Rapid sind."

Punkt 7: Einsetzen eines Change-Teams

Vorhaben: Der SK Rapid identifiziert Keyplayers, neben Schlüsselspieler:innen aus den Männer- und Frauenteams unterschiedliche Mitglieder aus der Rapid-Familie, die intensiv an der Veränderung der Sport- und Vereinskultur mitwirken und sich als Fürsprecher:innen und Testimonials zur Verfügung stellen werden.

Umsetzung: Overbeeke spricht bei diesem Punkt von einer immer wieder auftretenden Aktivität. Im Frühjahr wurde eine Imagekampagne ("Wir alle sind Rapid") auf den Weg gebracht, über die sieben Gesichter den Verein öffentlichkeitswirksam als inklusiv und offen darstellen sollten. Zu sehen waren: Spielerin Lisa Hoyda, Nachwuchsspieler Kenny Nzogang, je eine Spielerin und ein Spieler des Special Needs Teams, zwei langjährige Vereinsmitglieder und Louis Schaub.

Punkt 8: Breite Kommunikation des Leitbildes

Vorhaben: Das Leitbild des SK Rapid, welches Diskriminierungen jeglicher Art verurteilt, wird allen sichtbar in Erinnerung gerufen, durch u.a. Bedrucken auf Getränkebechern, Publikationen und Sichtbarmachung im Stadion. Darüber hinaus werden neue Dialogformate mit der aktiven Fanszene entwickelt und umgesetzt.

Umsetzung: Im Rapid-Leitbild findet sich die Passage "Der SK Rapid ist offen. Menschliche Vielfalt war und ist der Motor unseres Erfolgs. Deshalb, und aufgrund unserer sozialen Verantwortung für eine offene Gesellschaft, kann jeder Mensch, der das Wohl Rapids in den Vordergrund seines Denkens und Handelns stellt, Rapidler sein. Egal welchen Geschlechts, egal welcher Herkunft oder Schicht, und unabhängig von seiner Lebensweise." Abgesehen von den Kommunikationskanälen des Vereins, soll das Leitbild auch auf anderen Wegen sichtbarer gemacht werden. So wird es beispielsweise mit neuen Mitgliedschaften ausgeschickt. Auf den Getränkebechern des Allianz-Stadions ist es noch nicht zu sehen, das wird sich mit der nächsten Nachbestellung ändern. Eine Nachschärfung des Leitbilds hinsichtlich Homophobie - wie von manchen Stimmen gefordert und bereits beim FAC praktiziert - wird es nicht geben.

Punkt 9: Der SK Rapid schafft positive Anreize für Initiativen gegen Homophobie, Sexismus und Diskriminierung

Vorhaben: Es wird ein eigener Preis für die besten Fan-Initiativen gegen Diskriminierung ausgelobt.

Umsetzung: Der Ideenwettbewerb ist bereits über die Bühne gegangen. Prämiert wurde die Idee eines Schals mit Slogan "Wir alle sind Rapid - Vielfalt ist der Motor unseres Erfolgs", der in einer limitierten Auflage im Fanshop erhältlich war. Ebenfalls umgesetzt wurde die Idee, Spielervorstellungen vor einem Match auch in Gebärdensprache zu zeigen. Als Kriterien für die Teilnahme am Wettbewerb wurde unter anderem vorgeschrieben, dass "Ideen das Potenzial für eine breite Akzeptanz in der Rapid-Community (z.B. keine Provokation)" haben sollen.

Punkt 10: Forcierung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Anti-Diskriminierung im Fußballsport

Vorhaben: Der SK Rapid führt eine Studie zum Umgang mit Homophobie im Fußballstadion durch und startet die Zusammenarbeit mit Forschungsinstitutionen. Ein (internationaler) Kongress wird den wissenschaftlichen Diskurs fördern und Umsetzungsstrategien erarbeiten.

Umsetzung: Die angekündigte Studie gibt es derzeit noch nicht. Der Kongress wird in naher Zukunft stattfinden, zuerst in einer intensiven, kleineren Runde mit Sponsoren, danach in einer breiteren Diskussion mit Interessierten aus den Bereichen Sport, Diversität und Inklusion. Welche Schlüsse im Nachhinein gezogen werden können, wird sich erst zeigen.

Erfolg wird sich zeigen

Letztendlich hat es wohl konsequente Strafen und viel öffentlichen Druck gebraucht, um wirkliche Veränderung anzustoßen. Was sich festhalten lässt: Rapid hat sich Ziele gesteckt und sie innerhalb absehbarer Zeit weitgehend erfüllt. Der Verein hat sich - ausgehend von einem Negativereignis und zumindest teilweisen Kompetenzmangel - in eine Vorreiterrolle gearbeitet, auch mehrere langjährige Kritiker sehen die Entwicklung positiv.

Dass mit den umgesetzten Schritten nicht alles getan ist, weiß auch Elisabeth Overbeeke. Wie Edeltraud Hanappi-Egger spricht sie von einem Lernprozess und Kulturwandel, der seine Zeit braucht. Ob die intensiven Bemühungen, die der Verein im Bereich Antidiskriminierung und Inklusion betreibt, wirklich erfolgreich waren, wird sich vor allem daran messen lassen müssen, ob die Mehrheit der Mitglieder und Fans im Stadion sie mitträgt. Ein erster Indikator dafür wird das Derby am Sonntag.



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