Foto: © GEPA Reportage / 2018 / Oktober

Wie ticken Österreichs Trainer und wie ticken sie nicht? (2)

Welche Eigenschaften sind bei Österreichs Trainer zu beobachten, welche Schwerpunkte werden gesetzt, welche weniger? 90minuten.at mit einer tiefgehenden Trainer-Analyse.

Die Methodik

Methodik beschreibt, spezifisch in dem Fall dieses Artikels, die Art und Weise, wie Trainings ausgeführt werden. Zum besseren Verständnis kann man Trainingsformen in drei Kategorien unterteilen:

  • Spielformen: Ball und vor allem Gegner sind stets dabei. Zu einem variierenden Grad gibt es Komplexität in diesen Spielformen. Die spielnächste Art des Trainierens und, belegt durch wissenschaftliche Studien, die wirksamste Art, um Technik, fußballspezifische Fitness und Spielverständnis zu verbessern.

  • Isolierte Übungen: Passübungen, Torschüsse, Flanken. All diese Übungen werden ohne Gegner ausgeführt, aber natürlich mit Ball. Es geht darum, gewisse Aktionen häufig zu wiederholen, vor allem die Technik soll hier verbessert werden. Zwar führt dies durchaus zu Verbesserungen in der Technik, jene sind jedoch langsamer herzustellen als in Spielformen. Zudem wird das Entscheiden, die wichtigste Eigenschaft im Fußball, nicht trainiert.

  • Athletik-Training: Läufe, Koordinationsübungen, Sprints, Krafttraining. All dies fällt unter Athletiktraining, beinhaltet (zum größten Teil) keinen Ball und schon gar keinen Gegner.

 

In Österreich gibt es wohl keinen Trainer, der ausschließlich in Spielformen trainiert. Jedoch gibt es einige wenige, bei denen jene Arten von Übungen den ausgeprägt größten Teil der Trainingsarbeit ausmachen. Als eines der spezifischen Beispiele ist hier Red Bull Salzburg zu nennen, deren Trainingsmethodik schon ab der U12 ausschließlich Spielformen beinhaltet, um die gewünschten Verhaltensweisen effektiv zu trainieren. Trainer, die viel „spielen“ lassen, deren Mannschaften zeichnen sich durch eine verbesserte Handlungsschnelligkeit, sowie besseres Verständnis für Räume und erfolgsstabilere Entscheidungen aus. Zudem ist die Kommunikation (in diesem Fall nicht nur verbal, sondern auch non-verbal) innerhalb der Mannschaft gut. Spieler kennen ihre Mitspieler und können gegenseitige Verhaltensweisen antizipieren, das Spiel ist kohärenter.

 

Komplex für Trainer

Spielformen sind jedoch nicht nur komplexer für Spieler, sondern auch für Trainer. Analysieren in Echtzeit, sowie das Finden der richtigen Worte im Coaching während der Übung und in den Pausen ist von großer Bedeutung. Ist man dieser Herausforderung nicht gewachsen, tendiert man dazu, mehr zu isolierten Übungsformen überzugehen. Diese sind leichter zu koordinieren, zu überwachen und zu coachen. Während in Spielformen die Verwendung von Verben im Coaching wichtiger ist, kann man bei isolierten Formen einfacher Adjektive coachen. Die Trainer wähnen sich hier in Detailarbeit, der direkte Übertrag zum Spiel fehlt hierbei jedoch. Dass diese Übungen, mit Ausnahme der meisten Schussübungen, weniger unterhaltsam für Spieler sind, ist wohl ebenfalls klar. Eine Vielzahl an isolierten Übungen im Training zeugen von einem Übermaß an Kontrollverlangen, sowie wenig Verständnis für taktisches Coaching. Natürlich gibt es auch hier prominente Ausnahmen (Antonio Conte), jedoch schaffen es solche Trainer mit Intensität und unglaublich detailliertem Coaching, gewissen Verhaltensweisen und Abläufe einzuschleifen. Es verlangt jedoch eine zu Spielformen disproportional hohe Anzahl an Wiederholungen jener Übungen.

Athletiktraining wird von jedem Verein in Österreich ernst genommen. Der „physische Zustand“ wird oftmals getrennt vom Mentalen, vom Technischen und vom Taktischen. Eigene Athletiktrainer werden engagiert, vor allem in der Vorbereitung werden intensive Läufe gemacht und Krafttraining ausgeführt, um den „physischen Zustand“ der Spieler zu verbessern. Ohne Ball und Gegner ist dies jedoch sehr unspezifisch. Zwar kann es gut gesteuert werden und muss deswegen nicht zu Verletzungen führen, hier ist der Übertrag zum eigentlichen Wettkampf jedoch noch schlechter als bei isolierten Übungen.

In Österreich gibt es einige Trainer, die weiterhin großen Wert auf isolierte Übungen und Athletiktraining legen. Einige Trainer lassen für gesamte Trainingseinheiten den Gegner oder sogar teilweise den Ball weg. Diese Zusammenhangslosigkeit des Trainings ließ sich in den vergangenen Jahren etwa beim SK Rapid beobachten, dessen Athletiktraining oftmals abgeschnitten vom eigentlichen Fußballtraining stattfand. Wenn die Steuerung hierbei ebenfalls nicht koordiniert wurde, gibt es vermehrt Muskelverletzungen, was durchaus auch in Wien Hütteldorf zu beobachten war. Es gibt jedoch auch einige wenige Trainer, die bezüglich Trainingsmethodik optimal arbeiten und sich hier kaum etwas „ankreiden“ lassen können. Nicht immer ist das Detail sehr ausgeprägt, die generelle Richtung stimmt jedoch. Dies zeigt sich dann auch in den Leistungen ihrer Mannschaften wieder, die nicht unbedingt erfolgreich, jedoch vor allem kohärent zusammenspielen. Die „Handschrift“ ist nicht nur gut erkennbar, sondern auch anspruchsvoll ausgeprägt.

Eine sichere Defensive steht für die meisten Trainer in Österreich budgetunabhängig im Vordergrund.

Strategie und Taktik

Zunächst definieren wir Strategie und Taktik genauer: Strategie ist „ein genauer Plan für ein Verhalten, der dazu dient, ein (militärisches, politisches, psychologisches o. ä.) Ziel zu erreichen, und in dem man alle Faktoren von vornherein einzukalkulieren versucht“. Die Taktik ist ein „Mittel, das eingesetzt wird, um die strategischen Ziele zu erreichen. In diesem Falle sind Ziegelsteine die Taktiken, die er verwendet, um das große Ziel nach harter Arbeit und Planung zu erreichen. [..] wenn das Haus steht, ist das strategische Ziel erreicht“ (Definition nach maelroth.com).

Übertragen auf Fußball ist die Strategie der Plan, wie man die Ziele des Fußballs, also Tor erzielen und Tor verhindern, gestalten möchte. Die taktischen Mittel sind dann die Fußball-Aktionen, die notwendig sind, um diese Strategie auszuführen. Nach Raymond Verheijen (niederländischer Fußball-Trainer und Buchautor) ist Taktik die Kommunikation unter den Spielern. Alles ist Kommunikation, also jede ausgeführte Fußball-Aktion ist ein Zeichen für den Mitspieler, was in Folge getan werden kann. Taktik ist also nicht nur die Formation, in der ein Trainer seine Spieler auf das Feld stellt, es ist weit mehr als das.

Kaum Unterschiede in Österreich

Die Fußballtrainer in Österreich unterscheiden sich strategisch kaum voneinander. Bei etwas genauerem Analysieren der Spielstile der Mannschaften in Österreich verfolgen viele das Ziel in der Defensive „sicher, teils tiefer, zu stehen“ und über „schnelles Umschalten nach vorne“ zu kommen. Diese Strategien sind für 8 der 12 Bundesliga-Mannschaften zutreffend, wobei sich erfolgreiche Mannschaften stets einem Wandel unterziehen müssen.

Denn vor allem die stärkeren Teams tendieren dann zu einem etwas proaktiverem Spielstil, mit und ohne Ball. Teilweise ist dies nicht einmal gewollt, wenn jedoch der Großteil der Teams tiefer steht und der anderen Mannschaft den Ballbesitz überlassen will, ist die andere Mannschaft quasi „gezwungen“ den Ballbesitz für sich zu beanspruchen. Auffällig ist, dass schon beim Nennen der Strategie nur wenigen Trainer in Österreich mehr einfallen würde als das „sicher stehen, schnell Umschalten“. Je anspruchsvoller die Strategie, desto mehr Entfaltungsmöglichkeiten hat das Team. Die Detailliertheit in der Strategie (und natürlich der Übertrag ins Training) korreliert oft mit den gezeigten Leistungen der Mannschaft auf dem Feld. Zudem ist eine detaillierte Strategie, sowie eine Vielzahl jener in einer Liga, schlicht und einfach interessanter für den Zuschauer, ihm wird mehr Vielfalt geboten.

Videoanalysen

Taktisch ist es interessant zu beobachten, dass viele Trainer sehr fokussiert auf Individualtaktik sind. Vor allem ohne Zusammenhang mit dem Gegner, der Kontext von Fußballaktionen mit dem Gegner wird oft ignoriert, beim Analysieren werden bestimmte Verhaltensweisen als richtig oder falsch eingestuft. Dies hat Auswirkungen auf Videoanalysen, wo vor der gesamten Mannschaft Spieler direkt angesprochen werden. Dies ist zwar auch eine gewisse Art von Führungsstil, hat aber auch mit der Art und Weise, wie Fußball gesehen wird, zu tun. Viele individuelle Aktionen und Duelle sind der Fokus der Trainer in diesem Land. Zweikämpfe, „1v1-Dribblings“ werden als die entscheidenden Aktionen eingestuft. Das große Ganze, die Zusammenhänge zwischen allem und den Blick auf die Verhältnisse zwischen Aktionen, Spieler und Gegner werden jedoch zu selten gesehen. Dies zeigt sich auch in der Trainingsmethodik (und im Führungsstil), wo jeder einzelne Spieler zur Verantwortung gezogen werden und betrachtet werden soll. Isolierte Übungen eignen sich dazu hervorragend. Jede Bewegung kann übersichtlich beurteilt werden.

Dieser Fokus aufs individuelle, aber vor allem auch zusammenhangslose, bewirkt, dass Fußballtrainer in Österreich nur wenig ins Detail gehen können, wenn sie über Spieler sprechen. Eine individuelle Betrachtung im Kontext des Spiels und dessen Verhältnisse lassen viele, detaillierte Beobachtungen zu. Wie und wohin bewegt sich ein Spieler gern? Wann tut er dies, warum? Welche Entscheidungen trifft er im letzten Drittel oft, welche seltener, und warum? Dies steht alles im Kontext zum Spiel. Ohne diesen Kontext bleiben Betrachtungen über Duelle mit Gegner (Zweikampfverhalten, Dribbling) sowie einzelne technische Aspekte (erster Kontakt, Schusstechnik, Passtechnik) übrig. Auch dies führt nur logischerweise zu isoliertem Training, sowie zu nur sehr langsamer Verbesserung der Spieler.

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