Foto: © Stefan Berndl Reportage / 2017 / Mai

Das spezielle Team von Rapid Wien: Ein Miteinander mit Vorbildwirkung

Als das Special Needs Team Rapids 2014 gegründet wurde, war der Klub noch ein nationaler Vorreiter in diesem Bereich. Seitdem hat sich viel getan. Nun stehen die Spieler vor dem größten Highlight ihrer Karriere. Ein Lokalaugenschein von Stefan Berndl.

Reportage Special Needs Team Rapid Seite 1 - Seite 2 - Seite 3

 

Zurück beim Ernst-Happel-Stadion. Die Spieler haben sich bereits umgezogen, geschlossen marschiert man auf einen der hintersten Trainingsplätze. Die Sonne hat sich mittlerweile hinter die Bäume und Gebäude verabschiedet, dennoch ist es noch relativ warm. Das bekommt das Team auch zu spüren. Mario Rausch, der nun seit knapp einem Jahr als Trainer mit dabei ist, bittet die Spieler zum Aufwärmen. Aufgrund seiner Kenntnis der Gebärdensprache ist der 33-Jährige auch und vor allem für die gehörlosen Spieler verantwortlich. Nun gibt er die Übungen vor: Kurze Sprints, Hampelmänner, Sit-Ups und noch einiges mehr. Die Spieler sind mit vollem Ehrgeiz dabei. Manche auch mit zu viel, wie Rausch merkt: “Flo, langsam. Es geht nicht um die Wette. Es geht darum, dass du dich ordentlich aufwärmst.” Vielen steht schon nach wenigen Minuten der Schweiß auf der Stirn.

Jürgen Kerber, Matias Costa und Lukas Heger teilen die Teams ein.

Die Kommandos von Rausch werden stets in ruhigem, aber bestimmtem Ton ausgeführt. Von den Spielern kommt kein Meckern, es wird viel gelacht. Etwas abseits haben bereits Kerber, Costa und der vierte Trainer im Bunde, Lukas Heger, Stellung bezogen. Coach Nummer fünf, Michael Sochor, der für die Administration und Organisation verantwortlich ist, fehlt an diesem Abend. Kerber bespricht mit seinen Kollegen die weitere Vorgehensweise, die Teams werden eingeteilt. Es wird gemeinsam mit den Pädagoginnen und Pädagogen gespielt. Vier Teams, jeder gegen jeden. Nach dem ersten Spiel meint Heger mit einem Lächeln: “Burschen, ihr seid gut gestanden. Ihr seid nur zu viel gestanden.” Dann werden die Spieler für das nächste Spiel angefeuert. Es wird abgeklatscht, weiter geht es.

"Einer sehbehindert, einer gehörlos. Und sie selbst sagen: 'Er hört für mich, er sieht für mich und zusammen sind wir zwei Top-Verteidiger.'" - Mario Rausch über das Verteidiger-Duo

Gegeneinander und doch gemeinsam

Das Ergebnis ist am Ende ohnehin nebensächlich. “Unentschieden würde ich sagen”, meint Rausch nach einem Spiel. “Ja, Unentschieden”, kommt es zurück. Nachdem jedes Team drei Spiele absolviert hat, gibt es erst einmal wieder eine Trinkpause. Wieder wird abgeklatscht, der ein oder andere Trainer wird auch umarmt. Doch zu Ende ist das Training noch lange nicht. Zum Abschluss gibt es noch ein Match unter den Special-Needs-Team-Spielern selbst. Hier haben die meisten Spieler wieder ihre gewohnten Positionen inne, man versucht sich so gut wie möglich zu präsentieren. Bei jedem Torschuss, jeder Parade, jedem Treffer wird gemeinsam gejubelt. Auch von den Gegnern kommt Applaus.

Um kurz vor 21 Uhr ist dann Schluss. Die Trainer geben das Signal, das Spiel ist zu Ende. Danach wird, wie auch schon zuvor, gemeinsam aufgeräumt. Das Team trägt die Tore zurück auf den angrenzenden Platz, sammelt die Hütchen und Bälle zusammen. Es ist ein Miteinander, von dem nicht nur geredet wird, sondern das bei jeder Aktion auf und abseits des Platzes deutlich wird. Man hört hier auch kein böses Wort, kein fluchen. Es wird stets freundschaftlich und herzlich miteinander umgegangen. Scheu vor der Kamera gibt es ebenfalls keine. Es wird gegrinst, der Daumen nach oben gereckt, gelacht.

Mario Rausch beherrscht die Gebärdensprache.

90minuten.at: Was macht die Arbeit mit dem Special Needs Team so besonders? Wo sehen Sie eventuell die größten Herausforderungen? 

Mario Rausch: Man kann auf jeden Fall keine autoritäre Schiene fahren, das ist in diesem Team nicht möglich. Es muss alles über die Freundes-Schiene passieren. Aber da muss dann auch die Grenze zwischen Freund und Trainer gezogen werden. Es ist natürlich alles kumpelhaft, aber es soll auch schon konzentriert gearbeitet werden. Das Besondere für mich ist der Einsatz der Jungs. Die lieben das, die lieben diesen Verein, sind bereits 45 Minuten vor Trainingsbeginn da. Die leben das. Es ist schön zu sehen, wie sie über sich selbst hinauswachsen, wie sie sich gegenseitig unterstützen. Bestes Beispiel ist für mich die Verteidigung: Einer sehbehindert, einer gehörlos. Und sie selbst sagen: "Er hört für mich, er sieht für mich und zusammen sind wir zwei Top-Verteidiger." Das macht für mich das Team aus. Jeder ist dabei, jeder unterstützt sich. Es ist einfach ein Miteinander. So ein Miteinander und füreinander da sein habe ich bis jetzt in einem Team mit Spielern ohne Behinderung noch nicht erlebt.

 

90minuten.at: Wie schwer ist es, die verschiedenen Behinderungsgruppen, die im Team vorhanden sind, in Waage zu halten? Dass es dann auf dem Platz so funktioniert, wie ihr Trainer das gerne hättet.

Mario Rausch: Das ist natürlich nicht leicht, wir haben einen recht großen Kader. Je nach Trainingsleistung und momentaner Form wird dann gespielt. Wir schauen natürlich nicht, dass der eine den anderen kompensiert, das passiert einfach automatisch. Es ist Leistung. Der, der beim Training die beste Leistung spielt, ist dabei. Das ist dann ganz unterschiedlich. Aber egal, wer auf dem Feld ist, sie unterstützen sich gegenseitig. Das ist ganz bemerkenswert.

 

90minuten.at: Wie sehen Ihre Erwartungen an die Zukunft aus? Welche Ziele hat man noch mit dem Team? 

Mario Rausch: Das Team ist sehr gut aufgestellt, auch das Trainerteam. Wir arbeiten wirklich sehr gut. Verbesserungen würde ich mir da gar keine wünschen. Wir sind nicht auf Sieg und Leistung orientiert, sondern auf Miteinander. Und das merkt man sehr stark. Wir haben ein völlig gemischtes Team. Wenn ich mir andere Mannschaften anschaue, die dann mit neun Gehörlosen auflaufen, verfehlt das irgendwie den Sinn der Sache. Ich erhoffe mir, dass es so weitergeht. Ich wünsche mir für die Jungs, dass sie jetzt beim kommenden Turnier realisieren, dass das das Highlight ihres Lebens sein wird und dass sie auch so spielen, wie sie sich das vorstellen und können. Dass jeder sein Level abrufen kann. Ich wünsche mir, dass unser Team ein Vorbild für die nächsten Generationen von Spielern mit Einschränkungen sein wird. Die sehen, dass sie genauso auch Fußballer werden und richtig professionell trainieren können. Ich wünsche mir einfach, dass jeder, der Rapid liebt, wie wir, früher oder später einmal zu uns findet.

 

>>> Seite 3: Eindrücke vom Training im Video

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