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Spitzen-Schiedsrichter aus Österreich: „Diese Zeiten sind vorbei“ [Interview] (3)

In der öffentlichen Wahrnehmung steht das Schiedsrichterwesen in Österreich nicht gut da. Im 90minuten.at-Exklusiv-Interview nimmt Schiriboss Robert Sedlacek ausführlich dazu Stellung.

90minuten.at: Themenwechsel. Videoschiedsrichter. Macht es Sinn, den Videoschiedsrichter zu haben, wenn es Fälle gibt, wie unlängst, wo der zuständige Referee vergisst die Abseitslinie zu ziehen und so ein irreguläres Tor zustande kommt? Wird nicht das menschliche Versagen nur vom Feld vor den Bildschirm verlagert?

Sedlacek: In diesem Fall war ich zufällig selbst als Instruktor vor Ort. Es gab vor dieser Situation eine komplizierte Szene, die mehrmals angeschaut werden musste. Der Videoschiedsrichter an diesem Tag konnte am Ende nicht mehr von sich aus entscheiden, was die wesentlichen Punkte der Situation waren. Wichtig und richtig wäre gewesen, den Bildausschnitt zu nehmen, wo man die Schuhspitze vorne sieht und eine Linie zu ziehen. Er hatte den falschen Frame und man braucht nicht drumherum reden, Fehlentscheidung.

 

90minuten.at: Es verlagert sich also nur die Ebene der Fehlentscheidung. Wo liegt der Sinn des VAR, der ja eigentlich eingeführt wurde, um den Fußball gerechter zu machen und weniger Diskussionen über Fehlentscheidungen zu haben?

Sedlacek: Er bringt uns sogar mehr Diskussionen (lacht). Aber es ist so: Der VAR ist ein Update für den, der auf dem Feld steht, wenn der einen klaren Fehler macht. Das sollte bei Abseitsentscheidungen normalerweise einfach sein. In vielen anderen Situationen ist es aber nicht immer eindeutig, wann etwas ein klarer Fehler war. Handspiel, Strafstoß ja oder nein und so weiter. Laut Protokoll soll der VAR nur eingreifen, wenn er der Meinung ist, dass das, was der Schiedsrichter entschieden oder nicht entschieden hat, eindeutig falsch ist. Bei einigen Vergehen gibt es viel Interpretationsspielraum, war das zuerst Ball gespielt oder nicht, war das ein Stoß, der eigentlich ein Foul war und solche Dinge. Hier kann und soll der VAR nicht eingreifen, weil sonst kommen wir in die Diskussion: Wer leitet das Spiel? Und der VAR soll das Spiel nicht leiten.

"Bei einigen Vergehen gibt es viel Interpretationsspielraum, war das zuerst Ball gespielt oder nicht, war das ein Stoß, der eigentlich ein Foul war und solche Dinge. Hier kann und soll der VAR nicht eingreifen, weil sonst kommen wir in die Diskussion: Wer leitet das Spiel? Und der VAR soll das Spiel nicht leiten. " - Robert Sedlacek

90minuten.at: Abgesehen von den Diskussionen, ist der Fußball nun aus Ihrer Sicht durch den VAR gerechter geworden?

Sedlacek: Ja. Wir haben in einer Runde mit sechs Spielen im Schnitt weniger als eine klare Fehlentscheidung. Das ist ein Wert, der europaweit überall ungefähr gleich ist. Das ist klar weniger als vor der Einführung. Je besser alle Beteiligten geschult sind, desto einheitlicher und nachvollziehbarer werden die Entscheidungen in Zukunft noch werden.

 

90minuten.at: Wie regelmäßig werden die Videoschiedsrichter bei uns geschult?

Sedlacek: Sehr regelmäßig. Nach jedem Spieltag werden im Anschluss alle relevanten Szenen noch einmal aufgearbeitet. Und bei jedem Schiedsrichterkurs ist jetzt der VAR natürlich mit dabei. Wir haben nur aktive Schiedsrichter als Videoschiedsrichter, keinen, der am Feld nicht mehr pfeift, was den Vorteil hat, dass alle immer am gleichen Wissensstand sind, wenn sie beim Kurs waren. Von der UEFA kommen immer wieder Beispiele von strittigen Situationen und wie diese zu entscheiden sind. Das ist gut, aber das heißt nicht, dass es nicht noch immer in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Sichtweisen gibt. Teilweise interpretieren sogar FIFA und UEFA Szenen unterschiedlich. Ich glaube, ganz einheitlich wird es international nie werden. Genauso, wie es nie ohne Fehler gehen wird.

 

90minuten.at: Wenn Sie mit Ihren Schiedsrichtern in Österreich reden, wie sehen die selbst den VAR mittlerweile?

Sedlacek: Grundsätzlich gut. Es ist nur ein bisschen, wie soll ich das ausdrücken, die vermeintliche Ungerechtigkeit, wenn der Schiedsrichter einen Fehler macht, diesen nach VAR-Eingriff korrigieren muss, und deshalb in der Benotung schlechter abschneidet. Das stört die Leute, ich sehe das aber nicht so. Wenn ich nachher korrigieren muss, dann kann ich nicht gleich gut bewertet werden, wie ohne Korrektur. Außerdem spielen sich diese Bewertungen in einem Bereich ab, wo kein Schiedsrichter deswegen absteigt. Da muss er schon in einer Saison fünf Mal einen Strafstoß geben, der eindeutig keiner war, damit sich das auswirkt. Und in so einem Fall müsste man sich dann ohnehin die Frage stellen, ob der gut genug ist.

 

Das Gespräch dreht sich in Folge weiter zu Robert Sedlaceks eigener Sicht zur Einführung des VAR. Er beschreibt sich selbst als Mann aus einer anderen Zeit, der die jungen Schiedsrichter bewundert, wie sie die vielen Bildschirme 90 Minuten konzentriert im Blick haben. Noch dazu bei dem immer schneller und athletischer werdenden Spiel. Es kommt die Frage auf, ob ein zweiter Videoschiedsrichter Sinn machen würde, Sedlacek hegt aber die Befürchtung, dass diese dann eventuell die gleiche Szene unterschiedlich interpretieren könnten – und was dann? Schließlich landen wir wieder dort, wo wir begonnen haben: Wären nicht Profischiedsrichter, die sich hauptberuflich damit beschäftigen, eine absolute Notwendigkeit um nicht immer weiter den Anschluss zu verlieren? Das würde vielleicht schon stimmen, meint Österreichs Schiedsrichter-Boss, nur da ist eben das Geld, das keiner zahlen will – wir landen wieder am gleichen Punkt.

"Irgendwann wird es auch im Schiedsrichterwesen keine Leute mehr geben, die das ehrenamtlich machen. Deswegen glaube ich, trotz der aktuellen Situation, dass es irgendwann zu einem Profitum kommen wird. Ich traue mich aber nicht in die Zukunft zu schauen, weil ich derzeit nicht sehe, wie der Weg dorthin ausschauen könnte." - Robert Sedlacek

90minuten.at: Könnte man dann nicht ganz plump festhalten: Wenn ihr nicht für Profis zahlen wollt, dürft ihr euch dafür nicht über Fehler beschweren?

Sedlacek: Ich glaube, das würde uns dann als Unwilligkeit ausgelegt. Der ÖFB hat Millionenbeträge investiert, um den VAR in Österreich einführen zu können, die Liga investiert viel Geld für die Schiedsrichter im laufenden Spielbetrieb. Es ist nicht ganz so einfach, zu sagen, zahlt uns Profis, sonst wird es nicht besser werden.

 

90minuten.at: Schiedsrichter, die neben dem Job pfeifen, Funktionäre, die das ehrenamtlich machen, obwohl es nach sehr viel Aufwand klingt. Werden sich mittelfristig überhaupt noch genug Leute finden, die das Werkl am laufen halten?

Sedlacek: Wir haben zumindest jetzt im Verband die Abteilung Schiedsrichterwesen auf drei hauptberufliche Leute aufgestockt, weil sich das sonst nicht mehr bewältigen ließe. Trotzdem könnten wir zum Beispiel bei uns im Wiener Verband ohne Ehrenamt den Betrieb nicht aufrechterhalten. Es werden insgesamt die hauptberuflich tätigen Leute immer mehr. Es geht gar nicht anders. Sollte es zum neuen ÖFB-Headquarter in Aspern kommen, wird man sogar viele neue hauptamtliche Leute im Verband benötigen. Auf Ihre Frage zurückkommend: irgendwann wird es auch im Schiedsrichterwesen keine Leute mehr geben, die das ehrenamtlich machen. Deswegen glaube ich, trotz der aktuellen Situation, dass es irgendwann zu einem Profitum kommen wird. Ich traue mich aber nicht in die Zukunft zu schauen, weil ich derzeit nicht sehe, wie der Weg dorthin ausschauen könnte. Es ist jedenfalls ein weiter Weg.

 

90minuten.at: Beim letzten Kurs hätte intern jemand gesagt, das Schiedsrichterwesen in Österreich sei auf einem guten Weg. Unterschreiben Sie diese Aussage?

Sedlacek: Ich würde es unterschreiben, ja. Aber: Ich vertrete die Meinung, dass die Zeiten, wo wir überall Leute hatten, auch im absoluten Spitzenbereich, vorbei sind.

 

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