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Auch in den Spiegel blicken - Die WM in Qatar und 90minuten.at [Kommentar]

Am 20. November startet mit dem Eröffnungsspiel Qatar gegen Ecuador die Fußballweltmeisterschaft. Wie soll über dieses Turnier berichtet werden? 90minuten.at hat sich entschieden.

+ + 90minuten.at PLUS – Von Georg Sander + +

 

2010 wurde die WM an Qatar vergeben. Die FIFA folgt einem Rotationsprinzip, um die Welt zu umspannen. Das kleine Emirat ist zudem der erste arabische Staat, der eine Weltmeisterschaft ausrichtet. Die Vergabe galt allerdings als umstritten, die Justiz ermittelt wegen Korruption, Schmiergeldzahlungen und Co. Thomas Kistner, Autor des Buchs „Fifa Mafia“, fragt: „Wie haben die superreichen Ölscheichs wohl die korrupten Funktionäre der Fifa überzeugt?“

Und dennoch wird im Winter nun gekickt. Wie soll eine Fußballwebsite wie 90minuten.at damit umgehen?

 

Fußball in einer komplizierten Welt

Bei vielen anderen Turnieren geht es um das Rundherum. Wer erinnert sich nicht an die tolle Stimmung 2008, als die Euro unter anderem in Österreich stattfand? Das deutsche Sommermärchen zwei Jahre zuvor, die Vuvuzelas (mit heftigen Diskussionen darüber) zwei Jahre später und so weiter. Das wird in Qatar nicht der Fall sein. Das Emirat führt zwar keinen direkten Angriffskrieg, es gibt aber Vorwürfe der Terrorfinanzierung, etwa der libanesischen Hisbollah oder der Al-Quaida-nahen Al-Nusra-Front, die in Syrien aktiv war bzw. ist. Mit dem Iran unterhält man beste Beziehungen. Qatar gilt laut NGOs als „nicht frei“, die Arbeitsmigrant:innen, die unter anderem die Stadien bauten, leben unter schlechten Bedingungen. Frauen werden staatlich und gesellschaftlich diskriminiert, sie dürfen etwa nur nach Zustimmung eines Vormunds heiraten. Homosexualität ist verboten und wird mit mehreren Jahren Haft bedroht. Kurz: katastrophale Zustände, gepaart mit Sportwashing und globaler Einflussnahme dank fossiler Brennstoff-Dollars.

"Denkt man weiter, könnte man auch die toten Gastarbeiter vor der WM mit jenen Menschen vergleichen, die die EU an den Grenzen sterben lässt. Wer auf andere zeigt, muss auch in den Spiegel blicken." - Georg Sander

Allerdings darf der Verweis auf das kleine Land nicht den großen Westen aus der Verantwortung nehmen. Auch wenn in Österreich immer alles "richtig" gemacht wird, ist nicht alles rosig, was wir anderen vorwerfen. Ein paar Beispiele: Einfach nur Stichwort WKStA. Oder vier Euro Stundenlohn und 14 bis 15 Stunden Arbeit pro Tag, so ging/geht es Erntehelfer:innen aus Rumänien in Niederösterreich. Das Innenministerium lässt hier verwurzelte Kinder mit Spezialeinheiten abholen und widerrechtlich außer Landes bringen. Die komplette rechtliche Gleichstellung homosexueller Ehepaare kam in Österreich nicht von der Politik, sondern vom Verfassungsgericht. In Summe wohl weniger „schlimm“ als in Qatar. Denkt man weiter, könnte man auch die toten Gastarbeiter vor der WM mit jenen Menschen vergleichen, die die EU an den Grenzen sterben lässt. Wer auf andere zeigt, muss auch in den Spiegel blicken.

 

Das Leder rollt, wir schreiben

90minuten.at wird über diese Themen berichten – und über Fußball. Das Spiel mit dem runden Leder ist das Kerngeschäft, zugegebenermaßen. Aber die Spiele selbst, um mögen sie ungewöhnlicherweise auch im Winter stattfinden, sind doch ein Zeichen, dass in dieser immer verrückter werdenden Welt doch auch eine kleine Sphäre existiert, in der nach relativ klaren Regeln Menschen aus aller Herren und Frauen Länder 90 Minuten lang inne halten, zusammen auf die Bildschirme schauen und sich der schönsten Nebensache der Welt erfreuen.

Die Redaktion wird berichten, analysieren und ansprechen, was da in Qatar passiert. Auch wenn es nicht in die Zeit und vor allem an diesen Ort passen will: Wenn wildfremde Menschen gemeinsam Siege bejubeln und Niederlagen beweinen, sich in die Arme fallen und einander trösten, diese Freiheit sollte man sich nicht von korrupten Menschenfeinden nehmen lassen.

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