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Sturm Graz: Entwicklung schlägt Steirertum [12 Meter]

Sturm setzt in seiner Transferpolitik voll und ganz auf Entwicklungspotenzial – sportlich und/oder finanziell. Nationalität und regionale Identität spielen im Kader keine Rolle. Zudem ist die Akademie im aktuellen Zustand nicht wettbewerbsfähig. Andi Schicker hat damit Erfolg, geht aber auch ein gewisses Risiko ein.

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Sturm hat als voraussichtlich letzte Aktivität in dieser Übertrittszeit den Torhüter Arthur Okonkwo verpflichtet. Der fast zwei Meter große Brite wurde von Arsenal bis Saisonende ausgeliehen. Gespielt hat Okonkwo bislang bei Crewe Alexandra in der League Two, um Spielpraxis zu bekommen, ist er doch bei den Gunners nur dritter Tormann. Nichtsdestotrotz ist der erst 21 Jahre junge Keeper einer, auf den man mittelfristig im Norden Londons setzt. Das versicherte Per Mertesacker, seines Zeichens Leiter der Arsenal-Akademie, gegenüber Sturm-Sportchef Andi Schicker. Deshalb sei auch nur eine Leihe ohne Kaufoption möglich gewesen.

 

Geschäftsfeld Spielerentwicklung

Fakt ist: Okonkwo ist gekommen, um zu spielen. Der langjährige Stammtorhüter in Graz, Jörg Siebenhandl, hat bekanntlich keinen neuen Vertrag bekommen und wird Sturm spätestens im Sommer verlassen. Die Entscheidung wurde dem Spieler im November 2022 kommuniziert, inklusive der Tatsache, dass eine etwaige Neuverpflichtung vorzugsweise auch ab Februar schon eingesetzt würde. Diese Geschichte hat natürlich eine hochemotionale Komponente. Siebenhandl war jahrelang eine Stütze des Vereins und er ist beim Publikum beliebt. In enger Abstimmung mit dem Trainerteam, und hier insbesondere Tormanntrainer Stefan Loch, hat Sportchef Schicker aber die Notwendigkeit eines neuen Profils im Tor definiert. Im Grunde ein normaler Prozess in der sportlichen Entwicklung eines aufstrebenden Vereins.

"Andi Schicker legt den Fokus ganz eindeutig auf Entwicklungspotenzial. Die Nationalität und die regionale Komponente seien nachrangig, sagt er auf Nachfrage auch selbst dazu. Die Tugenden und die Fähigkeiten der Spieler stehen im Vordergrund." - Jürgen Pucher über die Kaderplanung

Trotzdem ist es eine sensible Angelegenheit, vor allem wenn man sich die generelle Strategie Sturms auf dem Transfermarkt ansieht. So wurde etwa in diesem Winter Bryan Teixeira von Lustenau verpflichtet, zugleich musste aber Vincent Trummer, Eigenbauspieler der Grazer, den Klub verlassen. Andi Schicker legt den Fokus ganz eindeutig auf Entwicklungspotenzial. Die Nationalität und die regionale Komponente seien nachrangig, sagt er auf Nachfrage auch selbst dazu. Die Tugenden und die Fähigkeiten der Spieler stünden im Vordergrund. Der vor ein paar Jahren ausgerufene „steirische Weg“ bezieht sich nur noch auf die Geschäftsstelle. Am Feld tummelt sich mittlerweile ein gutes Dutzend Nationen. Und natürlich ist das ein Geschäftsmodell, das Sturm für sich erschließt. Die Role Models Kelvin Yeboah und Rasmus Hojlund haben es schon vorgezeigt. Beide wurden nach Graz geholt, waren schnell Leistungsträger und haben Liebenau um ein Vielfaches der Investitionssumme wieder verlassen.

Fallhöhe ist groß

Diese Strategie funktioniert aktuell, weil es ein Trainerteam gibt, das es offenbar drauf hat, junge Spieler mit Potenzial sehr schnell zu integrieren und weiterzubringen. Zudem ist dieser Weg für den Sportchef auch ein wenig der einzig gangbare, kommt doch aus der Akademie mit den derzeitigen Möglichkeiten nicht genug nach oben, womit auf dem aktuellen sportlichen Level gleich gearbeitet werden kann. Die geplanten Investitionen in diesem Bereich werden noch länger nicht greifen, besonders dann nicht, wenn die bettelarme und nicht fußballaffine Politik in Graz und der Steiermark bei der Unterstützung weiter zögert und zaudert.

"Bei einem Einbruch, werden die Argumente im Stil „Söldnertruppe ohne Bindung zum Klub“ schnell bei der Hand sein" - Jürgen Pucher

Das heikle an der Sache ist, dass sich der Wind sehr schnell dreht. Solange Sturm den Aufwärtstrend fortsetzen kann und Schickers Einkäufe weiter einschlagen, wird es zwar da und dort Leute geben, die die zu bewahrende regionale Identität einmahnen, die Grundstimmung wird aber positiv bleiben. Gibt es aber einen Einbruch, werden die Argumente im Stil „Söldnertruppe ohne Bindung zum Klub“ schnell bei der Hand sein. Und ein Einbruch kann schnell passieren. Das Trainerteam geht und die Nachfolge verläuft nicht reibungslos. Oder noch unmittelbarer: Der neue Tormann hat einen schlechten Start und die Rufe nach Siebenhandl werden laut. Einem altgedienten Helden verzeiht man Patzer, einem Neuling ohne Bindung zum Klub weniger. Die Strategie der Entwicklungsplattform Sturm ist im Moment sportlich und finanziell sehr erfolgreich. Bei einer solchen Strategie ist die Fallhöhe aber bei weitem höher als bei einer konservativen Aufbauarbeit mit Einbeziehung des eigenen Nachwuchses. Dieses Risiko nimmt Andi Schicker ganz bewusst in Kauf.

 

Okonkwo bis 2024?

Ein Risiko sei es auch, so meinen viele, einen langjährigen stabilen Torhüter durch einen zu ersetzen, der nur bis Sommer ausgeliehen ist. Außerdem greife das finanzielle Argument nicht, da es keinen potenziellen Weiterverkauf gäbe. Schicker hält dem entgegen, dass auf der Torhüterposition mit Weiterverkäufen generell kein Geschäft zu machen sei. Außerdem laufen längst Gespräche mit Arsenal, im Falle beidseitiger Zufriedenheit, die Leihe von Arthur Okonkwo auf die nächste Saison auszudehnen. Sollte sich Sturm wieder für die Europa League qualifizieren, sei das Interesse in London groß, einen Perspektivspieler auf diesem Niveau beobachten zu können, sagt Schicker.

Im Sturmtor steht also, so keine Verletzung passiert, im Cup gegen Red Bull Arthur Okonkwo. Ob Siebenhandl als Nummer zwei auf der Bank sitzt, wird sich weisen. Sturm würde ihm im Falle eines Angebots keine Steine in den Weg legen. Wie bekannt, wäre in Hartberg zumindest bis Sommer ein Platz frei. Mittelfristig wird wohl Luka Maric die Nummer zwei im Grazer Tor sein, viel hält man auch von Elias Lorenz, der mit erst 16 Jahren schon im Kader von Sturm II steht. Man darf in jedem Fall gespannt sein, auf die Frühjahrssaison in Schwarz-Weiß.

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