The show must go on [Euro 2020, Tag 3]
Am zweiten Spieltag der Euro 2020 stand leider nicht der Sport im Mittelpunkt. Dänemarks Christian Eriksen bricht zusammen und eine unerträglich lange Zeit fürchten alle um sein Leben. Aber die Show sollte schließlich weitergehen.
Die Spieler, besonders die Dänen, haben gerade eine absolute Ausnahmesituation durchgemacht und sollen nur kurze Zeit danach den Schalter umlegen und wieder ihrer Arbeit nachgehen?
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Die erste Halbzeit der Partie Dänemark gegen Finnland in Kopenhagen neigt sich dem Ende zu und plötzlich liegt Christian Eriksen regungslos am Rasen. Es ist sofort klar, dass es sich um keine normale Verletzungsunterbrechung handelt. Eriksen ist bewusstlos, muss reanimiert werden, dramatische Minuten vergehen mitten in einem vollkommen still gewordenen Stadion. Die dänischen Spieler bilden einen Sichtschutz rund um ihren kollabierten Kollegen. Applaus brandet erst wieder auf, als Christian Eriksen aus der Arena getragen wird. Leichte Hoffnung kommt auf, dass nicht das allerschlimmste eingetreten ist. Wenig später taucht ein Foto des Spielers auf der Bahre auf, offenbar bei Bewusstsein. Und noch ein wenig später so etwas wie Entwarnung. Eriksen sei im Krankenhaus und stabil.
Normalerweise der Moment für alle Beteiligten um durchzuschnaufen und die Dinge zu verarbeiten. Aber in Kopenhagen wird nicht einmal zwei Stunden nach dem Vorfall das Spiel wieder angepfiffen. Man hält es nicht für möglich. Im Laufe der Partie sickert durch, dass tatsächlich Christian Eriksen per Videoanruf aus dem Krankenhaus seine Mitspieler aufgefordert hat, doch bitte weiterzumachen. Gemeinsam mit dem Gegner aus Finnland entschied man sich weiterzuspielen. Aus meiner Sicht, trotz Eriksens Wunsch, eine äußerst fragwürdige Entscheidung. Die Spieler, besonders die Dänen, haben gerade eine absolute Ausnahmesituation durchgemacht und sollen nur kurze Zeit danach den Schalter umlegen und wieder ihrer Arbeit nachgehen? Wieso nicht einfach unterbrechen und ein-zwei Tage später fertig spielen? Wenn sich alle ein wenig sammeln konnten und ganz eindeutig geklärt ist, was mit Christian Eriksen passiert ist und wie es mit ihm weitergeht.
Beide Verbände hätten gut daran getan, die Rationalität vor die Emotionen zu stellen. Dass die dänischen Spieler mitgenommen waren, war nicht zuletzt im zweiten Teil des Spiels eindeutig zu sehen. Kaspar Schmeichel kassiert ein Tor, das ihm so wohl nicht oft passiert. Pierre Hojbjerg vergibt einen Elfmeter kläglich. Trotz eklatanter Überlegenheit gelingt am Ende kaum etwas. Finnland gewinnt ein Spiel 1:0, das zu diesem Zeitpunkt nicht wieder angepfiffen hätte werden sollen. Ein Kompliment muss aber an die Fans beider Teams ausgesprochen werden. Der Wechselgesang mit Christian Eriksens Namen während die Zuschauer im Stadion warteten ob weitergespielt wird, war ein Moment der in Erinnerung bleiben wird.
Kein Kompliment leider auch heute wieder für den ORF. Beim ZDF stieg man sehr bald nachdem sich abzeichnete, was geschehen war, aus der Übertragung aus und spielte eine Serie. Der ORF blieb drauf, heulende Spieler, um ein Leben kämpfende Sanitäter und eine schockierte Frau von Eriksen in Nahaufnahme inklusive. Im Studio nach dem Wiedereinstieg, zeigte das österreichische Fernsehen schließlich auch noch eine Wiederholung des Zusammenbruchs in Zeitlupe. Kann man natürlich so machen. Sollte man allerdings nicht.