Foto: © Jörg Klemme, Hamburg / pixelio.de 12Meter / 2018 / Q3

Es braucht Ruhe bei Sturm

Das neu formierte Team des SK Sturm ist in der Krise angekommen. In Zypern ist das Gegenteil eines Befreiungsschlags passiert. Vor allem für die Verantwortlichen und die Fans heißt es aber gerade jetzt: eigene Nervosität hintanstellen.

Ein 12 Meter von Jürgen Pucher

 

Der SK Sturm ist am Donnerstag gegen AEK Larnaca nicht nur aus dem Europacup ausgeschieden. Die Mannschaft wurde gedemütigt, vorgeführt und vom europäischen Hof gejagt. Ein Auftritt, der vor allem den mitgereisten Sturmfans wohl große Schmerzen bereitet hat. Nicht einmal die älteren Anhänger können sich wahrscheinlich an eine gleichwertige Blamage auf internationaler Ebene, vor allem gegen so einen durchschnittlichen Gegner, erinnern. Was schon ein wenig zu befürchten war, wird jetzt Realität werden. In Graz wird sich die schon vor der Partie in Zypern aufkeimende Nervosität linear weitersteigern.

 

Knappe Siege gegen Aufsteiger waren trügerisch

Man könne nicht zur Tagesordnung übergehen, es müsse Konsequenzen geben und die Spieler seien in der Verantwortung, liest und hört sich das übliche Floskel-Blabla nach solchen Ereignissen. Bald wird irgendein Schlaumeier die Frage: „Erreicht der Trainer die Mannschaft noch?“ irgendwo hinschreiben. Das alles geht an der Substanz der Angelegenheit vorbei. Das Nervigste und Unnötigste was außerdem jetzt vom Zaun gebrochen werden könnte, ist eine Trainerdiskussion. Wiewohl natürlich der Verlauf der bisherigen Saison nach und nach gezeigt hat, dass zu viele Komponenten in der SK Sturm-Mannschaft (und da gehört der Trainer dazu) nicht stimmen. Die knappen Siege gegen die Aufsteiger zu Beginn der Meisterschaft haben ein wenig über die Probleme hinweggetäuscht, die das Team von Heiko Vogel hat. Das „übermächtige“ Ajax Amsterdam wurde als mehr oder weniger logische Niederlage mitgenommen. Obwohl gerade in dieser Partie viele der Schwachstellen zu sehen waren.

Vogel befindet sich im Moment wieder ungefähr dort, wo er bei seiner Ankunft in Graz nach ein paar Spielen gestanden ist. Er hat mit viel Energie und Leidenschaft seiner (neuen) Mannschaft einen (neuen) Anzug angezogen, der ihr nicht passt. Damals war es Ballbesitz 4-2-3-1, jetzt hat er sein Spiel mit Dreierkette im 3-4-2-1 zu einem mit zwei Spitzen weiterentwickeln wollen, was nicht funktioniert hat. Bereits gegen St. Pölten hat Vogel begonnen zurückzurudern, das ständige Hin- und Her, sowohl personell als auch hinsichtlich der Ausrichtung, hat aber schließlich gegen Larnaca den Höhepunkt der Verunsicherung erzeugt. Selbst jene Mannschaftsteile, die weder neue Spieler noch neue Aufgaben haben, hängen in den Seilen, wie zum Beispiel die Innenverteidigung, egal ob in Dreier- oder Viererkette.

(Artikel wird unterhalb fortgesetzt)

Verunsicherung in allen Bereichen

Viele Leistungsträger der letzten Saison, die noch in Graz spielen, sind zusätzlich komplett neben sich. Peter Zulj hat der Transferrummel um seine Person sichtlich aus der Bahn geworfen. Bei seinen aktuellen Leistungen könnte sich das dann aber von selbst erledigen, marktwertsteigernd waren seine Auftritte bisher nicht. Ganz wird sich dieses Thema aber wohl erst mit 31. August gelöst haben. Der Klub wird Zulj angesichts eines immer noch möglichen Top-Angebots nicht frühzeitig zum Verbleib verpflichten können und wollen. Dario Maresic hat sich nach seiner Entscheidung für Sturm im Sommer auch in ein Wellental begeben. Der Innenverteidiger, der letzte Saison trotz seiner Jugend ein Fels in der Abwehrbrandung war, stolpert heuer von einem Fehler zum nächsten. Angesichts seines Alters aber wohl eine einzukalkulierende Schwankung, speziell dann wenn ihm seine Neben- und Vorderleute so gar keine Hilfe sind. Auch Fabian Koch oder sogar Goalie Siebenhandl sind weit von ihrer Normalform entfernt.

Die grundsätzliche Verunsicherung, an der der übermotivierte Trainer mit seiner erneuten Neuausrichtung des ganzen Konstrukts sicher seinen Anteil hat, war auch Gift für die vielen Neuzugänge in der Mannschaft. Neue Leute brauchen stabilisierende Elemente, wenn sie schnell funktionieren sollen und müssen. Die fanden sie nicht vor und Leute wie Markus Pink, Philipp Hosiner oder Markus Lackner kommen mit der ihnen zugedachten Rolle auch deshalb nicht zurecht, weil auch die schon dagewesenen Kollegen ihnen dabei nicht helfen können. Für Sandi Lovric, der seine viele Spielzeit heuer nicht wirklich nützen kann, gilt Ähnliches. Das bald ewige Talent bräuchte einmal viele Einsätze am Stück in einem funktionierenden Team.

 

Fans, Kreissl und Jauk gefordert

Filipe Ferreira und Tasos Avlonitis, international erprobte Routiniers, ist bis jetzt ebenfalls kein guter Auftritt gelungen und Lukas Grozurek hat entweder niemand gesagt, dass es auf der Außenbahn auch Defensivarbeit zu verrichten gibt, oder er hat es vergessen. Trotz vieler Umstellungen und Rotation mehr oder weniger durch den ganzen Kader, ist Heiko Vogel seit Saisonbeginn immer noch auf der Suche nach „seiner“ Mannschaft für die heurige Spielzeit. Leider zu einem Gutteil auch selbstverschuldet, durch die wieder recht radikale Neuausrichtung in nur einer kurzen Vorbereitung. So ist der Cupsieger-Bonus medial schnell verspielt und vor allem die alten Foda-Fans in Graz werden bald auch laut ihre Zweifel am aktuellen Sturm-Coach kundtun.

Eine aufkommende Trainerdiskussion gilt es zu diesem Zeitpunkt aber tunlichst im Keim zu ersticken. Heiko Vogel hat letzte Saison gezeigt, dass er sich weiterentwickeln kann und ausreichend Flexibilität besitzt, um seine ersten Ideen zu hinterfragen und sich immer wieder neu auszurichten. Dem 42-Jährigen nach dem verpatzten Start, und das war er, das können auch zwei knappe Siegen gegen voraussichtliche Liganachzügler nicht kaschieren, schon die Rute ins Fenster zu stellen, wäre nicht zielführend auch im schnelllebigen Fußballgeschäft äußerst verfrüht. Sportdirektor Günter Kreissl, Präsident Jauk und vor allem auch die Fans in der Kurve sind gefordert, dem Mann jetzt den Rücken zu stärken, den sie vor ein paar Wochen in Klagenfurt noch frenetisch bejubelt haben. Auch wenn Vogel durch seine patzigen TV-Interviews immer wieder auch selbst noch Öl ins Feuer gießt. Wenn die anderen Teile des Klubs jetzt selbst nervös werden, dann nehmen sie dem Coach die Chance, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Das Umfeld ist gefragt, die Nervosität klein zu halten, ein großer Teil der Medienlandschaft wird nämlich keine Hilfe sein.

 

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