Foto: © GEPA 12Meter / 2017

Product Placement füllt kein Stadion

Georg Sander war am Donnerstag an dieser Stelle auf der Suche nach den fehlenden Fans im Red Bull-Stadion. Er bemängelte das Fehlen einer ‚Erzählung‘ in Salzburg. Dabei fehlt noch so viel mehr. Eine Replik.

Ein 12 Meter von Jürgen Pucher

 

Der hier folgende Text entstand im Zuge einer Diskussion mit dem 90minuten.at-Kollegen Georg Sander. Er hat am Donnerstag über die Gründe für das Ausbleiben der Fans bei Red Bull geschrieben und mich dazu im Vorfeld über die Geschichte, das Narrativ, zum SK Sturm gefragt. Er zitiert mich in seinem Text mit der Wiederauferstehung nach dem Beinahe-Konkurs vor zehn Jahren. Gesagt habe ich aber viel mehr und diskutiert haben wir dann noch länger, was denn nun die Gründe für die leere Hütte in Wals-Siezenheim sind. Wir wurden uns nicht einig. Und deshalb kann auch sein Text vom Donnerstag hier nicht unwidersprochen stehenbleiben, weil ich die Argumentation zwar schlüssig vorgetragen sehe, sie aber auf den falschen Grundannahmen aufbaut.

 

Produkte binden keine Fans

Georg Sander beginnt seinen Text damit, das Fehlen von Ereignissen mit emotionalem Wert bei Red Bull festzuhalten. „Quantitativ bleiben dann eben die Zuschauer aus, auch wenn das Produkt (= attraktiver Fußball) grundsätzlich stimmt“, heißt es weiter. Die Annahme, dass das „Produkt“, wenn es hübsch und ansehnlich ist, ausreicht, um ein Stadion zu füllen ist natürlich langfristig eine Fehlannahme. Sander hat auch recht, wenn er sagt, es fehlen die Momente von emotionalem Wert bei Red Bull. Er setzt diese aber im Grunde mit Erfolgen gleich. Und das greift zu kurz. Es ist bei weitem nicht nur das schöne und erfolgreiche Spiel, das die Massen in Bewegung setzt. Allein das Beispiel „meines“ Vereins, des SK Sturm, steht dem diametral entgegen. Es gab in Graz jahrzehntelang kaum zählbaren Erfolge. Am Rasen wurde außerdem mehr gekratzt und gebissen, als gespielt. Trotzdem war der Klub meistens ein Phänomen für die Massen. In Salzburg wären genauso wenig Fans in der Bundesliga vor Ort, wäre die Mannschaft einmal in die Champions League Gruppenphase eingezogen. Im Europacup haben sich Gloryhunter gefunden, die in erster Linie den Gegner sehen wollen, aber nachhaltig ist so etwas nicht.

 

Außerdem: Red Bull ist österreichischer Abo-Meister, wären Erfolge allein der Magnet für das Publikum, müsste das doch reichen, oder? Acht Titel sind eine Erzählung. Dass sie dort keinen emotionalen Wert haben, liegt daran, dass es kaum jemanden wirklich berührt. Das widerspricht auch der nächsten These von Georg Sander, dass es bei der nötigen „Erzählung“ vor allem um Geschichten und Momente aus jüngerer Vergangenheit geht. Die Aura, die einen Klub umgibt, die Geschichten, die erzählt werden, das sind sehr oft solche, wo sehr viele, die sie weitererzählen bei weitem noch nicht geboren waren, als sie stattgefunden haben. Das sind die Orte der Erinnerung, das ist das Narrativ, das einen Fußballverein ausmacht. Und nicht nur das, woran sich auch die jungen Fans noch erinnern können. Sander schreibt, jeder Teenager im Wiener Westen würde wissen wo er war, als Rapid in Salzburg 7:0 gewonnen hat und in Graz, als der Verein nur knapp dem Konkurs entging. Diese jungen Fußballfans können aber auch erzählen, wer Ernst Happel war und warum die Gruabn in der Murstadt ein besonderer Ort ist. Obwohl sie den einen nie gesehen und das andere nie bei einem Bundesligaspiel betreten haben. Die Liste ließe sich sehr lange fortsetzen.

"Das „Produkt“ – und nein, das ist nicht einmal der Fußball, das ist die Dose – muss im Vordergrund bleiben. Da ist kein Platz für auf einzelne Spieler fokussierende Heldengeschichten oder Momente und Orte der Erinnerung. Ja, da ist nicht einmal Platz für einen Stern am Trikot nach zehn Meistertiteln." - Jürgen Pucher

Kein Platz für Helden und Sterne

Das kann bei Red Bull niemals geschehen. Nicht nur aufgrund der erst sehr kurz andauernden Existenz. Auch deshalb nicht, weil es von der Führung nicht gewünscht wird. Das „Produkt“ – und nein, das ist nicht einmal der Fußball, das ist die Dose – muss im Vordergrund bleiben. Da ist kein Platz für auf einzelne Spieler fokussierende Heldengeschichten oder Momente und Orte der Erinnerung. Ja, da ist nicht einmal Platz für einen Stern am Trikot nach zehn Meistertiteln. Das lenkt vom „Produkt“ ab. Und nicht alle Titel wurden unter der Knute der Marketingmaschine Red Bull gewonnen. Bei drei Meisterschaften hieß das noch Austria Salzburg und das Ganze war eine (heute störende) Erzählung. Dort waren aber die Fans. Und nicht nur bei den großen Europacup-Fights. Auch das Stadion Lehen in der Bundesliga platzte bei Spitzenspielen aus allen Nähten. Red Bull hat gerade wieder die Gruppenphase der Europa League gewonnen. Zum letzten Heimspiel, als der Aufstieg gegen Vitória de Guimarães fixiert werden konnte, kamen 6.500 Fans.

 

Das sind weniger als bis vor kurzem beim Drittligaderby Wiener Sportclub gegen Vienna regelmäßig in Dornbach oder auf der Hohen Warte waren. Weil es dort eben eine Erzählung gibt. Und die hat schon lange nichts mehr mit Erfolgen zu tun. Mit schönem Spiel schon gar nicht. Der Fußball und vor allem der Fan, damit er eine Beziehung aufbauen kann, braucht viel mehr. Es braucht das Gefühl der Zugehörigkeit, Teil einer Idee, einer Einstellung zu sein. Man muss spüren, dass das ein guter Ort ist, wo man da hingeht. Es braucht Identifikationspunkte und –momente. Wenn ein Klub aus der Retorte, der nicht gewachsen ist, noch dazu verhindert, dass bindende Elemente entstehen, dann ist das Ergebnis ein leeres Stadion. Dass den Salzburger Sportchef Christoph Freund das ‚wundert‘, wundert wiederum mich. Es ist nur logisch.

 

In Wirklichkeit haben die Red Bull-Jünger kein Interesse an Dingen wie Fankultur, Tradition oder eben der, von Georg Sander konstatierten, fehlenden Erzählung. Sie wollen ihr Produkt platzieren, am besten in der „Eliteliga“. Deswegen wird die Salzburger Franchise mittlerweile auch links liegen gelassen und ist nur mehr ein Durchhaus für das Premiumprodukt in Leipzig.

 

Dietrich Mateschitz soll einmal auf die Frage nach der fehlenden Tradition, eben der fehlenden Erzählung, sinngemäß gesagt haben: „In hundert Jahren ist das wurscht.“ Erstens stimmt das nicht, weil der Fußball im Fuschl-Headquarter eben, wie auch vom Kollegen Sander, als „Produkt“ bezeichnet und gelebt wird. Dieses Fußball-Produkt kauft man, wenn man es gerade brauchen kann. Zum Beispiel, wenn es gegen Bayern München oder Real Madrid geht. Und es existiert außerdem nur so lange, wie für den Verkäufer ein Nutzen am Anbieten desselben ersichtlich ist. Das führt zu zweitens: Die Mateschitz-Aussage wird nicht veri- oder falsifiziert werden können, weil in weit weniger als hundert Jahren dieses Fußball-Produkt vom Markt längst verschwunden sein wird.

 

Im Vergleich dazu: So sieht Georg Sander das "Red Bull Problem"

Die WM-Trikots von Uruguay

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