Viel Kritik hagelte es an den Transferaktivitäten des SK Sturm im vergangenen Sommer. Der Sportdirektor Michael Parensen hätte alles verschlafen, wäre zu zögerlich gewesen und die Grazer seien in dieser Saison mehr oder weniger nicht mehr konkurrenzfähig. Der regierende Meister des Landes ist in seinen Aktivitäten der letzten Wochen sicher nicht kritikfrei zu entlassen. Die Heftigkeit, mit der insbesondere Parensen persönlich angegriffen wurde und wird, ist aber nicht gerechtfertigt.
Fehlende Zwischentöne
Das ist eines der Themen, in letzter Zeit das öffentlichkeitswirksamste beim SK Sturm, wo eine differenzierte Einordnung des Status Quo inzwischen komplett flöten gegangen ist. Es gibt nur noch hopp oder tropp, gut oder böse, schwarz oder weiß. Wenn wir bei der Transferzeit bleiben:
Ja, der Kader muss im Vergleich zur letzten Saison sicher den einen oder anderen Abstrich machen und auf so mancher Position ist man nach diversen Abgängen nicht optimal besetzt, Stichwort Außenverteidigung. Aber: Was man sich am Transfermarkt in Abstimmung mit dem Trainerteam vorgenommen hat, sei erledigt worden und immerhin kam mit Maurice Malone der Wunschstürmer von Trainer Jürgen Säumel.
Die weit verbreitete Unfähigkeit vieler Beobachter, die Dinge vernünftig einzuordnen, ist aber dann doch immer wieder erschreckend.
Zudem waren Mika Biereth sowie die Leihspieler Malick Yalcoue und Kjell Scherpen Ausnahmekönner, die sich schlichtweg nicht jede Saison in die österreichische Liga verirren, auch dann nicht, wenn der beste Sportchef der Welt am Werk ist. Dazu kommt der Umstand, dass Sturm sehr viel Geld in die Infrastruktur investiert und dafür beim Spielereinkauf ein wenig defensiver agieren musste. Wen eine Einordnung durch die handelnden Personen interessiert, der kann sich das im Podcast "BlackFM" anhören.
Die absolute Meinung dominiert
Alle genannten Umstände wurden richtig schlecht kommunikativ begleitet, wie wiederholt an dieser Stelle berichtet, und man hat sich die Unruhe im Umfeld deswegen teilweise auch selbst zuzuschreiben. Die weit verbreitete Unfähigkeit vieler Beobachter, die Dinge vernünftig einzuordnen, ist aber dann doch immer wieder erschreckend.
Zudem wird alles zugespitzt und in absoluter Meinungshoheit in die Kommentarfunktionen hineingeschrieben. Und das nicht nur von solchen, wo man nichts anderes erwarten würde. Das Europa League-Spiel gegen den FC Midtjylland am Mittwoch ist ein weiteres gutes Beispiel dafür, dass es in der Analyse und Nachbetrachtung bei vielen keine Graustufen mehr gibt.
Eine überzogene Erwartungshaltung gepaart mit dem Irrsinn, den viele in Dauerschleife überall absondern, wo es ihnen erlaubt wird, wird Sportchef, Trainer und Spieler bei den Schwoazn nicht zur Ruhe kommen lassen.
Sturm spielte, wieder ohne Otar Kiteishvili, keine ganz schlechte Partie in Dänemark. Man konnte sehen, dass die Grazer konkurrenzfähig sind und die Gegner in der Europa League freilich weniger weit weg sind als noch letzte Saison in der Champions League. Probleme gab es ganz vorne, wo man nicht zwingend werden konnte, die Standards waren zudem nicht gut und insgesamt war das schlichtweg zu harmlos. Tormann Oliver Christensen zeichnete sich in der Partie einige Male aus, am Ende führten aber zwei grobe Schnitzer von ihm zu den beiden Gegentoren.
Zu hohe Erwartungshaltung gepaart mit Social-Media-Irrsinn
Im Nachgang bekommt man dann allerdings vielerorts zu lesen: Dieser Tormann, den man ausgeliehen hat, ist eine komplette Niete, der Kader nicht zu gebrauchen und man sollte den "Piefke" (Sportchef Micha Parensen) doch bitte endlich vom Hof jagen. Nur um das auch festzuhalten: Es handelt sich dabei um Fans dieses Teams, das gerade noch zum zweiten Mal in Folge Meister wurde.
Bleibt diese Gemengelage rund um den SK Sturm in den nächsten Wochen so, wird das keine einfache Saison für die Schwoazn werden. Eine überzogene Erwartungshaltung gepaart mit dem Irrsinn, den viele in Dauerschleife überall absondern, wo es ihnen erlaubt wird, wird Sportchef, Trainer und Spieler bei den Schwoazn nicht zur Ruhe kommen lassen, es sei denn, man startet eine Siegesserie.
Da diese in einer Saison des Umbruchs, eine Beschreibung, die endlich auch wieder in den Sprachgebrauch der Sturm-Verantwortlichen gefunden hat, eher unwahrscheinlich ist, bräuchte es – neben einer verbesserten Kommunikation des Vereins – rundherum Besonnenheit und Geduld. Allein mir fehlt der Glaube, dass ausreichend viele Menschen, die sich für Sturm interessieren, dazu in der Lage sind.
Jürgen Pucher ist Buchautor, Politikwissenschaftler, Fußballjournalist und praktizierender Sturmfan in Wien. Der Steirer war Mitgründer der Fanplattform Sturm12.at. Seit 2015 ist Pucher als Betreiber des Podcast BlackFM aktiv, der sich den "Schwoazn" widmet. Für 90minuten.at schreibt er in regelmäßigen Abständen die Kolumne "12 Meter".