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Der Korruptionsstaatsanwalt ermittelt gegen den ÖFB-Präsidenten

Eine zweifelhafte 100.000-Dollar-Spende des langjährigen Fifa-Chefs Sepp Blatter kurz vor dessen geplanter Wiederwahl im Jahr 2015 bringt Leo Windtner in die Bredouille. Die Wiener Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat offizielle Ermittlungen gegen den obersten Repräsentanten des österreichischen Fußballs eingeleitet. Das Geld floss am Ende direkt an eine Privatinitiative in Oberösterreich.

Von Michael Fiala (90minuten.at) und Rainer Fleckl (Addendum)

 

Paukenschlag im österreichischen Fußball: Die Wiener Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat offizielle Ermittlungen gegen Leo Windtner aufgenommen. Dies bestätigte die Behörde in der Vorwoche auf Anfrage von Addendum und 90minuten.at, die seit Anfang Dezember gemeinsame Recherchen in dieser Thematik betreiben. Der ÖFB-Präsident, der seit dem Jahr 2008 an der Spitze des größten Sportverbandes steht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, bei einer 100.000-Dollar-Spende durch den in Verruf geratenen Ex-Fifa-Boss Sepp Blatter intransparent und rechtlich fragwürdig agiert zu haben. Das Geld war im Jahr 2015, kurz vor Blatters geplanter Wiederwahl, auf einem Konto einer Sozialinitiative bei der Linzer Oberbank gelandet, als deren Schirmherrin Windtners Ehefrau fungiert.

 

Das System Blatter

Gut möglich, dass Leo Windtner die Tragweite seines sportpolitischen Handelns bis heute nicht vollständig realisiert hat. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die Rechtfertigung des 67-jährigen Oberösterreichers nach wie vor lautet, das Geld sei doch einem Fußballprojekt in den Slums von Kenia zugeflossen; niemals sei auch nur ein Euro missbräuchlich verwendet worden. Dergleichen hat freilich auch niemand jemals behauptet. Tatsächlich geht es um mehr als eine 100.000 Dollar-Spende. Es geht um Macht und deren möglichen Missbrauch. Um Macht und deren Erhalt. Um den Versuch, sich eines Systems zu bedienen, wie es unter Blatter über viele Jahre beim Weltfußballverband Fifa bestanden haben soll. Um das System Blatter, ein Geben und Nehmen, mit dem der heute 82-jährige Schweizer seine Position über Jahre geschickt halten und ausbauen konnte. Wer mit diesem System einen Doppelpass spielt, läuft zwangsläufig Gefahr, am Ende selbst im Strafraum zu stehen.

 

Es war einmal in Marrakesch

Recherchen des Magazins News im Frühjahr 2015 ergaben, dass sich Leo Windtner bereits im Sommer 2014 intensiv um eine Förderung der Fifa bei Fußballboss Blatter bemüht hatte. Am Rande des „Camp Beckenbauer“, einer Diskussionsveranstaltung der mittlerweile ebenfalls ins Zwielicht geratenen deutschen Fußballlegende mit dem Beinamen „Kaiser“, warb der ÖFB-Präsident bei Sepp Blatter intensiv um eine Zuwendung für das karitative Projekt seiner Frau, das nicht nur in Oberösterreich eine Reihe von prominenten Unterstützern um sich geschart hatte. Windtner reichte Unterlagen ein, von denen sein Verband, der österreichische Fußballbund, offiziell keine Kenntnis hatte.

 

Am 18. Dezember 2014 genehmigte die Finanzkommission der Fifa bei einem Kongress in Marrakesch die 100.000 Dollar für das Windtner-Projekt. Nur wenige Wochen, nachdem sich Windtner in einem 90minuten.at-Interview deutlich für Blatter als Fifa-Präsident ausgesprochen hatte. „Ich sehe derzeit keine Alternative, aber ich lasse mich gerne überraschen“, meinte der ÖFB-Präsident damals selbstbewusst. Das Geld sollte – wie Fifa-intern für derartige Zuwendungen. eigentlich vorgeschrieben – dem offiziellen ÖFB-Konto für Entwicklungsprojekte gutgeschrieben und darüber abgerechnet werden. Und: Der ÖFB hätte die Förderungsverwendung dem Weltfußballverband gegenüber abrechnen und belegen müssen.

 

Erboster ÖFB-General

Als die Fifa den ÖFB Anfang Jänner 2015 über die 100.000-Dollar-Entscheidung informierte, entwickelte sich hektische Betriebsamkeit. Alfred Ludwig, der mittlerweile pensionierte Generaldirektor des ÖFB, schrieb Windter einen erbosten Brief. Inhalt: „Der ÖFB ist, wie schon schriftlich festgehalten, nicht in das Projekt Acakoro involviert und hat auch keinen Förderantrag gestellt.“ Er könne daher die 100.000 Dollar auch nicht auf einem seiner Konten aufnehmen, da es unmöglich sei, die Mittelverwendung für eine Initiative in Afrika zu kontrollieren (siehe Faksimile).

Korrespondenz Causa Windtner, Teil 1

Korrespondenz Causa Windtner, Teil 2

Korrespondenz Causa Windtner, Teil 3

Korrespondenz Causa Windtner, Teil 4

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Der ÖFB ist „in keiner Weise involviert“

Was tut Leo Windtner? Er bedankt sich beim Fußballweltverband für die großzügige Unterstützung, bittet den Fifa-Generalsekretär jedoch tags darauf um eine neue Form der Abrechnung: „Hinsichtlich der finanziellen Abwicklung hätte ich jedoch gebeten, dass die Transaktion samt Abrechnung nicht über den ÖFB, sondern direkt über die ausrichtende Projektorganisation (…) durchgeführt wird, weil der ÖFB das Projekt zwar auch finanziell unterstützt hat, jedoch sonst in keiner Weise involviert ist.“

Doch damit ist das Ping-Pong zwischen dem Fifa-Headquarter in Zürich und der ÖFB-Zentrale in Wien keineswegs beendet. Im März 2015 betont der stellvertretende Fifa-Generalsekretär in einem Brief an den „sehr geehrten Präsidenten“, dass die 100.000 Dollar vom Fifa-Finanzkomitee in Marrakesch nur unter der Bedingung bewilligt worden wären, den Betrag dem ÖFB gutzuschreiben. Der Antrag sei zudem „durch den ÖFB eingereicht“ worden. „Aus diesem Grund werden wir die 100.000 USD in den nächsten Tagen auf ein Konto des ÖFB überweisen (…).“

 

ÖFB schickt Geld an Fifa zurück

Tatsächlich landet das Geld im März 2015 auf einem ÖFB-Konto, wird allerdings umgehend wieder an die Fifa zurücküberwiesen. Begründung: Es habe niemals einen offiziellen ÖFB-Beschluss oder gar Antrag gegeben; der ÖFB sehe sich außerstande, die Mittelverwendung eines Privatprojektes in Kenia zu kontrollieren.

 

Wenige Tage später erfährt die Causa eine neue Dimension: Am 24. März bietet sich für Leo Windtner im Zuge des UEFA-Kongresses in Wien erneut die Gelegenheit, bei Blatter persönlich um die Förderung zu werben. Mit den Worten, „das geht noch immer nicht, Herr Präsident“ interveniert Windtner beim Fifa-Chef, der wenige Wochen später wiedergewählt werden will. Das heißt, Windtner dürfte Blatter damit zu verstehen gegeben haben, dass das Geld fürs das Projekt in Afrika noch immer nicht angekommen sei. Tags darauf, am 25. März 2015, fließt das Geld – diesmal ohne ÖFB-Umweg – auf das Projektkonto der Privatinitiative bei der Linzer Oberbank.

 

„Konkreter strafrechtlicher Anfangsverdacht“

Ebendiese Transaktion über Nacht beschäftigt nun offensichtlich die Ermittler: Hatte Sepp Blatter das Pouvoir, 100.000 Dollar der Fifa freihändig freizugeben? Hätte es nicht, wie die aufgeregte vorhergehende Fifa-Korrespondenz mit dem ÖFB-Präsidenten nahelegt, eines neuen Beschlusses des Fifa-Finanzkomitees bedurft, um den Antrag überhaupt entsprechend abzuändern? In diese Richtung hatte im Februar 2016 interessanterweise bereits ein Richter argumentiert, und zwar in einem Medienrechtsprozess, den Leo Windter aus eigenem Antrieb gegen die Mediengruppe „Österreich“ angestrengt hatte.

 

Die Begründung des Richters

Windter verlor das Verfahren in erster Instanz (nicht rechtskräftig). In der Urteilsbegründung, die Addendum vorliegt, stellt Richter Stefan Apostol nach einem ausführlichen Beweisverfahren Bemerkenswertes fest: „Demnach war selbst der Antragsteller (also Leo Windtner, Anm.) von der Raschheit der Überweisung nach seiner Intervention am UEFA-Kongress überrascht. Angesichts der Überweisung unmittelbar am dem Gespräch folgenden Tag war eine abweichende Beschlussfassung der FIFA dahingehend, dass die Bedingung der Abwicklung über den ÖFB entfalle, auch lebensnah keinesfalls annehmbar, weshalb diesbezüglich jedenfalls von einem konkreten, strafrechtlich relevanten Anfangsverdacht in Richtung des Vergehens der Untreue nach §153 Abs 1 und 3 erster Fall StGB seitens Blatter und/oder anderen Funktionären der FIFA auszugehen ist. Inwieweit dem Antragsteller (Leo Windtner, Anm.) diesbezüglich selbst ein strafrechtlicher Vorwurf wegen Bestimmungstäterschaft anzulasten ist, ist in diesem Verfahren nicht abschließend zu klären.“ Für Leo Windtner und Sepp Blatter gilt freilich die Unschuldsvermutung.

 

„Keine Alternative zu Blatter“

An dieser Stelle macht es Sinn, einen Schritt zurückzumachen, und die Chronologie der Förderung für das Privatprojekt der Windtners aus dem Blickwinkel Blatters zu betrachten: Im Sommer 2014, als Windtner am Rande des „Camp Beckenbauer“ erstmals direkt bei Blatter für das Afrika-Projekt lobbyiert, bemüht er sich laut eigenen Angaben bereits ein Jahr vergeblich um eine Förderzusage seitens der Fifa. Blatter teilt laut Windtner im Zuge des Beckenbauer-Events mit, das werde schon funktionieren. Im November gibt Windtner besagtes 90minuten.at-Interview, das mit dem Titel „Ich sehe keine Alternative zu Blatter“ überschrieben wird. Zum damaligen Zeitpunkt gibt es zum vielkritisierten Fifa-Machthaber Blatter mit Jerome Champagne bereits einen Alternativkandidaten. Im Dezember teilt die Fifa Windtner mit, dass die 100.000 Dollar fließen können. Aber eben über den ÖFB. Im März 2015 fließt das Geld dann direkt. Von der Fifa an das Projekt der Windtners in Oberösterreich.

 

Geld gegen Wohlwollen?

Hat sich Blatter damit wenige Wochen vor der Fifa-Präsidentenwahl das Wohlwollen des österreichischen Präsidenten und seines Verbandes erhofft? Windtner erklärte zu alldem stets, er habe sich nichts vorzuwerfen, das Geld sei für einen guten Zweck verwendet worden. Zu den aktuellen Ermittlungen teilt der ÖFB-Präsident mit, er habe in einer Präsidiumssitzung Anfang Dezember 2017 darüber berichtet, dass eine Anzeige des Eisenbahnersportvereins Wels bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen ihn vorliege, die im April 2017 eingebracht worden ist. "Der Anzeigeerstatter verweist dabei selbst auf eine aus seiner Sicht ungerechte Behandlung des Sportvereins durch den Oberösterreichischen Fußballverband, die somit Anlass für die Anzeige war." Gegenstand der Anzeige, bestätigt der ÖFB, sei das von der Fifa geförderte Afrika-Projekt. Zu dem mittlerweile eröffneten Ermittlungsverfahren will Windtner gegenüber der Staatsanwaltschaft Stellung beziehen. Zum Medienrechtsverfahren gegen "Österreich" verweist er auf einen rechtskräftigen Vergleich aus dem Jahr 2016: Der Herausgeber der Zeitschrift "Österreich" habe einen Beitrag für das Afrika-Projekt geleistet.

 

Hat die Fifa ein Verfahren eröffnet?

Interessant ist freilich, wie ÖFB-Präsident Leo Windtner seit Dezember auf Anfragen zu seinem aktuellen Status in der Fifa reagiert. Addendum und 90minuten.at wollten bereits vor Wochen wissen, ob es der Wahrheit entspräche, dass die Ethikkommission der Fifa bereits im Frühjahr 2017 ein Vorverfahren gegen den ÖFB-Präsidenten eingeleitet habe und er deshalb seit dem letzten Kongress auch keine offizielle Fifa-Position mehr bekleiden dürfe. Windtner antwortete stets ausweichend. Laut offiziellen Fifa-Statuten wird die Einleitung eines Verfahrens ausschließlich dem Betroffenen selbst mitgeteilt. Ursprünglich war Leo Windtner für eine Position in der Fifa-Berufungskommission vorgesehen gewesen. Das Amt bekleidet nun ÖFB-Generalsekretär Thomas Hollerer. +++ Erratum, 11. Jänner 2018: Thomas Hollerer bekleidet nicht das Amt in der Fifa-Berufungskommission. Er stand auf der FIFA-Vorschlagsliste und wurde schlussendlich in die Disziplinarkommission gewählt.

 

Zum Thema: Interview mit Leo Windtner aus dem Jahr 2014

 

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