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"Kleine Nationen" im Europacup-Finale sind eine große Ausnahme

Red Bull Salzburg kann morgen Abend gegen Olympique Marseille in das erste Europacupfinale einer heimischen Fußbballmannschaft seit Rapid 1995/96 einziehen. Wer Lazio 4:1 schlagen kann, kann auch ein 0:2 gegen Marseille aufholen. Die Teilnahme einer so kleinen Nation an einem europäischen Endspiel ist dabei eine ziemliche Ausnahme.

Von Georg Sander

 

Die Bedeutung einer Finalteilnahme von Red Bull Salzburg für den heimischen Klubfußball wäre enorm, auch wenn es ein bisschen umstritten ist, wie groß der positive Effekt des Salzburger Engagements auf die Liga ist. Aber auch über die Grenzen der Alpenrepublik hinaus wäre die Finalteilnahme eines Klubs aus einer derart kleinen Fußballnation die krasse Ausnahme. Denn von 294 Finalteilnehmern in den modernen Klubbewerben kamen nur 85 nicht aus den Ländern Spanien, Deutschland, England, Italien oder Frankreich. Das ist gerade mal ein bisschen mehr als ein Viertel.

147 Finalpaarungen, zum Teil mit Hin- und Rückspiel, gab es seit 1955/56 im 'modernen Fußball'. 62 Champions League/Landesmeistercup-Finali (ab 1955/56), 39 Finali im Cup der Cupsieger (zwischen 60/61 und 98/99), 46 Europa League/UEFA Cup-Endspiele (seit 1971/72). Österreich war in vier Finali vertreten: 1978 verlor Austria Wien gegen RSC Anderlecht das Finale des Cupsiegerwettbewerbs, Rapid tat es den Veilchen 1984/85 gegen Everton gleich. 1993/94 verlor Austria Salzburg das Finale des UEFA-Cups gegen Inter Mailand, 1996 musste sich Rapid wiederum gegen PSG im Finale des Cupsiegerbewerbs geschlagen geben.  Nicht-Top5-Nationen stellten 29 UEFA-Cup/EL-Finalteilnehmer, 30 im Cup der Cupsieger und 26 im Landesmeistercup bzw. Champions League. Der relativ hohe Anteil im Cup der Cupsieger erklärt sich quasi selbst, weil es eben in der Regel nur einen Cupsieger pro Nation gab, der an diesem Bewerb teilnahm.

Doch es wäre gut, den Kreis der Topnationen noch etwas weiter zu sehen. Denn bei den 85 sind Vertreter der Sowjetunion (also heute russische, ukrainische oder georgische Vertreter), den Niederlanden oder Portugal mit dabei. Aktuell (Access list 2017/18) bestehen die Top10 der Fünfjahreswertung aus den erwähnten großen fünf Ligen plus Russland, Portugal, der Ukraine, Belgien und den Niederlanden - was hinsichtlich der Jahre seit 1955 eine ziemlich zutreffende Auswahl ist. Fragt man also: Wie viele aktuell nicht Top10-Nationteilnehmer gab es in den 294 Europacupfinali, lautet die Antwort 31 in 30 Endspielen (Anm.: DDR gilt wie das ehem. Yugoslawien als 'kleine' Nation).

 

Alle Finalspiele mit Beteiligung kleiner Nationen

(Legende: CL = Landesmeistercup & Champions League, EL = UEFA-Cup & Europa League, C = Cup der Cupsieger; enthalten sind die Spiele, an denen nicht nur Teams der aktuellen Topten teilnahmen)

1960/61: AC Florenz - Glasgow Rangers 2:0, 2:1 (C)

1963/64: Sporting - MTK Budapest 3:3 nV, 1:0 WH-Spiel (C)

1966/67: FC Bayern - Glasgow Rangers 1:0 nV (C)

1965/66: Real Madrid - Partizan Belgrad 2:1 (CL)

1966/67: Celtic Glasgow - Inter Mailand 2:1 (CL)

1968/69: Slovan Bratislava - FC Barcelona 3:2 (C)

1969/70: Manchester City - Gornik Zabrze 2:1 (C)

1969/70: Feyenoord - Celtic Glasgow 2:1 nV (CL)

1970/71: Ajax Amsterdam - Panathinaikos Athen 2:0 (CL)

1971/72: Glasgow Rangers - Dynamo Minsk 3:2 (C)

1973/74: Magdeburg - AC Mailand 2:0 (C)

1974/75: Dynamo Kiew - Ferencvaros Budapest 3:0 (C)

1977/78: RSC Anderlecht - Austria Wien 4:0 (C)

1978/79: Roter Stern Belgrad - Borussia Mönchengladbach 1:1, 0:1 (EL)

1978/79: Nottingham Forrest - Malmo FF 1:0 (CL)

1980/81: Dinamo Tiflis - Carl Zeiss Jena 2:1 (C)

1981/82: IFK Göteborg - Hamburger SV 0:1, 3:0 (EL)

1982/83: FC Aberdeen - Real Madrid 2:2 (C)

1984/85: Videoton Szekesfehervar - Real Madrid 1:0, 0:3 (EL)

1984/85: FC Everton - SK Rapid Wien 3:1 (C)

1985/86: Steaua Bukarest - FC Barcelona 0:0, 2:0 iE (CL)

1986/87: IFK Göteborg - Dundee United 1:0, 1:1 (EL)

1986/87: Ajax Amsterdam - Lok Leipzig 1:0 (C)

1988/89: AC Milan - Steaua Bukarest 4:0 (CL)

1990/91: Roter Stern Belgrad - Olympique Marseille 0:0, 5:3 iE (CL)

1993/94: Austria Salzburg - Inter Mailand 0:1, 0:1 (EL)

1995/96: Paris St. Germain - Rapid Wien 1:0 (C)

1999/00: Galatasaray - Arsenal 0:0, 4:1 iE (EL)

2002/03: FC Porto - Celtic Glasgow 3:2 nV (EL)

2007/08: Zenit St. Petersburg - Glasgow Rangers 2:0 (EL)

 

Veränderungen seit Etablierung der Champions League

Die Schere im europäischen Klubfußball sieht man in dieser Liste sehr gut. Vor allem nach Abschaffung des Cups der Cupsieger mit der Saison 1999/2000, in der die Cupsieger erstmals im UEFA-Cup mitgemacht haben, ist es beinahe vorbei mit der Teilnahme kleinerer Nationen an europäischen Finali. Das begann schon mit der Einführung der Champions League zur Saison 1992/93 hin un der vermehrten Vermarktung. Es ist kein Zufall, dass in den ersten 30 Jahren der europäischen Wettbewerbe gut doppelt so viele "kleine" Klubs in die europäischen Finali vorstießen wie danach. Seit Salzburgs letzter Finalteilnahme vor mehr als 20 Jahren schafften es nur noch Rapid, Galatasaray sowie beide Glasgower Klubs in europäische Endspiele. In den letzten zehn Jahren stellten nur vier Länder (Spanien, Deutschland, England, Italien) CL-Finalteilnehmer, das letzte Finale mit anderen Ländern fand 2003/04 (Porto vs Monaco) statt. In der Europa League gibt es ein ähnliches Bild. In den letzten zehn Jahren stammten elf von 20 EL/UEFA-Cup-Finalisten aus diesen vier Ländern. 

Die restlichen Nationen in Europas zweiter Spielklasse waren eben Schottland (1), die Niederlande (1), Russland (1), die Ukraine (2) sowie Portugal (4). In diesem Zusammenhang kann man sich ausrechnen, was eine Finalteilnahme für kleinere (und größere wie die Türkei oder Russland) Länder bedeutet: Es ist nach wie vor möglich, in Europa etwas zu erreichen. Wenn die Fußballwelt Donnerstagabend nach Salzburg blickt, dann darf dürfen Puristen auf einen Red Bull-Sieg hoffen, um den Großen eins auszuwischen - und das ist eigentlich ein ziemlicher Widerspruch in sich.

 

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