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Am Anfang stand Österreich ohne Teamchef da. Der glücklose Branko Elsner war schon Mitte November 1987 zurückgetreten, Ernst Happel - Wunschkandidat von ÖFB-Präsident Beppo Mauhart - war fix beim FC Tirol eingespannt. Auch Otto Baric wurde es letztendlich nicht.
Zur Auslosung der Qualifikation in Zürich reiste deshalb Mitte Dezember eine Delegation um Elsner-Assistent Josef Hickersberger. Dort zauberte Pelé den ÖFB aus dem Lostopf in Gruppe drei, FIFA-Generalsekretär Sepp Blatter hielt den Zettel grinsend in die Kameras. Mit der Sowjetunion, der DDR, Island und der Türkei war Österreich einigermaßen hart bedient - der zweite Platz wurde zum erklärten Ziel, damit wäre das WM-Ticket in der Tasche.
Wie sich die Spieler an die WM 1990 erinnern, gibt es hier zu lesen:
Unterm Christbaum ein Teamchef
Zuerst war aber eben zu klären, wer das Team denn überhaupt anführen soll. Die Wahl fiel am 23. Dezember auf Hickersberger, als ehemaliger Nationalspieler selbst Teil der WM-Mannschaft aus 1978, als Trainer aber ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Bei der Präsentation im Wiener Tabakmuseum erklärte der damals 39-Jährige über die Qualifikation: "Wenn sie gelingt, werde ich der glücklichste Mensch sein - wenn nicht, bin ich gescheitert."

Rund zehn Monate später stand das Auftaktspiel gegen die Sowjetunion auf dem Plan, die Stimmung war bereits im Keller. Bei freundschaftlichen Niederlagen gegen Brasilien und die Tschechoslowakei, sowie einem Remis gegen Ungarn wusste das ÖFB-Team spielerisch kaum zu glänzen.
Hickersberger war dabei, eine Jugendbewegung einzuleiten und berief Talente wie Andi Herzog, Toni Pfeffer, Peter Stöger, Peter Schöttel, Heimo Pfeifenberger erstmals in die Nationalmannschaft. Sie konnten allerdings nicht sofort den Schwung bringen, den man sich von ihnen erhofft hatte.
Comeback und Rücktrittsgedanken
Aus dieser frühen Not heraus sorgte der Teamchef noch vor dem ersten Quali-Spiel für zwei Schlagzeilen: Zum einen holte er den 33-jährigen Herbert Prohaska nach dreieinhalb Jahren Pause zurück zum ÖFB.
In seiner letzten Profisaison kam "Schneckerl" regelmäßig als Spielmacher der Austria zum Einsatz, er sollte auch die Offensive des Nationalteams ordnen. Zu insgesamt vier Länderspielen kam Prohaska noch, im Juni 1989 war dann endgültig Schluss. Bei der WM war er als Unterstützer des Trainerteams letztlich trotzdem dabei.
Wenn mich der ÖFB nicht vorher kündigt, werde ich definitiv nach dem letzten WM-Qualifikationsspiel zurücktreten.
Zum anderen - die größere Sensation - kündigte Hickersberger seinen eigenen Rücktritt an. Von turbulenten ersten Monaten im Amt gezeichnet, erklärte er im ORF: "Wenn mich der ÖFB nicht vorher kündigt, werde ich definitiv nach dem letzten WM-Qualifikationsspiel zurücktreten. Ich will nicht nach jedem Spiel gefragt werden, wann ich denn gehe."
Erste Schritte nach Italien
Überraschend gut lief dann das Spiel gegen die UdSSR, immerhin amtierender Vize-Europameister. Vor 103.000 Fans in Kiew hielt das ÖFB-Team am 19. Oktober 1988 lange ein 0:0, am Ende musste man sich mit 0:2 geschlagen geben. Es war ein moralischer Sieg, der zwar keine Punkte, aber immerhin ein bisschen Optimismus brachte.
Zwei Wochen später gelang gegen die Türkei der erste Schritt in Richtung Italien. Ein Doppelpack von Andi Herzog und ein Tor durch Toni Polster brachten Österreich auf Kurs, zwei Gegentreffer in der zweiten Halbzeit sorgten für den Endstand von 3:2. Vor allem für Polster war es ein wichtiger Erfolg: Der Spanien-Legionär stand während einer Formkrise lange im Zentrum der medialen Kritik, das letzte Tor im Nationalteam lag eineinhalb Jahre zurück.
Die Stimmung war trotzdem schnell wieder geknickt, ÖFB-Präsident Mauhart übte öffentlich Kritik am beinahe verspielten Vorsprung, beendete parallel aber auch die Rücktrittsgedanken des Teamchefs.
Qualifikationstabelle nach den ersten beiden ÖFB-Spielen:
Platz | Team | Spiele | Tordifferenz | Punkte |
---|---|---|---|---|
1 | UdSSR | 2 | 3:1 | 4 |
2 | Österreich | 2 | 3:4 | 3 |
3 | DDR | 1 | 2:0 | 3 |
4 | Island | 3 | 2:4 | 2 |
5 | Türkei | 2 | 4:3 | 1 |
So dümpelte die WM-Qualifikation bis in den Herbst 1989 dahin: Gegen die DDR gelang ein Unentschieden, gegen Island ein Sieg und ein Remis - erst mit einem hart erkämpften 0:0 gegen die Sowjetunion kam wieder Begeisterung auf.
Österreich spielte im vollen Praterstadion taktisch klug und zog sich bei gegnerischem Ballbesitz diszipliniert in die Defensive zurück, die eine oder andere trotzdem entstandene Chance konnte Stammkeeper Klaus Lindenberger entschärfen.
Freud und Leid
Damit nahm der rot-weiß-rote WM-Zug dann doch mehr und mehr Fahrt auf, zuerst langsam: Hickersberger rechnete kurz nach dem Schlusspfiff gegen die UdSSR mit einem "Zittern bis zum Schlusspfiff des letzten Qualifikationsspiels".
Zwei Wochen später war er bereits zu 95 Prozent von einer Endrunden-Teilnahme überzeugt. Noch waren die DDR und die Türkei nicht vollständig abgeschüttelt, Österreich ging auf dem zweiten Platz liegend in die entscheidenden direkten Duelle.
Qualifikationstabelle vor den beiden "Entscheidungsspielen":
Platz | Team | Spiele | Tordifferenz | Punkte |
---|---|---|---|---|
1 | UdSSR | 7 | 9:4 | 9 |
2 | Österreich | 6 | 6:6 | 7 |
3 | DDR | 7 | 9:10 | 7 |
4 | Island | 8 | 6:11 | 6 |
5 | Türkei | 6 | 9:8 | 5 |
Das erste ging direkt daneben. In Istanbul geriet das ÖFB-Team früh unter die Räder, eine lasch verteidigte Flanke konnte ein türkischer Stürmer schon nach einer Viertelstunde am versteinerten Lindenberger vorbei ins Tor köpfen.
Der Versuch des Teamchefs, das Ruder mit einer offensiveren Aufstellung in der Halbzeitpause herumzureißen, wurde zum Bumerang. Kurz nach der Pause verstolperte Herzog den Ball im Dribbling am Mittelkreis, der Konter direkt durch die österreichische Innenverteidigung endete im 2:0.
Das dritte Gegentor - ein spektakulärer Seitfallzieher - wäre wohl auch zu verhindern gewesen, da war das Spiel aber sowieso bereits verloren. Das Fazit mehrerer Medienberichte lautete nach dem Spiel: "Wenn die Mannschaft so spielt, dann hätte sie bei der WM nichts verloren." Nach der Rückkehr nach Wien kündigte der Teamchef an, auf eine ausführliche Videoanalyse des Kicks zu verzichten: "So groß ist mein Masochismus nicht."
"Wenn die Mannschaft so spielt, dann hätte sie bei der WM nichts verloren."
Damit war plötzlich wieder Feuer am Dach. Statt - wie sonst üblich - nach dem Spiel telefonisch Bericht an den ÖFB-Präsidenten zu erstatten, musste Hickersberger persönlich in Mauharts Büro. Wieder einmal wurde am Einsatzwillen der österreichischen Teamspieler gezweifelt, die jetzt auf Schützenhilfe angewiesen waren.
Entscheidungsspiel gegen die DDR
Eine Heimniederlage gegen die DDR im letzten Qualifikationsspiel war ohnehin verboten, man musste aber auch darauf hoffen, dass die Sowjetunion ihrer Favoritenrolle im Duell mit der Türkei gerecht wird.
Qualifikationstabelle vor dem letzten Gruppenspiel:
Platz | Team | Spiele | Tordifferenz | Punkte |
---|---|---|---|---|
1 | UdSSR | 7 | 9:4 | 9 |
2 | Türkei | 7 | 12:8 | 7 |
3 | Österreich | 7 | 6:9 | 7 |
4 | DDR | 7 | 9:10 | 7 |
5 | Island | 8 | 6:11 | 6 |
Um dem Team neun Tage Vorbereitungszeit zu geben, wurde ausnahmsweise sogar eine Bundesligarunde verschoben. Ernst Happel wurde zur Beratung hinzugezogen, auch für diverse Aussprachen wurde Zeit eingeräumt.
Nur Toni Polster durfte nicht dabei sein: Der FC Sevilla wollte seinen Spieler für ein Match in der spanischen Meisterschaft behalten, auch eine Intervention bei der FIFA blieb zuerst erfolglos. Über Tage liefen die Faxgeräte und Telefone heiß, erst kurz vor dem Spiel konnte der Stürmer dann wirklich anreisen.

ÖFB-Präsident Beppo Mauhart versuchte, den Spielern nochmals öffentlich Motivation mitzugeben: "Sie können über ihre berufliche Zukunft entscheiden. Der Einstieg zu einer möglichen internationalen Karriere wäre mit Geldverdienen verbunden, wie es in Österreich selbst bei noch so guten Leistungen nie möglich wäre."
Zudem erinnerte er an die durchaus üppigen Prämien: Bis knapp über 200.000 Schilling (heute rund 35.000 Euro) gäbe es bei einer erfolgreichen Qualifikation zu verdienen. Keine Woche nach der Öffnung der Berliner Mauer mangelte es auch dem Gegner - um Spieler wie Ulf Kirsten, Matthias Sammer und Thomas Doll - nicht an Motivation.
"Pepi, dürfen wir no eine?"
Es war alles angerichtet für ein großes Finale, das Österreich schnell auf seine Seite ziehen konnte. Toni Polster sorgte mit einer Einzelaktion schon nach zwei Minuten für die Führung, 20 Minuten später stellte er per Elfmeter auf 2:0. Vor der Pause hielt Keeper Lindenberger dann auch noch einen Strafstoß, nach einer Stunde Spielzeit sorgte Polster mit seinem Hattrick für die endgültige Entscheidung. Das WM-Ticket war damit gesichert, im Parallelspiel konnte sich die UdSSR durchsetzen.
Noch vor dem Schlusspfiff landeten Leuchtraketen auf dem Spielfeld, die Mannschaft drehte eine Jubelrunde durch das volle Praterstadion. Auch die Szenen im Innenraum sind in Erinnerung geblieben: ORF-Reporter Peter Elstner hätte gerne aus der Kabine über die Feierlichkeiten berichtet, durfte aber auf Weisung des Teamchefs nicht: "Pepi, dürfen wir no eine? Bitte, wir san live drauf."
Auslosung, Prämien, Herbergssuche
Wenig später liefen dann auch schon die Vorbereitungsarbeiten an: Drei Freundschaftsspiele im Frühjahr - gegen Ungarn, Weltmeister Argentinien und die Niederlande wurden geplant. In Rom erhielt der ÖFB Anfang Dezember mit anderen Delegationen eine Audienz beim Papst, am selben Tag wurden die WM-Gruppen ausgelost.
Das Ergebnis ist bekannt: Zuerst Gastgeber Italien im Auftaktspiel in Rom, dann die Tschechoslowakei (CSSR) und die USA in Florenz. "Que bella cosa" soll Hickersberger im Nachhinein gesagt haben, von allen Seiten wurde sofort das Duell um Platz zwei ausgerufen.
Direkt nach der Auslosung machte sich die ÖFB-Delegation auf die Suche nach einem geeigneten Quartier. Fündig wurde sie ein Stück weit außerhalb von Florenz, in einer schönen, alten Medici-Villa, eingebettet in die toskanische Hügellandschaft.
Warum Andi Ogris sie eher als Gefängnis in Erinnerung hat, erzählt er hier:
Die Verhandlungen über die Spielerprämien bei der WM übernahm Manfred Zsak, der seine Resultate im Frühjahr vor versammelter Medienrunde zuerst mit ernster Miene, dann aber doch verschmitzt grinsend präsentieren konnte: Bis hin zum Weltmeistertitel war alles abgesprochen, bis zu einer Million Schilling Brutto (rund 165.000 Euro) gab es für die Kicker zu holen.
Fast schon Weltmeister
Die Niederlage gegen die Türkei im Herbst blieb die letzte vor dem Turnier in Italien, obwohl man die Vorbereitung durchaus anspruchsvoll gestaltete. Zuerst wurde Spanien bezwungen, dann Ungarn. Anfang Mai rang das Nationalteam Weltmeister Argentinien um Diego Maradona ein 1:1 ab, wenige Wochen später gelang gegen den amtierenden Europameister, die Niederlande, ein 3:2-Erfolg.
Spätestens nach diesem Sieg waren die letzten Auswirkungen der noch nicht lange verzogenen Krisenstimmung abgeschüttelt. Es war die Rede vom rot-weiß-roten "Millionensturm", zusammengesetzt aus Toni Polster und dem kurz vor einem Wechsel zu Atlético Madrid stehenden Gerhard Rodax. Der "Blitzstart" wurde zur österreichischen Spezialität erklärt, gegen die Niederlande, Argentinien und die DDR hatte man jeweils innerhalb der ersten fünf Spielminuten getroffen.

Ernst Happel erklärte vor dem Duell mit dem Gastgeberland: "Ich bin überzeugt, dass Österreich ins Achtelfinale aufsteigen wird." Und auch in Italien wurde der ÖFB als Geheimfavorit gehandelt.
Die Tageszeitung 'La Repubblica' ordnete die Turnierteilnehmer nach ihrer Form: Sieben von zehn möglichen Punkten gab es für Österreich, ein Spitzenwert. Damit lag das Nationalteam vor England, der Bundesrepublik Deutschland, Brasilien, Italien oder Argentinien. Und auch in Österreich wurden mutige Schlagzeilen getextet: Wir waren "Geheimfavorit" und "Überraschungsmannschaft".
Gebracht hat das endlich gefundene Selbstvertrauen am Ende nichts: Für Hickersberger und sein Team war die Weltmeisterschaft nach der Gruppenphase zu Ende, ein einziger Sieg gegen die schwachen USA war zu wenig.