Thomas Letsch: "Ich mag das Wort 'Red-Bull-Fußball' nicht so"
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Thomas Letsch: "Ich mag das Wort 'Red-Bull-Fußball' nicht so"

Thomas Letsch hat Red Bull Salzburg in einer schwierigen Phase übernommen, ist noch Zweiter geworden. Die Champions League wurde letztlich klar verpasst. Aber: "Hierzulande neigt man ja viel mehr dazu, das Negative zu sehen - es wird mehr gesudert".

Es war schon etwas ruhiger im Bullenstall als in den letzten zwei Jahren. Ruhe hineinbringen, soll und tut Thomas Letsch. Der 57-jährige Deutsche übernahm Red Bull Salzburg, als man in der Champions League abgewatscht wurde und in der Liga herumtaumelte.

Am Ende der Saison 2024/25 wurde man an einem wilden letzten Spieltag letztlich Zweiter. Die Königsklasse verpasste man nach sechs Teilnahmen in Folge gegen Brügge aber, stattdessen "muss" man in der Europa League antreten.

Seiner Meinung nach ist das noch immer ein guter Erfolg, weil Österreich bzw. Salzburg einerseits etwas erfolgsverwöhnt ist und hierzulande ohnehin zu viel gesudert wird.

Weiters spricht er im 90minuten-Exklusivinterview über die Kaderzusammenstellung, warum er das Wort "Red-Bull-Fußball" gar nicht mag und wie lange er noch Trainer sein will.

90minuten: Wie viele Menschen haben Ihnen in den letzten Wochen zur erfolgreichen Qualifikation zur Europa-League-Ligaphase gratuliert?

Thomas Letsch: Mit dieser Einstiegsfrage habe ich nicht gerechnet, weil das ja schon einige Zeit her ist. In den letzten Tagen waren es nicht mehr so viele wie direkt nach dem Weiterkommen gegen Brann Bergen. Ich möchte da aber noch an den letzten Spieltag der Saison 2024/25 erinnern, als die Europa League zwischenzeitlich auch schon einmal in weiter Ferne war. Ich hätte letztlich natürlich lieber Glückwünsche zum Erreichen der Champions League entgegengenommen, aber jetzt wollen wir das Maximum in der Europa League erreichen und freuen uns darauf.

Aktuell sind wir in der Europa League wohl konkurrenzfähiger und möchten uns da so gut wie möglich präsentieren.

Thomas Letsch

90minuten: Sprich, der Sportler Thomas Letsch ist dennoch enttäuscht?

Letsch: Man ist ambitioniert und will immer jedes Spiel gewinnen. Wenn man in der Champions-League-Qualifikation antritt, möchte man auch dorthin. Aktuell sind wir in der Europa League wohl konkurrenzfähiger und möchten uns da so gut wie möglich präsentieren. Wir sind auch schon auf die Auslosung am Freitag gespannt.

90minuten: Schauen wir noch kurz auf das Spiel gegen Brügge zurück. Dachten Sie sich nicht auch beim Anschlusstreffer, dass es das war, weil das Stadion bebt, die zweite Luft kommt und Fußball eben so ist?

Letsch: Als das 2:1 fiel, war es schon so, dass ich den Eindruck hatte, dass das nochmals richtig eng wird. Nach dem 2:2, das aus einem individuellen Fehler entstanden ist, war aber im Stadion die Hölle los. Letztlich muss man sagen, dass Brügge das sehr gut gemacht hat und verdient aufgestiegen ist.

90minuten: Wie hat das Team auf das Ausscheiden reagiert? Letztlich war es ein blöder Fehler, aber man gewinnt gemeinsam und verliert gemeinsam.

Letsch: Sie waren nicht verärgert, eher enttäuscht, aber auch realistisch und gefasst. Wir haben uns mit ein wenig Abstand dann über das Erreichen der Europa League gefreut, auch weil wir von Anfang an wussten, dass drei Runden Qualifikation in der Champions League alles andere als einfach sind.

90minuten: Sie waren eine Zeit lang im Ausland und können auch von den Niederlanden bzw. Deutschland aus sagen, wie man die Stärke Österreichs einschätzt.

Letsch: Wir sind hier alle ein wenig verwöhnt, speziell in Salzburg. Man vergisst ja schnell, wie es früher war und welche Rolle unsere Klubs auf internationaler Ebene gespielt haben. Letztes Jahr waren dann gleich zwei Mannschaften in der Champions League. Dazu ist Rapid in der Conference League recht weit gekommen. Wenn heuer insgesamt wieder vier Mannschaften im Europapokal dabei sein sollten, wäre das eine tolle Geschichte. Sturm und wir sind ja fix, den anderen drücke ich die Daumen, weil es für ein kleines Land wie Österreich ein Erfolg wäre. Hierzulande neigt man ja viel mehr dazu, das Negative zu sehen - es wird mehr "gesudert" als andernorts.

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90minuten: Reden wir genau darüber. Die letzten zwei Jahre waren für Salzburg alles andere als einfach, der letzte Herbst auch nicht, das Projekt Lijnders ist gescheitert. Wie sehr mussten Sie Psychologe statt Fußballtrainer sein?

Letsch: In Österreich wird das Wort "scheitern" recht schnell benutzt. In anderen Ländern redet man seltener davon, spricht viel mehr darüber, es ernsthaft versucht und alles dabei getan zu haben. Zur Ihrer Frage. Um Psychologie ging's eigentlich gar nicht. Als ich kam, war das eine neue und reizvolle Aufgabe. Wir standen auf Platz fünf und waren Herausforderer. Das Ziel war der Titel und wenn man sich die Saison ansieht, waren wir davon gar nicht so weit entfernt, es war letztlich knapp. Ich glaube auch nicht, dass irgendein Klub der Welt über 15 Jahre immer auf dem allerhöchsten Niveau spielen kann.

Da gibt es immer Phasen, in denen es nicht so läuft wie sich das manch einer vorstellt. Die letzten schwierigeren Jahre bei uns haben in der Mannschaft und im Verein sicher Spuren hinterlassen. Darum war es vielleicht noch etwas schwieriger, da rauszukommen. Allerdings bedeutete das "Loch", dass man zweimal Zweiter war und nicht Siebter oder Achter. Wir sprechen da also immer noch von einem ziemlich hohen Niveau. Und nun ist eine Aufbruchstimmung da, selbst wenn nicht alles sofort rund läuft. Aber wir haben uns für die Europa League qualifiziert, sind im Cup dabei und stehen in der Meisterschaft noch ohne Niederlage auf Platz eins. Und das Team hält auf und neben dem Platz zusammen, das ist eine gute und wichtige Basis.

90minuten: Stichwort Team: Teilen Sie den Eindruck, dass zeitweise elf Männer am Platz waren, aber nicht unbedingt eine Mannschaft?

Letsch: Was ich bestätigen kann, ist, dass es nicht die Einheit gab, die es gebraucht hätte, um erfolgreich zu sein. Meister wird man nur als Team und es ist die Hauptaufgabe von Rouven Schröder, Stephan Reiter und mir, dieses Miteinander herzustellen. Da ist uns ein großer Schritt nach vorne gelungen.

90minuten: Von wem ging es aus, dass man offensichtlich routinierte Spieler braucht?

Letsch: So offensichtlich finde ich das gar nicht. Wir haben zuletzt Stefan Lainer und Jacob Rasmussen geholt, in der Transferperiode davor kam Karim Onisiwo. Aber ich muss da etwas weiter ausholen: Man braucht in jeder Mannschaft eine Struktur bzw. Hierarchie. Bei Red Bull Salzburg gab es immer Führungsspieler, wie zum Beispiel Spieler wie Alex Walke, Zlatko Junuzovic, Max Wöber oder Andreas Ulmer. Die waren irgendwann aus verschiedenen Gründen nicht mehr da.

Dementsprechend ging es also in erster Linie darum, zu den vielen Talenten, die wir ja weiterhin haben, Erfahrung zu holen. Und wenn sich die Möglichkeit ergibt, Salzburger wie Alex Schlager oder zuletzt Stevie Lainer zurückzuholen, auch weil die zurück wollen, müssen wir das selbstverständlich machen. Dann bleiben aber immer noch viele junge Spieler wie Tim Trummer, Jannik Schuster, Valentin Sulzbacher, Joane Gadou oder Enrique Aguilar. Auch bei den Neuzugängen ist Sota Kitano erst 20, Kerim Alajbegovic ist überhaupt erst 17.

90minuten: Setzt man da wieder vermehrt auf lokale Talente, sprich Schusters, Trummers oder Sulzbachers? Auch, um die Fans mitzunehmen?

Letsch: Das Entscheidende ist Identifikation, da geht es in erster Linie um die Mannschaft. Aber es hilft, junge Österreicher zu haben. Den von ihnen erwähnten Spielern verzeiht man vielleicht eher noch einen Fehler. Dazu kommen aber auch Kicker wie Mads Bidstrup oder Maurits Kjaergaard, die gefühlt längst Salzburger sind. Uns ging es darüber hinaus zusätzlich darum, mehr Deutsch zu sprechen, das soll unsere Kabinensprache sein, weil wir in Österreich sind.

Ich mag das Wort "Red Bull-Fußball" allerdings nicht so. Wir wollen schon die Identität des Klubs in den Vordergrund stellen, also Dominanz, Umschaltspiel, hohes Pressing. Aber der Fußball selbst hat sich weiterentwickelt.

Thomas Letsch

90minuten: Sie haben es schon anklingen lassen, dass es aktuell in dieser Gemengelage angenehmer ist, in der Europa League zu sein. Warum?

Letsch: Es war super, im Bernabeu zu spielen. Am Ende muss bei Real Madrid, PSG, Atletico und Co. aber absolut alles passen, um erfolgreich zu sein. Und nachdem die Situation jetzt so ist, werden wir in der Europa League unser Bestmögliches machen. Allerdings sind da auch Gegner wie Aston Villa, AS Rom und Co. mit hoher Qualität, das ist kein Selbstläufer.

90minuten: Die Erwartungshaltung ist aber dennoch, beide Titel zu holen – Werden Sie noch Trainer sein, wenn das nicht gelingt?

Letsch: Diese Frage stelle ich mir nicht und ich kann sie ohnehin nicht beantworten. Es ist ja klar, was unser Anspruch ist. Man braucht sich nur unsere Historie anzusehen, da kann ich mich ja nicht hinstellen und sagen, dass ich drauf hoffe, unter die Top3 zu kommen. Dann wäre ich nicht glaubwürdig und der falsche. Dass alles enger zusammengerückt ist, sieht man aber deutlich.

Sturm und Rapid machen es sehr gut, WAC und Austria waren letztes Jahr vorn mit dabei. Da geht dann nicht die Saison los und wir blasen alles weg. Wir müssen uns wieder erarbeiten, dass es für die Gegner ein Bonusspiel ist, wenn sie zu uns in die Red Bull Arena kommen.

90minuten: Wie viele Transferfenster braucht man aus Ihrer Sicht, um das wieder aufzubauen? Bei wie viel Prozent "Red Bull-Fußball" sind Sie denn gerade?

Letsch: Die Frage bekomme ich oft gestellt. Wir müssen eine Einheit formen und da sind wir auch auf einem guten Weg. Ich mag das Wort "Red Bull-Fußball" allerdings nicht so. Wir wollen schon die Identität des Klubs in den Vordergrund stellen, also Dominanz, Umschaltspiel, hohes Pressing. Aber der Fußball selbst hat sich weiterentwickelt.

Viele Teams spielen gegen uns mit hohen Bällen, wodurch wir viel Ballbesitz haben. Somit hat sich auch das verändert, es ist nicht mehr wie vor zehn, zwölf Jahren. Insofern kann ich die Frage nicht beantworten.

Das Objekt der Begierde, gleichzeitig Türöffner nach Europa und zum großen Geld
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90minuten: Kommen wir zum Schluss noch zu Ihnen und Ihrer Gefühlswelt, wieder hierher zurückzukommen, noch dazu in einer schwierigen Situation?

Letsch: Ich war von 2012 bis 2017 hier und bin im Guten gegangen. Nach der Zeit in Bochum dachte ich mir schon, dass ich eher in Deutschland weiterarbeiten möchte. Aber als Rouven Schröder und Stephan Reiter auf mich zukamen, hat gerade der Punkt, dass es in Salzburg nicht ideal läuft, für eine Rückkehr gesprochen.

In den Gesprächen hat sich dann ergeben, dass alle sich einig und hochmotiviert waren, das gemeinsam zu machen. Meine Familie hat ja immer in Salzburg gelebt, das war auch ein Argument. Der Reiz, Red Bull Salzburg wieder zum Meister zu machen und europäisch zu spielen, war spannend. Hier hat sich seit 2017 viel weiterentwickelt und ich habe meine Rückkehr noch keine Sekunde bereut.

90minuten: Sie sind mittlerweile 57 Jahre, der Trainerjob wird nicht einfacher, Hire and Fire nimmt eher zu. Wie lange wollen Sie sich das noch "antun"?

Letsch: Die Geduld bei den Vereinen ist aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr geworden. Ich hatte einmal das Glück, dass ich abgeworben wurde, was natürlich schöner ist, als vor die Tür gesetzt zu werden. Das ist im Trainerleben in der Regel eher der Fall. Man muss aber wissen, dass das Teil des Jobs ist, auch wenn die Verweildauer der Trainer mittlerweile in eine Richtung geht, die ich grenzwertig finde. Aber ich bin in einem Alter, in dem ich gut damit umgehen kann. Ich mache all das sehr gerne!

90minuten: Wir danken für das Gespräch!


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