Semlic: "Wenn einer 1,5 Mio. Euro auf den Tisch legt..."
Foto © GEPA

Semlic: "Wenn einer 1,5 Mio. Euro auf den Tisch legt..."

Die WSG Tirol ist nach vier Spieltagen - bei einer Partie weniger - Vierter. Die Tiroler und Trainer Philipp Semlic haben sich einen über eine Saison hinausgehenden Plan gegeben, der offensichtlich gut funktioniert. 90minuten hat nachgefragt, wieso.

4:2 gegen den TSV Hartberg, 3:1 gegen den LASK, 1:1 gegen den GAK - die WSG Tirol ist sehr gut in die Saison gestartet und ist bei einem Spiel weniger nach wie vor in der oberen Tabellenhälfte. Das eine Spiel fehlt, weil Sturm eine Pause zwischen den Duellen mit Bodø/Glimt wollte.

Die hätte es anscheinend nicht gebraucht, die Wattener haben sie vermutlich gut genutzt. Dafür sorgt seit letztem Sommer Philipp Semlic und man wird kommendes Wochenende gegen den WAC gut sehen, ob die Pause den Rhythmus gebrochen hat und ob es einfach drei gute Spiele waren oder doch mehr.

Im Interview mit 90minuten spricht der 42-Jährige aber zunächst einmal über Real Madrid, den Trainerjob und Kontinuität.

90minuten: Es war nur ein Test, aber wie fühlt sich ein ausverkauftes Heimspiel gegen Real Madrid an?

Philipp Semlic: Letztes Jahr Bayern in Unterhaching, dieses Jahr Real Madrid, ich habe dem Sportdirektor Stefan Köck gesagt, dass wir dann nächstes Jahr gegen einen Engländer spielen (lacht). Im Ernst: Das ist schon lässig, vor ausverkauftem Haus gegen Real zu spielen.

90minuten: Die WSG Tirol ist gut ins Jahr gestartet und möchte auch ein Stadion haben. Spielt das für Sie eine Rolle?

Semlic: Ich bin insofern Realist, als ich weiß, dass wir Trainer im modernen Fußball eine Halbwertszeit von einem Jahr plus minus ein halbes haben. Das heißt, dass so langfristiges Denken nicht in der Natur der Sache liegt. Gewiss kann dies als egoistischer Gedanke bezeichnet werden. Es ist ja auch ganz klar, dass die WSG Tirol das Budget erhöhen muss, damit der Abstand zu den anderen nicht zu weit aufgeht. Wenn wir immer dasselbe Budget haben, frisst die Inflation es auf. Das ist eine Milchmädchenrechnung.

Auch, dass die WSG alle zwei Wochen am Tivoli bei Heimspielen draufzahlt. Identifikation ist ein Punkt, der für unser eigenes Stadion spricht. Denn ich glaube schon, dass es für die Menschen – also auch Fußballer – wichtig ist, ein eigenes "Zuhause" zu haben, wo man sich geborgen fühlt. Sportlich gesehen ist das ebenfalls ein Vorteil. Hat man eine Heimstätte mit guter Energie, kann das laut einer Statistik bis zu acht Punkte pro Jahr bringen.

Ich verstehe diese Frage natürlich, aber als Außenstehender muss man schon beachten, dass die beiden Vereine anders aufgestellt sind und in den letzten Jahren anders agiert haben.

Philipp Semlic über Vergleiche zwischen Altach und der WSG

90minuten: Mit Altach und der WSG sind gerade zwei Teams gut in die Saison gestartet, die mehr oder weniger lange im Abstiegskampf waren und am Trainer festgehalten haben. Ist das anhand der erwähnten Halbwertszeit für Trainer ein schöner Fingerzeig, dass es sich auszahlt, den Coach zu behalten, statt ihn schnell rauszuwerfen?

Semlic: Ich verstehe diese Frage natürlich, aber als Außenstehender muss man schon beachten, dass die beiden Vereine anders aufgestellt sind und in den letzten Jahren anders agiert haben. Ich bin nach elf Jahren Thomas Silberberger ohne Bundesliga-Erfahrung hergekommen und habe das notwendige Vertrauen sofort gefühlt. Von der Präsidentin abwärts habe ich eine Energie gespürt, die ich zu nutzen versucht habe. Diese hat der Verein immer auf die Mannschaft übertragen, eine unserer großen Stärken. Ich denke also nicht, dass man Altach und die WSG vergleichen kann, was das betrifft.

Infrastruktur und Budget sind im Rheindorf besser. Rein auf die Trainerarbeit bezogen, möchte ich die Frage dennoch beantworten. Kontinuität macht Sinn, wenn der Trainer einen klaren Plan verfolgt, diesen immer wieder evaluiert. Der Fußball, den wir zeigen, der kommt ja nicht einfach so, sondern ist jetzt ein Jahr gewachsen, wir hatten zwei Transferfenster und konnten die Mannschaft hinsichtlich der Positionsprofile adaptieren. Zeit ist einfach ein Faktor, damit die Dinge geschmeidig laufen.

90minuten: Wie verliert man denn die Kabine bzw. seinen Job, außer, wenn man zehnmal in Folge nicht gewinnt?

Semlic: Das Verhältnis zwischen Trainer und Mannschaft gestaltet sich so, dass du die Leitlinien vorgibst und die Spieler diesen mit Überzeugung folgen, du umgekehrt spürst, was sie brauchen. Geht das verloren und der eine oder andere Spieler wird unzufrieden, gerät das System aus der Balance. Dass das nicht passiert, darauf müssen auch Sportdirektoren achten. Man sagt ja immer, der Trainer erreicht die Mannschaft nicht mehr und wir sind das schwächste Glied, aber den Kader verantwortet jemand anderer.

90minuten: Das wissen die Spieler auch.

Semlic: Gerade deshalb ist es in der Kaderzusammenstellung wichtig, die Spieler richtig einzuschätzen und zu spüren, welche Energie sie haben, welche Mentalität sie mitbringen.

Valentino Müller startet diese Saison richtig durch, hat schon fünf Tore geschossen
Foto © GEPA
Valentino Müller startet diese Saison richtig durch, hat schon fünf Tore geschossen

90minuten: In unserem letzten Interview meinten Sie, dass Ihre WSG-Kicker von datengetriebenen Klubs gefunden werden könnten. Wie finden Sie nun umgekehrt mit dem so kleinen Staff die richtigen Kicker? Man kann sich ja dennoch nicht nur auf sein Gefühl verlassen, gerade wenn jeder Transfer sitzen muss.

Semlic: Wenn du die Hardskills abgearbeitet hast, die Daten evaluiert und dir ein technisch-taktisches Bild gemacht hast, informierst du dich auch einmal über Umwege, wie bei ehemaligen Trainern, Mitspielern und so weiter, um ein umfassendes Bild zu bekommen. Ganz entscheidend ist dann das direkte Gespräch. Das ist schon schwierig, wenn es per Video ist. Aber ich denke, dass ich eine sehr gute Menschenkenntnis habe. Im Regelfall bin ich mir aber nach diesen Vieraugengesprächen sicher, ob ich mit jemandem zusammenarbeiten will oder nicht.

90minuten: Gibt es da eine Matrix, nach der Sie den Kader zusammenstellen? À la fünf lokale Talente, vier "G'standene" und dann vielleicht noch eine richtige "Grätzn"?

Semlic: Ich weiß, was Sie meinen beim letzten, also einen, der eine für den Gegner unangenehme Mentalität mitbringt, der wirklich alles für seine Mannschaft gibt und seine Kollegen wachrüttelt, wenn es sein muss. Den hatten wir vielleicht nicht so im Kader, wie man an späten Rückständen und Verlusttreffern auch sieht. Allerdings muss man immer schauen, wer in unserer finanziellen Reichweite ist. Marco Boras oder Thomas Sabitzer sind aber solche Spieler und ich bin froh, weil unsere Mannschaft es schon verträgt, wenn einer nicht ganz so brav ist. Ich sag’ ihnen immer, dass sie Schwiegermutters Lieblinge sind, aber auf dem Platz sieht man das dann manchmal auch.

90minuten: Wenn man an solche Spieler denkt, denke ich an Ilco Naumoski oder Marko Arnautovic. Die sind eher älter. Gibt es noch genug solche Kicker bei den Jüngeren?

Semlic: Ich war ja lange in Akademien und die Ausbildung ist umfassend, es gibt für jeden Bereich Experten. Dadurch ist die Ausbildung auch sehr ähnlich und man möchte mittlerweile auch Spieler haben, die eine andere Mentalität haben. Derzeit sind die Burschen sehr gut ausgebildet, aber haben oftmals nicht dieses besondere Unterschiedsspieler-Mindset. Die kann man aber auch ausbilden.

Klar, wenn jetzt einer 1,5 Mio. Euro auf den Tisch legt, kann die WSG das Angebot nicht nicht annehmen. So ehrlich muss man sein.

Philipp Semlic ist Realist

90minuten: Kommen wir zum konkreten Kader. Es gab wenige Neuzugänge. Warum?

Semlic: Unser Plan ist auf zwei Jahre ausgelegt und ich wollte auch, dass Spieler wie Valentino Müller oder Matthäus Taferner bleiben, damit man gemeinsam arbeiten kann. Dann haben wir geschaut, was die Mannschaft sonst noch braucht. Klar, wenn jetzt einer 1,5 Mio. Euro auf den Tisch legt, kann die WSG das Angebot nicht nicht annehmen. So ehrlich muss man sein, weil wir ja auch wollen, dass die Burschen bei uns den nächsten Schritt machen. Ich bin durchwegs happy mit dem Kern, der jetzt hier ist.

90minuten: Erlöse konnten aber nicht lukriert werden.

Semlic: Bei Jonas David wussten wir, dass er nach einer Saison wieder geht, auch wenn er sich wohl etwas anderes vorgestellt hat als 3. Liga. Stefan Skrbo wollte wiederum den nächsten Schritt machen und spielt bei Spartak Trnava eine super Rolle. Cem Üstündag ist zu Kasimpasa, um Erfahrung zu sammeln, Bror Blume nach Dänemark zurück – eingenommen haben wir aber nichts.

90minuten: Ich kann mir bei den Spielern, die jetzt da sind, durchaus vorstellen, dass man bei dem Verkauf etwas verdienen kann, auch wenn jetzt weniger (lukrativ zu verkaufende) Teenager dabei sind.

Semlic: Ich möchte schon sagen, dass wir die jeweils jüngste Startelf der ersten drei Runden hatten. Frischg'fangte sind sie aber nicht, das stimmt. Für Mahamadou Diarra haben wir ja schon einmal eine kleine Ablöse bekommen.

90minuten: Wolfgang Fiala von der SV Ried sagte neulich, dass wir zu hart sind und Spieler auch mit 22 Jahren noch jung sind. Wie schätzen Sie das ein, dass wir hierzulande von 17-Jährigen schon gefühlt 100 Bundesliga-Spiele verlangen?

Semlic: Jung ist sowieso immer eine subjektive Geschichte. Der Christian Lichtenberger, den ich in Lafnitz trainiert habe, war nie in einer Akademie und war dann mit 25 gefühlt noch ein Junger und ist nun mit 29 in der Bundesliga. Lamine Yamal hat dafür schon mit 15 für Barca debütiert. Man muss das alles etwas vom Alter lösen und schauen, wie einer sein Potenzial auf den Platz bringt.

Mahamadou Diarra brachte schon einmal ein bisschen Ablöse
Foto © GEPA
Mahamadou Diarra brachte schon einmal ein bisschen Ablöse

90minuten: Vor allem bleiben Fußballer laut CIES Football Observatory im Schnitt zwei bis vier Jahre beim Verein, da kann es Ihnen als Trainer egal sein, ob einer 23 oder 25 ist.

Semlic: Das sehe ich auch so, bei der WSG wird kaum ein Spieler vier, fünf, sechs Jahre bleiben.

90minuten: Jetzt ist die WSG mit diesem Kader gut rein gestartet. Was muss passieren, damit Sie nach 22 Runden zufrieden sind?

Semlic: Ich wäre dann zufrieden, wenn wir so wie jetzt die Wahrscheinlichkeit maximieren können, in einem Spiel zu punkten. Das wollen wir einfach komplett unabhängig vom jeweiligen Gegner machen und dann würde ich sagen, dass wir einen Schritt weiter sind. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, einen Gegner wie Sturm Graz zu schlagen, niedriger ist als bei anderen.

Wir haben jetzt schon gegen den GAK gesehen, was passiert, wenn wir nicht hundert Prozent Leistung erreichen. Am Ende wollen wir nach 22 Runden sehr viele Punkte gesammelt haben und in die Qualifikationsgruppe mitnehmen.

90minuten: Eine derartige Demut ist vermutlich auch besser als nach drei Spielen hinauszuposaunen, dass man in die Meistergruppe will.

Semlic: Ich bin Realist genug, um das alles richtig einschätzen zu können. Wir haben den kleinsten Trainerstaff der Liga und das niedrigste Budget. Wir bringen aktuell gute Leistungen, aber wenn wir die Träume in den Himmel wachsen lassen, wird uns das irgendwann auf den Kopf fallen. Wir können und müssen den Saisonstart gut einordnen.

In den bisherigen Spielen gab es auch Schlüsselmomente, in denen das Spiel in die komplett andere Richtung kippen kann. Ich bin dann einer, der den mahnenden Finger hernimmt und die Konzentration auf die tägliche Arbeit lenkt.

90minuten: Wir danken für das Gespräch!


Kommentare