Rapid-Diversitätsmanagerin: "Haben unterschiedlich starken Einfluss"
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Rapid-Diversitätsmanagerin: "Haben unterschiedlich starken Einfluss"

Elisabeth Overbeeke leitet seit einem Jahr die Stabstelle Diversitätsmanagement und Nachhaltigkeit des SK Rapid. Vor dem Derby mit der Wiener Austria hat sie mit 90minuten über Fortschritte und Hürden in Hütteldorf gesprochen.

Mit Anfang September 2024 wurde beim SK Rapid eine spezialisierte Stabstelle für Diversitätsmanagement und Nachhaltigkeit geschaffen - es gibt nicht viele Fußballvereine in Europa, die das von sich behaupten können.

Ursprung dieses Schrittes waren der viel diskutierte Eklat nach dem siegreichen Heim-Derby im Februar des vergangenen Jahres und die Schlüsse, die der Verein daraus ziehen konnte: Neben Vizepräsidentin Edeltraud Hanappi-Egger - selbst renommierte Fachfrau - sollte mehr Expertise gefunden und gebündelt werden.

Den herausfordernden Agenden angenommen hat sich Elisabeth Overbeeke. Die gewünschte Erfahrung bringt sie mit, Eingewöhnungszeit hat es trotzdem gebraucht. Mit 90minuten hat sie über Veränderungsprozesse gesprochen und darüber, was ihnen im Weg steht.

90minuten: Mit unserem Interviewtermin treffen wir fast Ihren ersten Jahrestag als Mitarbeiterin des SK Rapid. Beginnen wir mit einer groben Definition: Ihr Jobtitel umfasst einige große Begriffe - wie sieht denn die praktische Realität im Alltag aus?

Elisabeth Overbeeke: Einen richtigen Alltag gibt es eigentlich gar nicht (lacht). Mein Auftrag war ursprünglich, mehr Kompetenz und Bewusstsein in der Organisation zu etablieren. Ich habe lange in großen Unternehmen gearbeitet, in denen Themen wie Diversität und Inklusion schon stark verankert sind, unter anderem habe ich diese Bereiche bei der OMV mitbetreut. Hier war mein erster Schritt, sehr viele Fragen zu stellen. Ich durfte mir einen kleinen 'Think-Tank' organisieren, mit Leuten aus allen Bereichen der des SK Rapid, um sie zu fragen: Warum braucht es diese Rolle? Was soll passieren? Was darf auf keinen Fall passieren? Inzwischen sprechen wir mehr von 'Nachhaltigkeitsmanagement', das auf drei Pfeilern - Ökologie, Soziales und Unternehmerisches - steht und Diversitätsmanagement mit einschließt. Im ersten Jahr hat sich geschärft, in welche Richtung wir gehen wollen und dadurch natürlich auch meine Position.

90minuten: Anders gefragt - wie oft sind Sie pro Woche hier? Sie sind nebenbei ja auch noch selbständig und in anderen Projekten tätig.

Overbeeke: Ich bin 25 Stunden hier, wir teilen das über vier Tage in der Woche auf. An und für sich bin ich aber immer da, weil ich so gut wie immer erreichbar bin.

Ich habe mich in meinen letzten Jahren in dieser Branche immer wieder gefragt, wann sie - sprichwörtlich - den Schuss hört.

Über ihre berufliche Vergangenheit bei OMV und Shell

90minuten: Sie haben die OMV als Teil Ihres Werdegangs schon angesprochen, auch für Shell waren Sie tätig. Im Kontext Nachhaltigkeit zuckt man da in einer ersten Reaktion wahrscheinlich ein bisschen zusammen. Warum haben Sie sich letztlich für den Schritt aus diesen Konzernen entschieden?

Overbeeke: Das war ein Prozess über viele Jahre. Ich habe mich schon in meinen letzten Jahren in dieser Branche immer wieder gefragt, wann sie - sprichwörtlich - den Schuss hört. Einige Konzerne bemühen sich und haben Fortschritte gemacht, für mich ging es aber viel zu langsam. Der Grund, warum ich trotzdem in diesen Organisationen tätig war, ist, weil ich immer das Gefühl hatte, noch viel verändern zu können. Das betrifft nicht nur das Thema Nachhaltigkeit, sondern gerade auch Bereiche wie Diversität, Personalentwicklung, Unternehmenskultur und -führung. Als ich gemerkt habe, dass es nicht mehr zu mir und zu dem, was ich eigentlich wichtig finde, passt, habe ich es gelassen. Das war 2016, ist also auch schon fast 10 Jahre her.

90minuten: Dass Ihr Weg Sie irgendwann zu Rapid führt, war vermutlich nicht absehbar. Ihre Position hat es hier ja auch nicht gegeben.

Overbeeke: Ich komme ursprünglich aus dem Westen von Wien, hier bin ich in die Volksschule gegangen. Fußball war immer schon meins, Rapid sowieso auch. Mein Sohn war über viele Jahre Greenie, jetzt verbringe ich schon seit zehn oder zwölf Jahren viele Wochenenden auf Fußballplätzen in Niederösterreich. Als ich dann im Mai letzten Jahres die Annonce gesehen habe, sind für mich viele Dinge zusammengekommen. Edeltraud (Anm. d. Red.: Hanappi-Egger, Rapid-Vizepräsidentin), die ich schon gekannt habe und sehr schätze, die Aufgabengebiete, die mir unglaublich am Herzen liegen und mein Lieblingsverein. Ich war eigentlich gar nicht auf der Suche, aber habe mir gedacht: Ich muss schauen, ob man mich hier brauchen kann, ob sich hier etwas bewegen lässt.

Es soll deutlich werden: Wir tun Dinge nicht nur, weil wir sie gut finden, sondern weil sie dem Leitbild entsprechen, zu uns passen und typisch Rapid sind.

Elisabeth Overbeeke

90minuten: Es hätte mit Sicherheit einfachere Zeitpunkte für einen "Wechsel" zu Rapid gegeben. Im Frühjahr 2024 hatte der Verein noch mit den Nachwirkungen der Sprechchöre und Gesänge beim Wiener Derby zu kämpfen. Der Eindruck von außen war: Es fehlt - abgesehen von der Vizepräsidentin - spezifische Fachkompetenz. Haben Sie sich speziell vorbereitet?

Overbeeke: Zu Beginn habe ich ein Gespräch mit Edeltraud geführt, um besser zu verstehen, aus welcher Richtung sie kommt. Auch mit Stefan Kjaer (Anm. d. Red.: Präsidiumsmitglied) und Steffen Hofmann habe ich mich intensiv ausgetauscht. Meine größte Frage an sie alle war: Wo soll das hinführen? Was wollt ihr mit dieser Rolle erreichen? Im Endeffekt hat man eine zentrale Anlaufstelle gesucht, die koordinieren kann, als Ansprechperson zur Verfügung steht und eigenes Wissen und Ideen einbringt. Wir haben viel Kompetenz in den Bereichen Kommunikation, Marketing und Sport - auch viele soziale Projekte laufen schon lange. Was ich tun kann, ist, dem Ganzen einen Rahmen und eine Richtung zu geben. Es soll deutlich werden: Wir tun Dinge nicht nur, weil wir sie gut finden, sondern weil sie dem Leitbild entsprechen, zu uns passen und typisch Rapid sind.

Elisabeth Overbeeke (2.v.l.) mit den Gewinner:innen eines Ideenwettbewerbs
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Elisabeth Overbeeke (2.v.l.) mit den Gewinner:innen eines Ideenwettbewerbs

90minuten: Trotzdem geht man eine solche Aufgabe vermutlich mit Vorstellungen an, was konkret verbessert werden kann und soll. Gab es zu Beginn ein Konzept, das Sie vorgelegt haben?

Overbeeke: Wie gesagt, war der erste Schritt, viele Fragen zu stellen. Ich komme nicht aus dem Verein und maße mir sicher nicht an zu wissen, was er braucht. Ich komme mit einem Werkzeugkoffer, aber wollte erst einmal verstehen: Ist das Problem eine Schraube oder ein Nagel. Brauche ich einen Hammer oder einen Schraubenzieher? Ein wichtiger Kern aller Aktivitäten war für mich das Leitbild. Unsere Werte sind unsere DNA und das, was uns ausmacht. Das sollte auch entsprechend nach außen getragen werden.

90minuten: Wir haben bis jetzt viel von Prozessen gesprochen, die in den meisten Unternehmen gut funktionieren sollten. Die Leitung gibt eine Linie vor, die dann einigermaßen stringent umgesetzt wird. In einem Fußballverein ist das deutlich komplizierter - die Leute sind freiwillig da und können als Gruppe viel Druck erzeugen, wenn ihnen etwas nicht passt.

Overbeeke: Wir müssen differenzieren zwischen drei Gruppen. Es gibt die interne Gruppe, mit Kollegen und Kolleginnen, die hier angestellt sind. Mein Eindruck war, dass es alle gefreut hat, dass es jetzt eine Ansprechperson für Themen wie Nachhaltigkeit oder Diversität gibt. Mir sind alle Türen offen gestanden, es war nur zu klären, wie ich mich am besten einbringen kann. Dann gibt es unser vereinsnahes Umfeld. Dazu zählen natürlich viele tausend Mitglieder und all jene Personen, die uns zuarbeiten, aber nicht unmittelbar operativ im Tagesgeschäft tätig sind. Auch hier haben wir einen gewissen Einfluss in der Kommunikation. Zum Beispiel schicken wir jedes Jahr mit neuen Mitgliedschaften ein Leitbild mit. Der Austausch funktioniert gut, die Leute sind informiert und melden sich oft direkt, wenn es Fragen gibt.

Dann gibt es als dritte Gruppe eine große Fan-Community. Da muss ich ehrlich sagen, dass wir unterschiedlichen starken Einfluss haben. Mein Ansatz war immer, dass wir innen anfangen und Unsicherheiten ausräumen müssen. Sonst ist es natürlich schwer, etwas von anderen zu verlangen. Wenn wir intern inklusive Sprache verwenden, wissen, was Inklusion und Diversität heißt, wissen, was Nachhaltigkeit heißt und unser Leitbild vorleben, wird es auch nach außen sichtbar. Dass es parallel dazu immer noch die klassische aktive Fanarbeit geben wird, ist klar.

Es gab Vorfälle, die widersprechen unserem Leitbild, das ja gemeinschaftlich erarbeitet und beschlossen wurde. Für mich ist das nicht ganz verständlich.

Elisabeth Overbeeke

90minuten: In der Außenwahrnehmung, ist es natürlich trotzdem so, dass Rapid als großes Ganzes gesehen wird, zu dem alle drei Gruppen gehören. Ist diese breite, gedrittelte Struktur nicht trotzdem ein bremsender Faktor für Ihre Arbeit, weil alle Gruppen zusammenspielen müssen, damit in der Öffentlichkeit ein rundes Bild entsteht?

Overbeeke: Ja, das ist ein bremsender Faktor. Es gibt natürlich Personen oder Gruppierungen, denen viele Dinge, die uns beschäftigen, weniger wichtig sind. Es gab auch Vorfälle, über die man Negativschlagzeilen in den Medien findet, die widersprechen unserem Leitbild, das ja gemeinschaftlich erarbeitet und beschlossen wurde. Für mich ist das nicht ganz verständlich, weil es viel von dem zerstört, was mühsam aufgebaut wurde - von der "Marke Rapid", wenn man so will.

Es findet ständig Dialog statt, bei vielen Problemen - zum Beispiel Rassismus - hat schon in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Verbesserung stattgefunden. Wir haben wunderbare Fanbeauftragte, die alles Mögliche machen, um zu transportieren, was wir wollen und was wir nicht wollen. Auch die Tatsache, dass Rapid jetzt Frauenteams hat und erfolgreich ist, macht etwas mit dem Verein, vielen Fans, der Art und Weise, wie über Rapid geredet und gedacht wird. Kultur verändert sich nicht schnell, das wird auch jetzt Zeit brauchen.

Haben alle Beteiligten wirklich unterschätzt, was für eine unglaubliche Vorbildwirkung sie haben? Wie kann ihnen nicht bewusst sein, welche Macht ihre Worte haben können?

Overbeeke über den Derby-Vorfall 2024

90minuten: Einen Vorfall, der in Erinnerung geblieben ist, habe ich schon erwähnt. Beim Derby im Februar 2024 waren Sie noch nicht hier - angesichts der Berichterstattung dürfte Ihnen das Ganze aber nicht entgangen sein. Wie haben Sie diesen Skandal damals wahrgenommen?

Overbeeke: Ich muss ehrlich sagen, dass ich es nicht mehr ganz genau weiß. Eine Frage, die ich mir gestellt habe, ist: Haben alle Beteiligten wirklich unterschätzt, was für eine unglaubliche Vorbildwirkung sie haben? Wie kann ihnen nicht bewusst sein, welche Macht ihre Worte haben können? Mich hat es enttäuscht und nachdenklich gestimmt, dass es passiert ist. Andersherum sehe ich in meiner jetzigen Rolle natürlich die Kehrseite: Für welche guten Sachen können sie in ihrer Rolle und Vorbildfunktion einstehen? Auch da ist seither sehr viel Positives passiert.

90minuten: Oliver Egger, der in Kooperation mit dem ÖFB und der Bundesliga die Ombudsstelle gegen homophobe Diskriminierung betreut, hat sich damals klar für bessere Aufklärung und Sensibilisierung ausgesprochen. Hat bei den Beteiligten oder im Verein das Bewusstsein um den Kern des Problems - den Schaden, den Worte anrichten können - gefehlt?

Overbeeke: Wahrscheinlich hatte diese Krise an sich schon einen großen Anteil an den Verbesserungen, die seitdem passiert sind. Ich glaube, dass es den meisten im Hinterkopf bewusst war, dass das ein wichtiges Thema ist. Vielleicht hat man es nach diesem Vorfall dann aber auch wirklich gespürt. Dadurch verändert sich das Bewusstsein, es ist viel einprägsamer für die weitere Vorgangsweise. Ich war damals nicht hier und kann keinen Vergleich ziehen, mein jetziger Eindruck ist aber: Das soll nie wieder passieren.

Rapid-Vizepräsidentin Edeltraud Hanappi-Egger
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Rapid-Vizepräsidentin Edeltraud Hanappi-Egger

90minuten: Als Reaktion hat sich Rapid einen Maßnahmenkatalog auferlegt, federführend war Edeltraud Hanappi-Egger. Eineinhalb Jahre später stellt sich natürlich die Frage: Was wurde davon wirklich umgesetzt?

Overbeeke: Tatsächlich wurden viele Punkte schon umgesetzt, bevor ich hier angefangen habe. Zum Beispiel die Nachschärfung der persönlichen Verantwortung in den Arbeitsverträgen - parallel zum Vertrag muss jetzt auch das Leitbild unterschrieben werden, das war auch bei mir schon so. Auch die angekündigten Sensibilisierungsworkshops mit Mitarbeitenden und Führungskräften wurden schnell auf die Beine gestellt. Man hat hier professionelle Organisationen hinzugezogen, die Schulungen zu diesem Thema anbieten. Auch die Zusammenarbeit mit gegen Homophobie und Diskriminierung engagierten Institutionen wurde gestärkt. Ich habe mich gleich in den ersten Wochen mit den Diversitätsbeauftragten unserer Hauptsponsoren Allianz und Wien Energie zusammengesetzt. Im Oktober werden wir eine Tagung zum Thema Antidiskriminierung, Diversität und Inklusion im Fußball organisieren, da holen wir noch einmal alle in einen Raum.

Wir arbeiten außerdem dauerhaft daran, unser Leitbild omnipräsent zu machen. Das beginnt bei unseren Publikationen und endet bei unserer Kommunikation auf Social Media und in Aussendungen sowie direkt im Stadion. Vom Präsidium wurde ein Ideenwettbewerb zum Thema Diversität ausgeschrieben, daraus sind gleich mehrere Projekte entstanden. Zum Beispiel wurde ein spezieller Schal gestaltet, auf der Videowall im Stadion werden die Spieler jetzt auch auf Gebärdensprache vorgestellt. Wir sind fest davon überzeugt, dass Fußball die Macht hat, viel zu verändern. Wir befinden uns gerade in einem Nachdenkprozess, wie wir weitere Verbesserungen angehen können.

Wenn eine Spielerin oder ein Spieler unserer Akademie einmal als erwachsene Person dasteht, soll man merken: Diese Person wurde bei Rapid ausgebildet.

Overbeeke über Veränderungen im Nachwuchsbereich

90minuten: Das Leitbild wurde jetzt schon mehrfach angesprochen, zu diesem Punkt hat Oliver Egger in der Vergangenheit schon mehrfach den Wunsch geäußert, dass Antidiskriminierung - also zum Beispiel ein explizites Bekenntnis gegen Homophobie - deutlicher verankert werden soll. Wirklich umgesetzt wird das aktuell nur beim FAC. Wäre für Rapid eine Adaptierung mittelfristig denkbar?

Overbeeke: Ich finde, Rapid hat das schön gelöst, auch wenn es nicht explizit drinnen steht. Natürlich soll es auch heißen, dass - unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung - alle bei uns willkommen sind, die für den Verein leben. Ausschlaggebend ist am Ende, was man tut. Wir werden es mit diesem Leitbild schaffen, auch mit dem Thema Homophobie umzugehen. Es ist ein Anhaltspunkt, von dem wir unsere Aktivitäten aufbauen können.

90minuten: Ein weiterer Aspekt im Maßnahmenkatalogs spricht die Vermittlung der Werte im Rahmen der Nachwuchsarbeit an.

Overbeeke: Für den Nachwuchsbereich haben wir ein modulares System entwickelt, das sich 'Mehr als Fußball' nennt. Wir haben neben dem Sportlichen und dem Schulischen eine dritte Säule, die sich um Persönlichkeitsentwicklung dreht. Da wird unser Leitbild, Diversität, Inklusion und inklusive Sprache thematisiert. Auch ökologische Aspekte sollen vorkommen, der Ablauf eines Stadiontags, genauso wie Wien als Themenblock oder eine Führung im Rapideum. Das wird gestaffelt nach Altersgruppen in Modulen ablaufen. Wenn eine Spielerin oder ein Spieler unserer Akademie einmal als erwachsene Person dasteht, soll man merken: Diese Person wurde bei Rapid ausgebildet und hat jetzt einen Umgang, ein Bewusstsein, ein Wissen, dass man in anderen Akademien vielleicht nicht bekommt.

Auch auf das Allianz Stadion könnten Veränderungen zukommen
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Auch auf das Allianz Stadion könnten Veränderungen zukommen

90minuten: Im vergangenen Juli wurde mit der Nachhaltigkeitsstrategie ein weiterer Prozess angestoßen, der, wie schon von Ihnen angesprochen, Rahmen und Richtung bis 2030 vorgeben soll. Allzu konkret sind die Pläne darin noch nicht ausgeführt.

Overbeeke: Es hat sich auch in diesem Bereich schon viel getan. Vor einem Jahr wurden die Flutlichter im Stadion auf LED umgerüstet, was uns eine dreißigprozentige Stromersparnis eingebracht hat. Wir haben unsere Autoflotte auf E-Mobilität umgestellt.

Es gab schon Regenwasserzisternen, mit denen wir unsere Rasen bewässern. Photovoltaik bleibt ein großes Thema für die Zukunft. Wir prüfen, ob die Statik des Allianz Stadions zulässt, dass wir Module auf dem Dach installieren. Über unsere Partnerschaft mit Wien Energie und der guten Zusammenarbeit mit der Stadt Wien haben wir gute Voraussetzungen, um uns an zukünftigen Projekten zu beteiligen. Wir haben jetzt auch an einem EU-Ausschreibungsverfahren teilgenommen, um in Zukunft in Fördertöpfe der EU greifen zu dürfen. Da geht es vor allem um Stromreduktion, CO₂-Reduktion und Wasserverbrauch. Einerseits suchen wir damit natürlich nach Unterstützung für unsere Projekte, andererseits können wir von den Plänen anderer lernen.

90minuten: War es bisher nicht möglich, EU-Förderungen zu beantragen?

Overbeeke: Auf die Förderungen in Österreich hatten wir schon immer Zugriff. Was die EU-Förderungen betrifft, bemühen wir uns jetzt zum ersten Mal.

90minuten: Auch das Thema Fanmobilität ist Teil der Strategie. Wie viel Handhabe hat der Verein in diesem Bereich?

Overbeeke: Wir müssen hier etwas tun, weil es in den Bereich fällt, der rund 90 Prozent unserer CO₂-Bilanz ausmacht. Geplant ist, ab 2026 regelmäßig abzufragen, wie unsere Fans zu Spielen anreisen, um ein besseres Gefühl zu entwickeln. Unsere Anbindung in Hütteldorf mit Zügen, U-Bahn, Bussen, Straßenbahn und einem großen Standort für Leihfahrräder ist absolut ideal - es gibt eigentlich nicht viele Gründe, nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Allianz Stadion zu fahren. Wir tauschen uns mit Urban Innovation Vienna aus, um zu schauen, ob sich gemeinsam Projekte starten lassen. Wir sind in Gesprächen mit einem App-Provider, über den Challenges gestellt werden können. Wenn man eine gewinnt, kann man sich vielleicht ein Gratisgetränk abholen - das sind kleine Incentivierungen, mit denen wir gemeinsam unserem Ziel näherkommen können, der grünste Fußballverein Österreichs zu sein. Es gibt viele Möglichkeiten, die wir jetzt ausloten müssen.



90minuten: Inwiefern ist es Thema, auch bei den Profi-Mannschaften anzusetzen? Auch hier spielt natürlich die Vorbildwirkung eine Rolle, auch wenn die Umsetzung wahrscheinlich schwierig ist. Wie viel wird innerhalb Österreichs geflogen?

Overbeeke: Zu den meisten Spielen fahren wir mit dem Bus, bei Flugreisen ist es oft eine Zeitfrage. Bei den Profis ist natürlich die Frage, was zumutbar ist, wenn sie trotzdem noch eine Top-Leistung bringen sollen. Einen Spieler für 12 Stunden in einen Bus zu setzen, um dann zu erwarten, dass er über sich hinauswächst, ist so einfach nicht möglich. Die Busse, mit denen wir fahren, werden mit CO₂-reduziertem Biodiesel betankt, für E-Mobilität sind wir in diesem Bereich leider noch nicht weit genug.

90minuten: Ein weiterer Punkt, der in der Nachhaltigkeitsstrategie angesprochen wird, ist Lebensmittelverschwendung. Im VIP-Bereich wurde die 'TafelBox' eingeführt, mit der gegen eine Spende übriggebliebenes Essen mitgenommen werden kann. Wie wurde das bisher angenommen?

Overbeeke: Ganz gut! Wir haben über die letzten drei Jahre im VIP-Bereich unglaublich viel eingespart. Vor 2022 hatten wir nach jedem Spieltag drei Mülltonen Lebensmittelabfälle und zwei Mülltonnen Weinabfälle. Wir hatten über 100 offene Flaschen, dann haben wir unser Ausschankkonzept geändert und auch die Auswahl der Speisen anders gestaltet. Wir konnten das reduzieren auf eine Mülltonne an Lebensmittelresten, auf null werden wir wahrscheinlich nie kommen können. Das 'TafelBox'-Konzept wird sehr gut angenommen und wird auch in dieser Saison weiter betrieben, so kommt eine wertvolle Spende zusammen. Wir würden die Lebensmittelreste ja auch gerne anderweitig vergeben, das ist aber aufgrund von rechtlichen Vorgaben nicht möglich.

90minuten: Ist Lebensmittelverschwendung auch ein Thema bei den Essensausgaben außerhalb des VIP-Bereichs?

Overbeeke: Dort tun wir uns ein bisschen leichter, weil anhand der Ticketverkäufe klar ist, wie viele Menschen kommen. Dann lässt sich von unseren Gastronomie-Providern, mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten, auch gut abschätzen, wie viel im Großen und Ganzen gegessen wird.

90minuten: Gibt es abschließend ein Projekt, das in Ihrem ersten Jahr bei Rapid eine zentrale Rolle gespielt hat? Und gibt es etwas, dass sie in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigt?

Overbeeke: Es gab natürlich viele Projekte, der große Wurf war natürlich die Nachhaltigkeitsstrategie. Hinter dem veröffentlichten Dokument steht eine fünfzigseitige Unterlage, in der für jeden Bereich bis ins Detail unsere Ausgangslage und konkrete Ziele ausformuliert sind. Wir haben uns sehr detailliert Gedanken gemacht, für mich war es ein erster großer Erfolg, dass wir dem Ganzen jetzt einmal einen Rahmen gegeben haben, über den man reden kann. Jetzt steht uns natürlich bevor, dieser Strategie Leben einzuhauchen. Ein Herzensprojekt von mir ist, dass ich eine Nachhaltigkeitsberichterstattung einführen möchte. Ich glaube, dass wir schon unglaublich viel tun, aber zu wenig darüber sprechen oder schreiben. Da geht es um unseren Lebensmittelverbrauch, unsere gefahrenen Kilometer, unsere sozialen Initiativen, unseren Stromverbrauch. Das soll es in Zukunft jedes Jahr geben, damit nachvollziehbar ist, wie wir uns entwickeln.



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