Philipp Netzer prägte in über 13 Jahren als Spieler und Kapitän den SCR Altach wie kaum ein anderer. Der mittlerweile 39-Jährige absolvierte 348 Pflichtspiele für den Klub und hatte großen Anteil am Wiederaufstieg in die ADMIRAL Bundesliga 2014 und den zwei Europa-League-Qualifikationen (2015/16 und 2017/18).
Auch nach seinem Karriereende 2022 blieb der gebürtige Bregenzer seinem Herzensverein treu und agierte sowohl als Sportkoordinator als auch als Co-Trainer der Altach Juniors.
Nach dem Abgang von Roland Kirchler mit Saisonende stieg Netzer nun zum Sportdirektor in Altach auf und ist damit hauptverantwortlich für die sportliche Ausrichtung des Vereins.
Im großen Interview mit 90minuten spricht der Vorarlberger über seine neue Rolle, seinen Führungsstil, Vertrauen in Trainer Fabio Ingolitsch, die Strategie auf dem Transfermarkt und darüber, was Altach wieder stabiler machen soll.
90minuten: Sie sind Anfang Juni als neuer Sportdirektor präsentiert worden. Wie waren für Sie die ersten Wochen im neuen Amt?
Philipp Netzer: Ich kenne den Verein natürlich in- und auswendig und bin seit meinem Karriereende vor drei Jahren in verschiedenen Funktionen in Altach tätig gewesen. Dadurch war ich bereits vermehrt im sportlichen Bereich dabei und habe viele Gespräche mit Beratern und Spielern geführt, Verträge gemacht, etc. Das waren sicherlich auch Argumente, die für mich sprachen.
90minuten: Was sind die größten Unterschiede zu ihren vorherigen Tätigkeiten?
Netzer: Mit der neuen Position stehe ich viel mehr in der Eigenverantwortung. Meine Tage waren speziell in der ersten Woche schon sehr durchgetaktet mit diversen Terminen. Dadurch, dass wir auch viele Veränderungen im Trainerteam vorgenommen haben (Anm. Tormanntrainer, Athletiktrainer, Video-Analyst), waren die ersten Tage sicherlich sehr speziell. Dafür haben wir im Kader keinen großen Umbruch und werden uns nur punktuell verstärken. Mit Daniel Antosch, Patrick Greil und Yann Massombo haben wir schon einen Teil erledigt, auf zwei Positionen werden wir wahrscheinlich noch was machen.

90minuten: Sie haben eben angesprochen, dass Sie den Verein in- und auswendig kennen. Ist das ein Vorteil? Inwiefern helfen die Erfahrungen als Spieler in der neuen Rolle?
Netzer: Wenn man das Ganze richtig einordnet, kann man sicherlich davon profitieren. Es ist schließlich eine komplett andere Funktion. Trotzdem spüre ich, dass es ein absoluter Vorteil für mich ist, dass ich den Verein und die handelnden Personen gut kenne. Aber auf der anderen Seite möchte ich auch meinen eigenen Weg gehen. Das habe ich mir für die kommende Zeit fest vorgenommen. Ich werde an meinen Handlungen gemessen. Ich will nicht der langjährige Spieler sein, sondern mein eigenes Profil als Sportdirektor entwickeln.
90minuten: Der Verein hatte in den letzten Jahren sportlich sehr zu kämpfen. Welche Ansätze bringen Sie in den neuen Aufgabenbereich mit?
Netzer: Ich habe ein paar Punkte, die mir sehr wichtig sind. Dazu zählen natürlich die Kernthemen Mannschaft, Teamarbeit, Gemeinschaft und sportliche Planung. Ich möchte in allen Bereichen ein gutes Team bilden. Bestehend aus guten Charakteren, die alle für ein gemeinsames Ziel arbeiten. Und daraus resultiert schlussendlich der Erfolg des Vereins. Da sind wir auf einem guten Weg.
90minuten: Wenn Sie gerade vom Team sprechen. Gemeinsam mit Ihnen ist Eric Orie als neuer Sportkoordinator nach Altach gewechselt. Wie würden Sie ihn beschreiben?
Netzer: Ich kenne Eric schon lange, er hat mich damals als 17-Jähriger aus der Akademie zum FC Lustenau geholt. Über die Jahre haben wir den Kontakt nie wirklich verloren. Ich habe ihn immer als einen sehr ehrlichen und bodenständigen Arbeiter kennengelernt, der sich für nichts zu schade war. Das sieht man auch, welche Vereine er quasi im Alleingang geführt hat. Er bringt einfach sehr viel Erfahrung mit, von der ich absolut profitieren kann. Er hat ein sehr gutes Netzwerk in verschiedensten Märkten, aber auch in unserem Hauptmarkt Österreich. Seine Ruhe und Erfahrung geben uns einfach nochmal einen anderen Blickwinkel auf verschiedene Dinge.

90minuten: Wie sieht die Arbeitsaufteilung untereinander aus und wie funktioniert die Zusammenarbeit bisher?
Netzer: Wie arbeiten absolut auf Augenhöhe. Er macht im Prinzip denselben Job wie ich, trotzdem stehe ich am Ende in der Verantwortung und halte den Kopf hin. Da sind die Rollen dann schon nochmal klar definiert. Aber Eric kann sich in seinem Bereich voll ausleben und macht bisher einen sehr guten Job.
90minuten: Wofür stehen Sie als Sportdirektor. Wird der SCR Altach vermehrt auf junge, entwicklungsfähige Spieler setzen oder geht der Ansatz mehr in Richtung Erfahrung?
Netzer: Ich glaube die Mischung macht's. Das habe ich als aktiver Spieler selbst immer wieder erlebt und das zeigen auch andere Vereine, wie eine Kaderstruktur auszuschauen hat oder welche am besten funktioniert. Es ist natürlich unser Ziel, Spieler zu entwickeln. Aber da rede ich nicht nur von 18-, 19-Jährigen, da rede ich auch von 25-, 26-, 27- oder 30-Jährigen. Man kann sich permanent weiterentwickeln, in allen Bereichen. Aber dafür braucht es eine gute Mischung.
90minuten: Das heißt für den SCR Altach jetzt konkret?
Netzer: Es braucht erfahrene Spieler, die dem Kader oder der Mannschaft ein Gesicht geben und jungen Spielern die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln. Ich bin kein großer Fan davon, dass man 18-, 19-jährigen Spielern einen hohen Druck auflastet. Mit dem Druck müssen erfahrene Spieler vorangehen, Führung und Verantwortung übernehmen und den jungen Spielern die Möglichkeit geben, in ihre Rolle hineinzuwachsen.
Von daher ist nicht immer die oberste Priorität, welche Qualität hat der Spieler am Platz, sondern welche Qualität hat der Spieler in der Kabine. Das ist oft ein Faktor, der vernachlässigt wird und das ist mein Ansatz. Wir wollen gute Spieler, gute Charaktere in der Mannschaft haben, die ihre Rolle kennen, die ihre Rolle annehmen und sagen: für mich ist die absolute Priorität die Mannschaft und nicht das persönliche Ego.
Wir werden die kommende Saison besser abschließen als die letzte, das steht außer Frage.
90minuten: Altach ist ein Verein mit viel Potenzial, trotzdem ging es in den letzten Jahren immer nur gegen den Abstieg. Wo sehen Sie die größten Stellschrauben, die man drehen muss, damit der Blick auch mal in Richtung Mittelfeld gehen kann?
Netzer: Natürlich waren wir mit der letzten Saison nicht zufrieden. Wir haben intern auch unsere Ansprüche, aber wir träumen auch nicht von Sachen, die unrealistisch sind. Wir wissen, dass wir es besser können. Das an einem Tabellenplatz festmachen, möchte ich aber auch nicht. Wir werden die kommende Saison besser abschließen als die letzte, das steht außer Frage.
90minuten: Was braucht es dazu?
Netzer: Hier ist Kontinuität der Schlüssel. Und zwar im Trainerteam, in der sportlichen Leitung und im Kader. Das wollen wir in alle Bereiche reinbringen. Natürlich gehören immer wieder Wechsel dazu, das ist unvermeidbar. Aber das Gerüst muss stehen. Daher war es auch mein großer Wunsch, dass wir Stabilität ins Trainerteam reinbekommen. Fabio Ingolitsch mit seinen Co-Trainern Nuhiu und Mahop haben die volle Rückendeckung. Wir wollen eine Spielidee verinnerlichen, hinter der alle stehen, mit all den Rückschlägen, die auch dazugehören. Darum ein ganz klares Zeichen an das Trainerteam und auch an den Kader. Jetzt gilt es auf der Basis aufzubauen, sich nicht zufriedenzugeben und jeden Tag daran zu arbeiten, dass wir das eine oder andere Prozent mehr rausquetschen und dann auch erfolgreich Fußball spielen.
90minuten: Sie haben die Kontinuität im Trainerteam angesprochen. Unter Fabio Ingolitsch hat Altach die eigene Spielweise verändert und nicht mehr wie ein klassischer Abstiegskandidat gespielt. Die Bilanz mit drei Siegen aus 23 Spielen ist dennoch viel zu wenig. Was muss im Herbst besser werden, damit der Turnaround mit Ingolitsch glückt?
Netzer: Wir müssen bei unseren Offensivaktionen - und da rede ich speziell von Torchancen - deutlich effektiver werden. Wir haben nach der Saison die Spiele nochmal einzeln betrachtet und analysiert. Das gibt uns mehr als nur Hoffnung, sondern sehr viel Mut für die kommende Spielzeit. Es waren selten Spiele dabei, in denen wir unterlegen waren. Der Großteil der Spiele wurde durch Kleinigkeiten entschieden. Natürlich kann man sagen, das ist dann auch ein Muster und das ist uns auch bewusst. Aber daran arbeiten wir. Ich sehe einfach viel Potenzial in der Spielidee und im Kader. Von daher bin ich mehr als zuversichtlich, dass wir die guten und intensiven Leistungen, dann auch in Punkte ummünzen können.

90minuten: In der vergangenen Saison gab es immer wieder Kritik, dass der Kader nicht auf die Spielidee von Ingolitsch zugeschnitten ist. Wie sehen Sie die Kritik auch in Bezug auf ihre Kaderplanungen?
Netzer: Da gehe ich überhaupt nicht mit. Natürlich ist seine Spielweise sehr intensiv, mit einer hohen Linie, hohem Pressing und viel Laufarbeit. Im letzten Testspiel gegen den FC Basel hat glaube ich jeder einzelne gesehen, dass die Mannschaft die Spielidee umsetzen kann. Es war sehr intensiv, mit hohen Ballgewinnen, schnellen Aktionen und vielen Torchancen gegen einen richtig guten Gegner. Aber ich bin auch nicht naiv, es war nur ein Testspiel. Trotzdem habe ich auch im vergangenen Jahr viele Spiele gesehen, in denen wir ebenbürtig waren und nur an uns selbst gescheitert sind. Egal ob an mangelnder Effizienz oder Eigenfehlern. Ich bin aber überzeugt, dass wir diese Idee zu 100% umsetzen können. Das zeigt auch die bisher sehr gute Vorbereitung.
90minuten: Sie sprechen die Vorbereitung an. Bisher hat Altach mit Patrick Greil und Yann Massombo fürs Mittelfeld und Ersatzkeeper Daniel Antosch drei Neue verpflichtet. Wie bewerten Sie die Verstärkungen und wird Greil direkt eine Leader-Rolle einnehmen?
Netzer: Die Tür steht für jeden offen, eine Leader-Rolle zu übernehmen. Natürlich auch für Patrick Greil, der sehr gute Voraussetzungen dafür mitbringt. Mit Greil und Massombo haben wir versucht, eine große Schwachstelle aus dem Vorjahr zu verbessern: Nämlich Torgefahr aus dem Mittelfeld. Sicher müssen sich die Jungs in der Vorbereitung erst beweisen, dass sie unsere Anforderungen auch umsetzen können. Aber wir haben viel Vertrauen in unsere Spieler.
Wir haben eine hohe Qualität im Kader und vor allem noch viel Potenzial nach oben.
90minuten: Sie haben bereits mehrfach angekündigt, dass der Kader nur punktuell verbessert werden soll. Der Glaube an den bestehenden Kader ist also groß?
Netzer: Wir haben eine hohe Qualität im Kader und vor allem noch viel Potenzial nach oben. Ich begleite die Mannschaft tagtäglich im Training und bei allen Testspielen und ich sehe, welche Qualität vorhanden ist. Ich habe es Anfangs bereits erwähnt, dass wir Entwicklungspotenzial im bestehenden Kader haben. Und da rede ich auch von den erfahrenen Spielern. Wenn wir das Thema Torgefahr aus dem Mittelfeld nochmal ansprechen, dann haben wir auch Spieler in den Reihen, die das tagtäglich im Training zeigen und von denen erwarte ich das auch in der nächste Saison.
90minuten: Auf zwei Positionen wollt ihr trotzdem noch was machen. Ich nehme an rechts hinten und im Sturmzentrum. Wie läuft da die Suche und auf welche Spielertypen fokussieren Sie sich da?
Netzer: Wir wollen Spieler, die uns besser machen und die Qualitäten mitbringen, die wir so noch nicht im Kader haben. Gerade auf der Stürmerposition könnten wir einen brauchen, der etwas Konträres zu den aktuellen Spielern mitbringt. Aber wir werden sicherlich auf beiden Positionen keine Schnellschüsse tätigen. Daher kann es durchaus sein, dass es noch ein, zwei Wochen dauert, bis wir jemanden präsentieren. Wir haben Qualität in unseren Reihen und wenn wir Spieler dazuholen, müssen sie uns vom Charakter und von der Qualität auf dem Platz besser machen. Wir wollen nicht in der Breite wachsen, sondern in der Spitze.
90minuten: In den letzten Tagen kamen Gerüchte auf, dass Altach Interesse an Jerome Onguene hat. Ist da irgendwas dran?
Netzer: Bei Onguene ist nichts dran. Da waren wir nicht in Kontakt. Er ist sicherlich ein interessanter Spieler, aber aktuell haben wir da null Kontakt aufgenommen. Wir kennen natürlich den Markt der vereinslosen Spieler. Speziell Spieler, die schon auf hohem Niveau gezeigt haben, was sie können. Trotzdem sind wir in der Innenverteidigung sehr gut aufgestellt und haben da alle Optionen. Wir haben auch mit Filip Milojevic, der in der Vorbereitung sehr stark aufgezeigt hat, einen jungen Vorarlberger in unseren Reihen, dem wir sehr viel zutrauen.

90minuten: Paul Koller hingegen könnte den Verein im Sommer noch verlassen und den nächsten Schritt gehen. Wie ist da der aktuelle Stand?
Netzer: Bei Paul (Koller Anm. d. Red.) ist es kein Geheimnis, dass der Spieler auch letzte Saison schon einen Wechselwunsch geäußert hat. Das ist natürlich absolut legitim, weil er eine gute Entwicklung genommen hat und nur noch ein Jahr Vertrag hat. Jetzt schauen wir, welche Optionen es für den Verein und den Spieler gibt. Es gehören aber immer drei Parteien dazu, die sich einigen müssen. Er macht aber eine sehr gute Vorbereitung und haut sich in jedem Training und Spiel voll für die Mannschaft rein. Trotzdem sind wir offen dafür, wenn es für alle Seiten passt, dass er den Verein verlassen kann.
90minuten: Sie waren ja in den letzten Jahren auch für die Altach Juniors als Co-Trainer im Einsatz. Jetzt hat mit Erkin Yalcin ein Youngster sowohl in der Winter-Vorbereitung als auch aktuell im Sommer voll überzeugt. Trauen Sie ihm in diesem Jahr den nächsten Schritt und dementsprechend erste Einsätze zu?
Netzer: Ich begleite ihn schon sehr lange und war involviert, als wir ihn zu den Juniors geholt haben. Leider ist er damals nach der ersten Trainingswoche direkt mit einer Schambeinentzündung ausgefallen und war mehr als ein Dreivierteljahr raus. Mittlerweile ist er aber auf einem sehr guten Weg. Aber man muss dem Jungen Geduld geben. Er soll spüren, dass er nah an der Mannschaft dran ist. Er hat Qualitäten, die jeder Klub sucht. Er hat sehr viel Tempo und einen starken linken Fuß. Trotzdem gibt es auch noch Themen, an denen er arbeiten muss. Wir geben ihm die Zeit, er wird aber sicher auch Einsätze bekommen und hat die volle Unterstützung. Es liegt schlussendlich am Spieler selbst. Die Tür ist für jeden offen.
90minuten: Ich würde das Interview gerne mit einer beliebten Abschlussfrage schließen. Wenn wir uns in einem Jahr noch einmal zu einem Gespräch treffen würden, wo müsste Altach stehen, dass Sie ihre erste Saison als Sportdirektor als Erfolg bewerten würden?
Netzer: Erfolg wäre es für mich, wenn sich die Mannschaft, der Verein und die Trainer allesamt positiv weiterentwickelt haben. Ich werde die Saison aber nicht an einem Tabellenplatz festmachen und sagen, dort war es erfolgreich und dort nicht. Wir haben sehr viele Themen, an denen wir arbeiten und uns entwickeln können. Wenn wir schlussendlich in den Spiegel schauen und sagen, dass wir alles für den Erfolg des Vereins getan haben, dann bin ich sehr zufrieden. Und dann waren wir sicherlich auch erfolgreich.
90minuten: Danke für das Gespräch!