
Zu viel Liebe? Darum heißt es "Rückwärts Steyr"
Nach dem Finanzcrash Ende der 90er kämpfte sich Vorwärts Steyr von der 8. Spielklasse in die 2. Liga zurück. Nach dem Abstieg 2023 ging es zuletzt für den Traditionsklub aber bis in die Landesliga hinunter. 90minuten begab sich auf Spurensuche.
Zwei Punkte fehlten Vorwärts Steyr 2022/23 auf den Ligaverbleib. Vielleicht wäre die Steyrer Fußballwelt eine andere, hätte Mark Grosse an diesem 10. März 2023 in Minute 91 nicht den Ausgleich für die SV Kapfenberg geschossen...
Ein Abstieg gehört zum Fußball dazu. Aber dass es nach einem Konsolidierungsjahr mit Rang zehn im Frühjahr 2025 noch einmal eine Liga weiter runter ging, ist eher ungewöhnlich. Vor allem, wenn es keine groben wirtschaftlichen Probleme, wie Hauptsponsorenkonkurse, gibt - sondern eher hinter der Erwartung zurück bleibende wirtschaftliche Entwicklungen.
Ausreden wie Pech und böse, ausbleibende Sponsoren reichen aber nicht aus. 90minuten hat sich im Umfeld des Vereins umgehört, um herauszufinden, warum aus einem so traditionsreichen Fußballklub nun Rückwärts Steyr wurde. Was lag am Klub, was an den Rahmenbedingungen?
Hat nicht sollen sein...
Vornweg: Der SK Vorwärts Steyr ist eher zufällig so lange in der 2. Liga geblieben. Der Aufstieg gelang als Tabellendritter, weil die Liga zur Saison 2018/19 hin aufgestockt wurde und die Bundesliga händeringend Aufsteiger suchte. Zur Erinnerung: Wacker II aus der Regionalliga West kam als Achter eine Spielklasse rauf.
Lizenzentzüge, Zwangsabstiege, Aufstiegsverzichte – all das spielt eine Rolle, warum die Steyrer oben geblieben sind.
Du verlierst ein Spiel, dann noch eines, irgendwann tauschst du den Trainer, glaubst, du kannst noch etwas retten.
2020/21, nach einem siebten Platz in der Vorsaison, hielt man die Liga wegen Corona bzw. weil es keinen Abstieg gab. 2021/22 landete man auf Rang zehn, ging all-in und stellte auf Profibetrieb um. 2022/23 kam der Abstieg, heute ist der Klub gar in der Landesliga.
Sportlich kalte Füße
Es stimmt schon, was General Manager Andreas Blumauer im Winter sagte: "Du verlierst ein Spiel, dann noch eines, irgendwann tauschst du den Trainer, glaubst, du kannst noch etwas retten, hast aber viel zu lange gar nicht daran gedacht, dass es dich erwischen könnte." Er kennt den Versuch, durch Hauruck-Aktionen wie Trainerwechsel noch etwas zu retten, aus St. Pölten.
In Steyr war es aber ein Hin und Her, das man auch selbst verschuldete. Etwa die Umstellung auf den Profibetrieb. Einer, der sich mit den sportlichen Umständen sehr gut auskennt, aber seinen Namen nicht veröffentlicht haben will, erklärt diese Perspektive: "Wir haben uns in eine professionelle Richtung entwickelt, dass alle regelmäßig zweimal trainieren können."
So konnten zwar alle mittrainieren, aber erhielten offenbar nur das Mindeste, was der Kollektivvertrag für Profis vorsieht. Das sind (gegenwärtig) 1.650 Euro brutto. In der Regionalliga oder oftmals auch darunter können Kicker mit Beruf/Ausbildung und der vollen pauschalen Reisekostenaufwandsentschädigung (PRAE, maximal 720 €) mehr abcashen.
Ein Umstand, den kaum jemand bestreitet. Allerdings hätte man während Corona und somit ohne Abstieg die Chance gehabt, die eigene Jugend zu forcieren. Das geschah aber nicht, nach zwei, drei schlechten Spielen bekam man kalte Füße und machte schon wieder etwas anderes. Und: "Scouting gab es kein ordentliches, so ist es schwierig, eine sportlich konkurrenzfähige Mannschaft auf die Beine zu stellen." Dem nicht genug:

Budgetkürzungen
"Alle sechs Monate wurde das Budget gekürzt", was aus Sicht des sportlichen Auskenners ein Fingerzeig woanders hin ist: "Ich denke, es ist auch an Sales und Sponsoring gescheitert." Externe Faktoren mögen eine Rolle gespielt haben, der Verein selbst tickt offenbar sehr eigen:
"Im Vorstand waren und sind viele Menschen, die den Klub zu sehr lieben und viele Dinge mit der rosaroten Brille sehen", meint jemand anders. Mit dem Selbstbild Traditionsverein gingen offenbar einige davon aus, dass die Sponsoren die Türen am in die Jahre gekommenen Platz einrennen, weil eben Vorwärts. Ein Fehler, den auch andere, sogenannte Traditionsvereine, machen.
Der Abstieg bedeutet dann folgendes, wie der Verein festhielt: "Aus sportlicher Sicht bedeutet der Abstieg eine Rückkehr zum Amateurbetrieb. Denn nur so kann mit dem reduzierten Budget die Zahlungsfähigkeit weiterhin gewährleistet werden." Es ging eben noch eine Liga runter.
Nicht träumen
Eine Situation wahrhaben und darauf reagieren, ist nicht einfach. Das gilt zugegebenermaßen gerade bei einem Traditionsklub: Die Menschen kommen in Scharen, aber die Befindlichkeiten sind groß.
Beginnt das Schiff in Seenot zu geraten, werden Interna schnell ausgeplaudert und aus einem Thema, das am Montag im Vorstand diskutiert wird, wird am Dienstag in der Zeitung schon ein Faktum.
Wären wir nicht abgestiegen, wäre alles fertig. Wir haben ein Jahr lang mit einem Investor verhandelt, mit dem Abstieg aus der 2. Liga war das null und nichtig.
Und oftmals wird eben zu viel geträumt: In der 2. Liga sollte es gleich ein Stadion und Plätze für das Nachwuchszentrum sein. Aber weil kein Geld da war, machte man gar nichts. Erst jetzt in der vierten Liga werden Kabinen saniert: "Man wollte gleich alles neu machen, dabei wäre es Schritt für Schritt besser gewesen."
Tradition verstehen?
Tatsächlich kämpft der Klub mit infrastrukturellen Themen. Es gibt weit über 250 Sportvereine in der Stadt Steyr, mit entsprechenden Bedürfnissen. Der ehemalige Zweitligist hat einen einzigen Fußballplatz für die erste, zweite und sonstige Herren- und Frauen-Teams, dazu kommen noch die Special Needs-Kicker. Der Rest musste zugemietet werden. Aber wie sieht der Klub selbst diese Themen?
90minuten hat Reinhard Schlager mit all diesen Themen konfrontiert. Er kam 2015 zum Verein, war von 2016 bis 2022 im Vorstand. Heute ist er nur noch Sponsor. Beim Stadion hoffte man auf große Lösungen, das stimmt. Das Gesamtpaket war schon mit den Baubehörden verhandelt, Stadt und Land hätten ein Drittel beigesteuert, aber "wir haben unser Drittel nicht zusammen bekommen, weil es zu wenig Sponsoren gab."
Er plädiert aber auch, das Wesen eines Traditionsvereins zu verstehen. Da stehe ein anderer Apparat dahinter als bei Emporkömmlingen, so Schlager. Das würden viele übersehen aber er versteht auch, dass das "den Fans sauer aufstößt, wenn wir von einem Stadion reden und dann nichts passiert." Auch sportlich habe man Fehler gemacht.
Falsche Pferde
"Wir haben sportlich auf die falschen Pferde gesetzt", räumt er ein, meint aber bis zu einem gewissen Punkt auch die sportliche Leitung bzw. Trainer. Die Umstellung auf Vollprofibetrieb sieht er retrospektiv kritisch, manche lokale Kicker mussten gehen, damit ging die Identifikation verloren. Dann drehe sich die Spirale eben nach unten.

Das begann schon mit dem Aufstieg. Denn während es früher noch große Industriebetriebe wie die Steyr-Daimler-Puch-Werke gab, die sich für den Klub engagierten, fehlen lokale Großsponsoren. Von einem ist er aber überzeugt:
"Wären wir nicht abgestiegen, wäre alles fertig. Wir haben ein Jahr lang mit einem Investor verhandelt, mit dem Abstieg aus der 2. Liga war das null und nichtig." Vielleicht ist aber auch ein Investor, der so kurzfristig denkt, das falsche Pferd.
Und jetzt?
Es wirkt dennoch fragil, wenn nach einem Abstieg in die Regionalliga nach zwei Saisons noch einer kommt. Muss alles an einem Tor mehr oder weniger in Kapfenberg hängen? "In Wahrheit ist alles eine Gratwanderung, an deren Ende immer die Frage steht, wer alles bezahlen soll." Eine nachvollziehbare Sichtweise, diese Person(en) zu finden, wäre aber schon Aufgabe des Vereins gewesen.
Der Saisonstart in diesem Sommer war gut, aber die Aufgaben wie Infrastruktur und Sponsorenakquise bleiben bestehen. Schlager selbst ist skeptisch, ob es nach weiter oben hin ohne Investor etwas wird – ohne scheint das Einlegen des Vorwärtsgangs für ihn nicht realistisch. Leider ist Vorwärts Steyr aktuell ein Beispiel, wie man sich im Falle von ausbleibendem sportlichen Erfolg nicht verhält.
Hat man was gelernt? Da ist sich eine Person aus dem Umfeld nicht hundert Prozent sicher: "Man wird sehen, ob die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden oder nicht."