
20 Jahre Red Bull Salzburg: Die Übernahme im Rückblick
Im Juli 2005 traf Red Bull Salzburg zum Bundesliga-Auftakt auf den GAK. Es war der Start in eine neue Ära, als Teil eines Firmenimperiums, mit viel Geld und großen Zielen. Die bisherige Tradition des SV Austria Salzburg blieb dabei auf der Strecke.
Seit 20 Jahren ist Red Bull Salzburg eine Fixgröße im heimischen Fußball. 14 Meistertitel, neun Cupsiege und viele europäische Sternstunden stehen zu Buche, auch wenn nicht immer alles wie geplant funktionieren wollte.
Großer Beliebtheit erfreut sich der Verein bei großen Teilen der österreichischen Fans trotzdem nicht - auch hierfür wurden die Grundlagen vor zwei Jahrzehnten geschaffen. 90minuten blickt anlässlich des Jubiläums zurück auf die entscheidenden Monate im Frühjahr und Sommer 2005.
Die Ausgangslage in der Winterpause
Beim SV Wüstenrot Austria Salzburg ist die Stimmung schlecht. Sportlich steckt der Verein im Abstiegskampf, wirtschaftlich ist er ohnehin schon seit längerem angezählt. Vor kurzem hatte die sportliche Leitung den jungen Nationalspieler Andreas Ibertsberger an den SC Freiburg verkaufen müssen, neu dazugeholt wurden gleich sieben Legionäre, was nicht nur den eigenen Fans sauer aufstößt.
Die Salzburger Legende Heimo Pfeifenberger - inzwischen Nachwuchsleiter - zeigt sich in Interviews deprimiert, weil im Sommer ein österreichischer Weg versprochen worden war. Wenige Tage später wird er freigestellt.
Weil sich Trainer Peter Assion auf eine Managementposition zurückziehen will, kommt Anfang März mit Nikola Jurcevic eine weitere Ikone aus den erfolgreichen 1990er-Jahren retour zur Austria. Otto Baric hatte seine Verpflichtung persönlich empfohlen. Zuerst setzt es eine Niederlage gegen die Admira, dann eine 1:5-Blamage gegen den Regionalligisten SKN St. Pölten im Cup-Achtelfinale. Noch vor der Halbzeit stürmen Salzburg-Fans das Spielfeld. Immerhin gelingt wenig später ein Sieg im Kellerduell mit Schwarz-Weiß Bregenz - selbst am finanziellen Abgrund stehend. Der stolze SV Austria Salzburg ist tief gefallen.

Der Einstieg aus dem Nichts
Fast zum selben Zeitpunkt startet der Formel-1-Rennstall Red Bull Racing mit dem österreichischen Piloten Christian Klien in seine erste Saison, die Red Bulls in Salzburg hatten ihre erste in der höchsten heimischen Eishockey-Liga gerade erfolglos hinter sich gebracht. Die Marke ist im Sport also auch im Frühjahr 2005 sehr präsent, Firmenboss Didi Mateschitz lässt sich das viel Geld kosten.
Auf die Frage, warum das F1-Team auf einen Hauptsponsor verzichtet, antwortet Sportdirektor Helmut Marko: "Es geht auch um die Ästhetik, die uns wichtig ist. Deshalb der Entschluss, ein Jahr selbst zu budgetieren" - eine Art Vorzeichen für die späteren Geschehnisse im Fußball.
Der Start in eine neue Ära am 6. April kommt einigermaßen überraschend. Zwei Tage zuvor wurde noch über den Einstieg des ukrainischen Milliardärs Rinat Akhmetov spekuliert, auch kasachische und heimische Investorengruppen waren im Gespräch. Mateschitz - mit einem Vermögen von 3,1 Milliarden Dollar damals die zweitreichste Person des Landes - übernimmt 100 Prozent an der Salzburg Sport AG. Der Preis - rund sieben Millionen Euro - deckt sich mit jenem Schuldenstand, für den der bisherige Präsident Rudi Quehenberger bürgen musste. Er hatte den Deal eingefädelt, der Kontakt zwischen dem Logistikunternehmer und dem Energydrink-Konzern bestand seit Jahren.

Immer wieder an Mateschitz' Seite zu finden ist zu dieser Zeit Franz Beckenbauer, der Salzburg als "schlafenden Riesen" erkennt - der "Kaiser" ist 2005 parallel Präsident des FC Bayern München, Berater bei Red Bull und im Organisationskomitee für die WM 2006 involviert.
Erste Umbauarbeiten
Von der kompletten Umgestaltung des Traditionsvereins, die später für große Verwerfungen sorgen sollte, war zu Beginn noch keine Rede. Der neue wirtschaftliche Leiter, Kurt Wiebach, der mit der Austria schon Ende der 1980er-Jahre Erfolge gefeiert hatte, erklärt Mitte April gegenüber dem ORF: "Fußball lebt auch von der Tradition, von den Fans, von seinen Wurzeln, die gewachsen sind. Mit Red Bull ensteht sicher ein neues Kapitel Austria Salzburg, oder Red Bull Austria Salzburg."
Mit Heimo Pfeifenberger wird ein weiteres Urgestein kurz nach seinem Abschied zurückgeholt, er übernimmt eine Rolle im Nachwuchsbereich.
Einen Mateschitz hätte ich schon genommen.
Hier und da kursieren Gerüchte über neue Trikotfarben und den neuen Vereinsnamen, letzteren hätte man aus Gewohnheit wohl in fast jeder Konstellation geschluckt. Auch die Konkurrenz verfolgt die Entwicklungen in Salzburg mit Interesse. Rapid-Präsident Rudi Edlinger gibt sogar zu Protokoll: "Einen Mateschitz hätte ich schon genommen. Bei Investoren kommt es auf die Rahmenbedingungen an. Wenn der Verein der bleibt, der er ist, bin ich für jedes Gespräch offen."
Beim Wiener Stadtrivalen freut man sich über einen zweiten großen Geldgeber im österreichischen Fußball, die Austria ist dank Frank Stronach zum damaligen Zeitpunkt der mit Abstand reichste Verein des Landes. Der Austro-Kanadier telefoniert noch am Tag der Übernahme persönlich mit Mateschitz, um ihm zu gratulieren. Auch die Medien haben ihren Spaß und rufen das "Duell der Milliardäre" aus.
Als neuer Cheftrainer und Sportdirektor in Personalunion wird Kurt Jara bestellt, der Tiroler hatte zuletzt in Deutschland den HSV und 1. FC Kaiserslautern betreut. Nikola Jurcevic muss dafür nur einen Monat nach seinem Amtsantritt wieder gehen, Peter Assion wird freigestellt. Um Jara genügend Zeit für die Kaderplanung einzuräumen, führt vorerst aber Co-Trainer Manfred Linzmaier die Mannschaft, als zweiter Assistent kommt Dieter Mirnegg nach Salzburg.

Mannschaft vom Reißbrett
Mitte Mai legt Kurt Jara richtig los. 17 Spielerverträge laufen aus, nur wenige werden verlängert. Stattdessen holt Salzburg ein Trio aus Pasching: Der frischgebackene Bundesliga-Torschützenkönig Christian Mayrleb, Roland Kirchler (34) und Patrick Jezek (28). Die nächsten auf der Liste sind Stürmertalent Marc Janko (21) von der Admira und Thomas Linke (35) vom FC Bayern.
Parallel trudelt die Saison aus. Unter Interimstrainer Linzmaier hat sich die Mannschaft stabilisiert, kommt aber nicht mehr über den vorletzten Platz hinaus. Unruhe herrscht inzwischen im eigenen Fanlager: Im letzten Spiel setzen Anhänger vor den Augen von Mateschitz, Beckenbauer und Jara ein Zeichen. Angelehnt an das Gründungsjahr 1933 bleibt der Block 19:33 Minuten leer.
Konflikte mit Fans
Es ist eine von vielen Auseinandersetzungen mit alteingesessenen Fans. Nachdem die Hoffnung auf eine neue Ära zuerst bei vielen Optimismus ausgelöst hatte, kehrt von Woche zu Woche teils Skepsis, teils Entsetzen ein.
Am 3. Juni 2005 wird in einer Generalversammlung in Salzburg das Ende der Austria besiegelt. Die Vereinsfarben bleiben zwar violett-weiß, davon abgesehen soll aber nichts mehr an die Vergangenheit und bisherige Vereinstradition erinnern. Die weißen Heim- und blauen Auswärtsdressen tragen das Red Bull Firmenlogo und das neue Vereinswappen.
Selbst den bisherigen Ausrüster Puma lässt man links liegen, die neuen Trikots kommen trotz eines bestehenden Vertrags bis 2007 von Adidas. Mit Jahresende schließen Puma und Red Bull einen Vergleich vor Gericht.

Schon beim ersten Testspiel mit der neuen Identität kommt es zu einem Protest. In Mondsee soll eigentlich ein Fest gefeiert werden, 3.000 Fans sind vor Ort, die Partie wird - damals sehr innovativ - live auf der Vereinshomepage übertragen und von Martin Konrad kommentiert. Nach 19 Minuten wird das Spiel unterbrochen, einige Anhänger besetzen den Platz. Nach einer Intervention der Mannschaft kann das Spiel zu Ende gebracht werden, mit 5:1 gelingt ein Auftakt nach Maß.

Große Ziele, große Namen
Währenddessen kauft Salzburg weiter ein, insgesamt werden rund 10,85 Millionen Euro auf den Tisch gelegt: Alexander Zickler (31) kommt vom FC Bayern, Vratislav Lokvenc (31) aus Bochum, Wolfgang Mair (25) von Wacker Innsbruck, Alexander Manninger (28) von Siena aus der Serie A, Markus Schopp (31) von Brescia Calcio.
Für die zweite Mannschaft wird mit Adi Hütter (35) ein weiterer "Heimkehrer" und ehemaliger Salzburg-Kapitän verpflichtet, sein Wechsel ins Traineramt nach zwei Jahren ist bereits vertraglich vorprogrammiert. Alle paar Tage macht die nächste Vollzugsmeldung die Runde, nur der von Medien ins Spiel gebrachte Sensationstransfer bleibt aus - Pavel Nedved entscheidet sich gegen Salzburg und für eine Vertragsverlängerung bei Juventus. Auch Tobias Schweinsteiger (23) kommt nicht, es wäre zumindest ein sehr prominenter Name gewesen.
Es ist anders, als mit einer Versicherung oder einem Waschpulver auf der Brust zu verlieren.
Leichte Uneinigkeit herrscht nur bei den Zielvorgaben. Jara will im ersten Jahr die Europacup-Qualifikation erreichen, Beckenbauer spricht gleichzeitig schon von der Champions League. Den optimistischsten Ausblick wagt Mäzen Mateschitz selbst gegenüber der 'Kronen-Zeitung': "Wir müssen versuchen, Salzburg innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre in den Kreis der internationalen Spitzenklubs zu bringen. Also vergleichbar mit Mailand, mit englischen, deutschen, holländischen Klubs."
Durch die enge Verknüpfung mit dem Produkt Red Bull wäre alles andere als sportlicher Erfolg ein großes Problem: "Es ist anders, als mit einer Versicherung oder einem Waschpulver auf der Brust zu verlieren. Auf dem Energy-Drink steht 'Verleiht Flügel' und 'Belebt Geist und Körper', das fällt ja der Marke auf den Kopf. Dann rufen die Leute hinten: 'Gebt ihnen etwas anderes zu trinken'."
Viel Show und Unruhe
Dass Salzburg in Zukunft eine Stufe größer denkt, wird schon bei der Teampräsentation klar. Die Trikots werden offiziell vorgestellt, rund 80 Medienvertreter und prominente Persönlichkeiten sind dabei, teilweise lässt Red Bull sie aus Wien zum Hangar 7 einfliegen - mit einer rund 50 Jahre alten Propellermaschine.
Im hauseigenen Magazin ist sogar vom "neuen Wunderteam" die Rede - alles ist durchinszeniert. Zwischen den ausgestellten Flugzeugen und Rennautos wurde sogar eigens Kunstrasen ausgerollt. Kurt Jara zieht Vergleiche mit dem FC Bayern und meint: "Geld schießt keine Tore. Aber Qualität schießt Tore. Und wir haben mit Geld Qualität gekauft."

Gleich im ersten Ligaspiel gegen den GAK setzt es dann aber einen ersten Dämpfer. In Minute 91 tritt Kapitän Markus Schopp vor 10.000 Fans ins Graz zum Elfmeter an und knallt das Leder ins linke untere Eck, es wäre der Ausgleich zum 2:2 gewesen. Aber der Schiedsrichter lässt den Strafstoß wiederholen, diesmal verzieht Schopp links am Tor vorbei. Wenig später setzt Bazina den Schlusspunkt zum 1:3.
Die mit neun Neuzugängen in der Startelf angetretenen "Bullen" müssen die Heimreise ohne Punkte antreten. Auch das eigene Fanlager ist unzufrieden: Noch während dem Spiel skandiert der Auswärtsblock "Salzburg ist komplett Weiß und Violett", zusätzlich werden Spruchbänder mit Aufschriften wie "Stoppt Red Bull! Gebt uns Violett zurück" gezeigt. Stephan Huber, Obmann der Initative Violett-Weiß, erklärt in einem Interview mit den 'Salzburger Nachrichten': "Ein Klub hat drei Konstanten. Den Vereinsnamen, die Farben und die Fans. Wenn zwei davon eliminiert werden, haben die Fans ein Problem."
Auch in den folgenden Wochen schlingert das komplett neu zusammengewürfelte Salzburger Team durch sein Auftaktprogramm. Bei Aufsteiger Ried setzt es eine 0:3-Pleite, die mitgereisten Fans setzen schon nach 20 Minuten das Tornetz mit bengalischen Feuern in Brand. Kurt Jara erklärt dazu nach dem Spiel: "Das hat mit echten Red-Bull-Fans nichts zu tun." Es ist eine Aussage, die zum damaligen Zeitpunkt wohl alle Seiten unterschrieben hätten.
Nationale und internationale Solidarität
Eine Einheit ist die Salzburger Fangemeinde zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr. Es gibt die, die den Wechsel zu Red Bull Salzburg mitmachen oder neu dazugekommen sind und jene - rund um die Initiative Violett-Weiß - die sich weiter wehren. Im Oktober 2005 gründet diese Fraktion den neuen SV Austria Salzburg, der aktuell wieder im Profifußball vertreten ist.
Unterstützung erhalten sie von anderen Fangruppierungen. Beim Spiel gegen den GAK zeigen Unterstützer der "Rotjacken" ein Transparent: "Red Bull fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu", auch in anderen Stadion im deutschsprachigen Raum finden sich Solidaritätsbekundungen.
Der Verein wäre den Bach heruntergegangen, so etwas müssen die Leute mal verstehen.
Red Bull Salzburg fährt einen harten Kurs und reagiert mit Vereinsausschlüssen und weit über 50 Stadionverboten. "Die Toleranz-Politik ist nun zu Ende. Wenn Spielabbrüche provoziert werden sollen, Leute mit Red-Bull-Dressen angeschüttet und beschimpft werden, sowie die Polizei attackiert wird, dann geht das nicht mehr", heißt es noch im Juli 2005 in einem Statement.
Einige schlagen tatsächlich weit über die Stränge: Ex-Kapitän Heiko Laessig, der nach neun Jahren bei der Salzburger Austria von Red Bull mitübernommen wurde und bis heute in der Scoutingabteilung arbeitet, werden die Autoreifen aufgestochen. Manager Kurt Wiebach sieht sich mit Morddrohungen konfrontiert und wehrt sich: "Rudi Quehenberger hat mir gesagt, dass Salzburg ein zweiter Fall Bregenz geworden wäre. Der Verein wäre den Bach heruntergegangen, so etwas müssen die Leute mal verstehen."
Verhandlungen über Kompromisslösungen verlaufen im Sand. Kolportierte Vorschläge des Klubs reichen von einem violett eingefärbten Adidas-Logo, violetten Stutzen - die Torwart Arzberger in einem Spiel wirklich anhatte - bis hin zu einer violetten Kapitänsschleife. Mit dem Statement "Keine Kompromisse. Das ist ein neues Team, ein neuer Klub. Es gibt keine Tradition, es gibt keine Geschichte, es gibt kein Archiv", zieht Red Bull im August einen Schlussstrich.
Voll auf Kurs
Aufzuhalten ist das Projekt wenige Monate nach seinem Start sowieso nicht mehr. Nachdem geplante Transfers nach England - zu Fulham, Everton oder Liverpool - nicht zustandekommen wollten, wechselt Nationalspieler René Aufhauser für rund 1,3 Millionen Euro vom GAK in die Mozartstadt. Auch der Grazer Verein steht finanziell an der Kippe, Trainer Walter Schachner gerät durch den Transfer an den Rand der Verzweiflung. Im Hintergrund laufen Planungen für eine eigene Akademie, um früher oder später junge Talente fördern zu können.

Noch vor dem ersten Heimspiel erhält das spätere EM-Stadion einige Upgrades: Neue Vidiwalls werden installiert, sie sind doppelt so groß, wie die alten. Graffitikünstler verzieren die Arena mit Motiven aus dem Red Bull Universum, für 350.000 Euro wird eine bessere Soundanlage angeschafft, die Umkleidekabinen werden renoviert.
Gehen muss auch der beliebte Stadionsprecher Didi Ziesel - einige Jahre später landet er dann doch wieder in der Red Bull Arena. Gegen Mattersburg erleben am 20. Juli 2005 rund 18.500 Personen eine große Show: Felix Baumgartner fliegt den Matchball per Fallschirmsprung ein, den Ankick macht Formel-1-Fahrer David Coulthard. Auf dem Platz glänzt Alexander Zickler als Doppeltorschütze, Salzburg gewinnt die Partie mit 4:0.
Im späteren Saisonverlauf kommt das Team immer besser in Fahrt, am Ende reicht es für Platz zwei, Meister wird die Wiener Austria. Den ersten Titel feiert Red Bull Salzburg ein Jahr später - 22 weitere in Liga und Cup sollten mit der Zeit folgen.