Foto: © Screenshot Sky Sport Austria

Sturm Graz vs Rapid Wien: Ein gerechtes Unentschieden? [Spiel-Analyse]

Nach einem intensiven Spiel mit wenig erspielten Torchancen, vielen Umschaltsituationen im Mittelfeld und kurzen Ballbesitzphasen von beiden Mannschaften endete Sturm Graz gegen Rapid Wien mit einem 2:2 - zurecht?

+ + 90minuten.at Exklusiv - Eine Spielanalyse von Simon Goigitzer + +

 

In der 20. Runde der Admiral Bundesliga empfing der SK Sturm Graz den SK Rapid Wien. Vor dem Duell war bereits klar, die Wiener noch punkten müssten, um überhaupt in die Top6 zu kommen. Aus der Formtabelle konnte man jedoch keinen richtigen Favoriten herauslesen. Sturm hatte bis dahin nur ein Pflichtspiel in diesem Jahr und dabei reichte es nur für ein Unentschieden gegen die WSG Tirol. Bei den Gästen war das Programm ein wenig anders, da bereits drei Pflichtspiele absolviert wurden. Die Gün-Weißen verloren gegen den TSV Hartberg im Cup und gegen den FC Red Bull Salzburg in der Liga, obwohl sie eine gute defensive Leistung zeigten. In der Conference League konnte Rapid gegen Vitesse Arnheim 2:1 gewinnen.

Bevor jedoch genaue auf die Matchpläne und die taktische Ausrichtungen beider Mannschaften geblickt wird, werden zuvor die Statistiken zum Spiel genauer betrachtet. Laut der Datenanalyse: Diese Teams kommen in die Top6 wurde auch ein Unentschieden vorausgesagt. Vergleicht man beispielsweise die xG-Werte in diesem Spiel, so hatte Sturm die deutlich größeren Chancen und waren auch über das Spiel gesehen immer wieder näher an einem Tor als Rapid Wien. Sturm hatte eine xG-Wert von 1,65 und die Gäste 0,81. (Statistik Wyscout-Plattform)

Hier dazu auch eine Grafik:

 

Dabei muss jedoch beachtet werden, dass die Grafik mit anderen Werten beziehungsweise mit einer anderen Berechnung gearbeitet hat, da sich die xG-Werte deutlich unterscheiden. Das ist jedoch normal, da verschiedene Anbieter auch verschiedene Berechnungen haben und auch unterschiedliche Faktoren in Chancen und Torabschlüsse miteinkalkulieren.

Die Ballbesitzstatistik war hingegen sehr ausgeglichen. Nur zwischen Minute 15 und 30 hatte Rapid einen Ballbesitzanteil von 70 Prozent, das war auch im Spiel deutlich zu sehen, da die Gäste aus Wien viel länger den Ball in der ersten Aufbaulinie halten konnten und einen kontrollierteren Spielaufbau gestalten wollten. Neben dem hohen Ballbesitzanteil war es auch eindeutig, dass das Pressing der Grazer von der Intensität zurückgeschraubt wurde. In dieser Phase ließen sie sich stark in die eigene Hälfte zurückfallen und hatten auch nur noch 0,20 Balleroberungen pro Minute. Das war der niedrigste Wert im gesamten Spiel. Zu Beginn war er viel höher und auch in der zweiten Hälfte stieg er wieder an.

Das gesamte Spiel und besonders gegen Ende war geprägt von vielen Umschaltsituationen, wenigen kontrollierten Ballbesitzphasen und mehrere Ballverluste im Mittelfeld. Dies zeigte auch die durchschnittlichen Pässe pro Ballbesitzphase, die bei Rapid einen Wert von 3,08 hatten und bei Sturm sogar nur 2,06. Das bedeutet, dass bei den Gästen pro Ballbesitzphase im Durchschnitt nur 3 Pässe gespielt worden sind und bei den Gastgebern sogar nur 2. Viel Hektik für den Zuschauer, was auch der PPDA-Wert, also der Wert der „Pro Abwehraktion ermöglichte Pässe“ darstellt, aussagt. Bei beiden Mannschaften war der sehr niedrig. Das bedeutet, dass beide Teams ein hohes und intensives Pressing ausübten und dem Gegner dadurch wenig Zeit am Ball ließen. Im Durchschnitt und auch in vorherigen Spielen war dieser Wert um einiges höher.

 

Sturm Graz in gewohnter Manier

Wie gewohnt spielten die Gastgeber in einer 4-4-2-Formation mit einer Raute im Mittelfeld. Im Vergleich zum Spiel gegen die WSG gab es auch keine Änderungen in der Startelf. Die Grazer übten die meiste Zeit über ein hohes Pressing aus und versuchten auch hohe Balleroberungen zu provozieren. Beim Spielaufbau von Rapid wurden die Innenverteidiger bereits angelaufen, um auch den Ball auf den Außenverteidiger zu leiten. Der ballnahe Achter der Grazer schob daraufhin per Sprint aus der Mitte heraus und attackierte den Außenverteidiger. Dabei wurde der ballnahe zentrale Mittelfeldspieler der Gegner in den Deckungsschatten genommen. Dieser Pressingablauf funktionierte einige Male sehr gut, vor allem als die Position Filip Stojkovic sehr breit war und dadurch die Passoptionen nach vorne alle zugestellt wurden. Dabei blieb oft nur der Ball die Outlinie entlang, den die Grazer meistens abfangen konnten.

Allerdings gab es, wie schon statistisch erwähnt, eine kurze Phase in der ersten Halbzeit, in der die Grazer das Pressing umstellten. Angelaufen wurde Rapid dann hauptsächlich in der Hälfte der Gastgeber. Dies ermöglichte Rapid nicht nur mehr Kontrolle in der eigenen Hälfte und in der ersten Aufbaulinie, sondern ergab auch mehr Ballbesitzanteile im vorderen Drittel. Zwar resultierte der 1:1 Ausgleich von Emanuel Aiwu nicht aus dem Spiel, jedoch können Zusammenhänge mit dem Abwehrpressing der Grazer, mit der einhergehenden Kontrolle sowie der erhöhten Chancenmöglichkeit der Rapidler und dem Ausgleich schließen.

So wie im Pressing gab es auch im Ballbesitz die gewohnten Abläufe von Sturm Graz. Aus der ersten Aufbaulinie wurden eher hohe Bälle in die letzte Linie gespielt oder auch flache vertikale Pässe zu den Mittelfeldspielern waren hilfreich. Bei den hohen Bällen auf den Stürmer war jedoch vor allem der „Zweite Ball“ sehr wichtig. Dieser hatte bei den Grazern einen hohen Stellenwert, sodass die Mittelfeldspieler sich auch immer so positionierten, dass sie den zweiten Ball auch gleich ergattern konnten. Zweiter Ball bedeutet, dass nach einem hohen Zuspiel der Ball entweder abgelenkt oder von den Spielern im Luftduell nicht kontrolliert gespielt werden kann. Dieser abgelenkte oder unkontrollierte Ball ist der „zweite Ball“. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, diesen Ball nach dem Luftduell zu erobern, wurden immer wieder Spieler um die Zielperson positioniert. Ein Beispiel aus der zweiten Hälfte. (Abbildung 1)

Abbildung 1: Positionierungen für den zweiten Ball

Auf Rasmus Højlund wurde ein hoher Ball gespielt. Manprit Sarkaria und Alexander Prass positionierten sich gleich so, dass sie einen möglichen Abpraller für sich gewinnen könnten.

Allerdings war der hohe Ball nicht immer eine Option. Im Spielaufbau wurde einige Male auch der Außenverteidiger angespielt. Besonders über die rechte Seite, also über Jusuf Gazibegovic, wurde einige Male der Spielaufbau gestaltet. Gazibegovic bekam den Ball vom Innenverteidiger und konnte sich nach vorne orientieren. Dabei war das Ziel den Stürmer mit einem flachen diagonalen Ball anzuspielen. Beispielsweise in Abbildung 2 zu sehen.

Abbildung 2: Diagonaler Pass vom Außenverteidiger im Aufbau

Gazibegovic hatte am Flügel viel Platz und konnte sogar einige Meter nach vorne dribbeln. Daraufhin kam der diagonale Pass auf den ballnahen Stürmer. Konnte der diagonale Pass auf den Stürmer nicht gespielt werden, so versuchten die Außenverteidiger dennoch mit einem diagonalen Dribbling in die Mitte zu kommen. Das bedeutet, dass für den Außenspieler die Aufgabe gegeben hat immer wieder den Ball diagonal in die Spitze zu bekommen. Dabei war es nicht wichtig, ob es mit einem Pass oder einem Dribbling und einem darauffolgenden Pass war.

Rapids Lösungen gegen die Raute der Grazer

Im Pressing spiegelten die Wiener das Aufbauspiel der Gastgeber. Das bedeutet, dass auch die Grün-Weißen, wie schon häufiger in letzter Zeit, mit einer Raute im Mittelfeld und zwei Stürmern den Gegner anpressten. Dabei versuchten sie immer wieder die Grazer hoch anzupressen. Das zeigte auch die Statistik, da der PPDA-Wert sehr niedrig war und auch in einzelnen Phasen des Spieles sehr hoch war. Auch wie bei den Grazern und dem Ausgleich war hier zu sehen, dass in der Phase, in der der Gegentreffer fiel, die Pressingintensität zurückfiel. Aber auch die Angriffe und Balleroberungen pro Minute war in der 61. bis 75. Minute viel niedriger. In der 70. fiel der Treffer zum 2:1 durch Jakob Jantscher.

Im Spielaufbau der Wiener gab es einige interessante Dinge zu beobachten. Besonders, wie sie einige Male versuchten, das Pressing in der Raute der Grazer zu überspielen. Vor allem bei Einwürfen war der Plan klar erkennbar. Der ballferne Raum sollte bespielt werden. Dies konnte direkt über die zentralen Mittelfeldspieler passieren oder auch kontrollierte über die erste Aufbaulinie und dem Tormann. So wie zum Beispiel in der 12. Minute. (Abbildung 3)

Abbildung 3: Auflösen der gegnerischen Pressingsituation über Innenverteidiger und Tormann

Weit in der eigenen Hälfte hatte Rapid den Ball und wurde von den Grazern stark unter Druck gesetzt. Doch über Aiwu und Niklas Hedl konnte die Pressingsituation aufgelöst werden. Der Schlussmann der Wiener konnte auf der ballfernen Seite Jonas Auer anspielen, der durch freien Raum einige Meter andribbeln konnte. Sturm verschob sehr stark auf die ballnahe Seite, wodurch sich klarerweise mehr Platz auf der ballfernen Seite ergab.

Abbildung 4: Diagonaler flacher Ball auf den Stürmer nach Seitenverlagerung.

Auer wurde daraufhin auch unter Druck gesetzt, hatte jedoch nach vorne hin einige Anspielstationen. Marco Grüll, bot sich auf der Linie an und ein diagonaler Pass auf Ferdy Druijf war möglich. Dieser diagonale Pass auf den Stürmer wurde auch gespielt. Der Neuzugang ließ dann auf Grüll prallen, der in seine gewünschte 1-gegen-1-Situation am Flügel kam. Durch den Lauf Auer diagonal in die Mitte zog er auch Stefan Hierländer mit und verschaffte Grüll am Flügel mehr Zeit/Platz.

Allerdings funktionierte das Ausspielen am ballfernen Flügel nicht immer so sauber. Vor allem als Einwürfe in der Nähe der Mittellinie waren, verschoben die Wiener viel zu ballnah und ermöglichten Auer keine weiteren Anspielstationen nach vorne. Beispielsweise in der 9. Minute.

Abbildung 5: Nach einem Einwurf konnte der ballferne Raum bespielt werden

Abbildung 6: In der Anschlussaktion fehlte die Anspielstation nach vorne

Nach einem Einwurf im Mittelfeld konnte Rapid auch hier den ballfernen Raum bespielen, jedoch gab es diesmal für Auer keine Anspielstation nach vorne. Dadurch musste er sich einmal eindrehen und konnte erst danach auf Robert Ljubicic spielen, der jedoch auch zurückspielen musste. Dass Auer in diesen Situationen keine Anspielstationen nach vorne hatte, nahm sich Rapid oft die Möglichkeit den freien Raum wirklich auszunutzen und die Unordnung bei den Grazer auszunutzen.

In den ersten 45 Minuten gab es jedoch, wie schon erwähnt, eine kurze Phase, in der Rapid sehr viel den Ball hatte. Dadurch änderten sich auch die Positionierungen im Spielaufbau, sodass die Gäste eher mit einer Dreierkette den Aufbau gestalteten. Stojkovic blieb in der ersten Aufbaulinie und Kelvin Arase gab auf der rechten Seite die Breite.

Abbildung 7: Dreierkette im Spielaufbau der Wiener.

Jedoch war die Phase, in der Rapid Wien, mehr Kontrolle hatte nur kurz und die restlichen Minuten des Spieles gab es eher viele hohe Bälle im Aufbau beider Teams, was die Partie zum folgenden Abschluss brachte.

 

Fazit

Beide Teams übten ein hohes Pressing in einer Raute aus, welches den jeweiligen Gegner nur selten ermöglichte einen flachen Spielaufbau zu gestalten. Dadurch ergaben sich immer wieder hohe Bälle auf die Stürmer, bei denen vor allem der zweite Ball eine wichtige Rolle spielte. Zudem gab es immer wieder viele Umschaltsituationen im Mittelfeld, die jedoch nur selten in das letzte Drittel führten.

Beide Mannschaften hatten nur wenige Torchancen, wodurch auch die xG-Werte gering ausfallen. Aufgrund des Spielverlaufes, der erzielten Tore und der statistischen Ergebnisse könnte das Unentschieden, wie in der Datenanalyse prognostiziert, als gerecht eingeschätzt werden.

90minuten.at-exklusiv