Individuelle Durchschlagskraft bringt den Russen den Sieg

In einem wenig spannenden Spiel, das so klar wie selten nur ein Spiel von der Diskrepanz in der individuellen Qualität dominiert wurde, siegten die Russen recht komfortabel mit 5:0 gegen Saudi-Arabien. Die Russen konnten sich dabei auf ihre individuelle Stärke berufen, nicht jedoch auf ihr taktisches Gerüst.

Eine Spielanalyse von David Goigitzer

 

Saudi-Arabien bemüht mit Limitationen

Vorab: Die Gäste aus Saudi-Arabien waren individuell offensichtlich klar unterlegen. Nur wenige Spieler hatten das technische, dafür aber nicht das physische Niveau, um mit den Russen mitzuhalten. Da dies allen klar sein sollte, wird dies auch nur selten in dieser Analyse einen Aspekt darstellen.

Die Araber, trainiert von Ex-Chile Trainer Juan Antonio Pizzi, formierten sich im Ballbesitz im 4-3-3. Generell war zu sehen, dass sich bei der Spieleröffnung die Saudis recht konsequent daran hielten, die fünf bekannten Spuren (Flügeln, Halbräume, Zentrum) zu besetzen und einander nicht in die Quere zu kommen. Dies war zu diesem Zeitpunkt jetzt schon besser, als viele Mannschaften mit deutlich besseren Spielern auf den Platz bringen. Mit breiten und nach vorne schiebenden Außenverteidigern wurden Räume für die Mittelfeldspieler geöffnet, die sich immer wieder nahe an den Innenverteidigern anboten und sich die Bälle abholten.

Da die beiden Innenverteidiger der in grün gekleideten Mannschaft spielerisch sehr schwach waren, mussten diese zentralen Mittelfeldspieler sehr nahekommen, um einfach zu spielende Pässe zu empfangen. Dies verkleinerte natürlich die Präsenz im Zwischenlinienraum und die Zirkulation der Araber wurde ein Stück harmloser und vor allem flügelfokussierter. Die Außenverteidiger wurden früh eingebunden und sollten durch die Achter und die Flügelstürmer unterstützt werden. Hierbei sah man einige Male, vor allem in Halbzeit eins, immer wieder sehr gute, schnelle Direktkombinationen. Pizzis Mannschaft wusste sich in kleinräumigen Situationen sehr klug nach Pässen zu bewegen und so gab es einige ansehnliche Spielzüge im Angriffsspiel der Mannschaft von Juan Antonio Pizzi. Vor allem Al-Shehri, Al-Berik und Otayf, sowie Al-Jassim zeigten sich hier sehr präsent.

Bild 1: Die Saudis mit einer netten Staffelung und recht stabilen Verbindungen.

Die Struktur bei den Asiaten passte also meist recht gut, immer wieder wurde vom Flügel auch wieder in den Halbraum gespielt. Öfters wurde auch die Seite gewechselt, wenngleich man hier durchaus dieses taktische Mittel hätte öfter nutzen können. Die schwache Körperpositionierung der Araber verhinderte jedoch meist schnelle, mit zwei Kontakten gespielte Wechsel.

Die Russen waren meist eng genug dran um Drehungen der Mittelfeldspieler zu verhindern. Das größte taktische Problem war für die Saudis jedoch, dass ihnen Durchschlagskraft fehlte. Es fehlten Spielertypen, die die Tiefe attackierten. Entweder mit Läufen in Räume hinter die Abwehr, so wie es Kylian Mbappé in Weltklasse-Manier beherrscht, oder auch mit Dribblings wie zum Beispiel der beste Spieler der Welt Lionel Messi. Ohne die Möglichkeit die Räume hinter der russischen Abwehr zu attackieren, hatten diese ein einfaches Spiel kompakt im Block zu agieren. Mit wohl ein, zwei simplen Tiefenläufern hätte Saudi-Arabien den Russen wohl deutlich mehr Probleme bringen können. So kamen die Saudis zu kaum einer Torchance im ganzen Spiel.

 

Im Pressing ambitioniert, gegen Ende jedoch ohne Kräfte

Im 4-1-4-1 zeigten sich die Araber horizontal wie vertikal kompakt und verschlossen das Zentrum gut, sodass die Russen kein einfaches Spiel hatten in den gegnerischen Block zu kommen und immer wieder aus der Formation herauskippen mussten, um den Ball nach vorne zu bringen.

In diesem 4-1-4-1 Mittelfeldpressing stachen die Achter immer wieder aus den Halbräumen heraus und kreierten ein situatives 4-4-2. Die Aufbauspieler der Russen wurden zwar nicht konstant, aber punktuell immer wieder intensiv unter Druck gesetzt und mussten den Ball nach vorne schlagen. Im Kampf um den zweiten Ball war man dann gegen die Osteuropäer unterlegen.

Vor allem physisch zeigte sich diese Unterlegenheit. Aber immer wieder auch in der generellen Struktur, der es an Kompaktheit und Intensität bei diesen zweiten Bällen fehlte. Die Saudis hatten große Probleme im defensiven Umschaltverhalten. Dies war auch einer der Gründe, weswegen die Russen so viele Konter fahren konnten. Man war schlichtweg gedanklich und in den Füßen zu langsam, um passend auf Ballverluste reagieren zu können. Zudem kamen immer wieder horrende Ballverluste, die vor allem der fehlenden individuellen Qualität in Sachen Technik wie auch Körperposition geschuldet war. Taktisch war in der Endverteidigung zudem bemerkbar, dass auch hier die Körperpositionen oft nicht passten, wie zum Beispiel beim 1:0. Al-Jassim bemerkte aufgrund geschlossener und alleinig zum Ball gerichteter Körperstellung seine zwei Gegner zu spät. Er musste rückwärtslaufen, stolperte dabei und konnte den Kopfball von Gazinskiy nicht einmal ein wenig stören. Mit offener Stellung hätte er seinen Gegner gesehen und wäre nie so weit weg von ihm gegangen.

Individuelle Durchschlagskraft bringt den Sieg

Die Russen siegten zwar klar, zeigten aber deutliche Schwachstellen in Offensive wie auch Defensive. Durch die extreme Dysbalance in der individuellen Qualität beider Mannschaften waren jene Probleme nicht einfach zu beobachten. Die Gastgeber dieser WM konnten jedoch einzig über Konter wirklich Gefahr ausstrahlen. Diesen Kontern kamen meist horrende technische Fehler der Saudis zuvor. Jene wurden dann mehr oder weniger konsequent von den sehr durchschlagskräftigen Offensivspielern der Russen ausgenutzt.

Vor allem Smolov kann individuell extreme Durchschlagskraft erzeugen. Durch überlegene Schnelligkeit und bessere spielerische Qualität lief man den saudi-arabischen Verteidigern dann auch immer wieder davon oder konnte zumindest Fouls ziehen. Im geordneten Ballbesitz kamen die Russen jedoch kaum nach vorne und wurden immer wieder nach hinten gedrängt, von wo sie mit hohen Bällen dann in den Kampf um den zweiten Ball gingen und den meist gewonnen. Die Saudis zeigten sich in diesen Situationen dann mit großen offenen Räumen.

Gegen das organisierte Pressing der Gäste taten sich die Russen jedoch aufgrund langsamer Passentscheidungen der aufbauschwachen Verteidiger, sowie schlechten Positionierungen und schwachem Freilaufverhalten. Selten wurden dem Ballführenden gute Anspielstationen gegeben. Gegen die Saudis reichte dies, gegen leicht bessere Gegner wird dies wohl zu einem großen Problem werden. IM 4-2-3-1 stellte man nur sehr schwache Strukturen her, man hatte das Gefühl die Russen hätten noch nie etwas von Verbindungen gehört. Man darf gespannt sein, wie sie gegen intensiveres Pressing auftreten.

Bild 2: Keiner der Russen macht auch nur Anstalten sich freizulaufen. Dabei wird man nur von einem Saudi unter Druck gesetzt. Alles rennt nach vorne und der Ball wird hochgeschlagen.

Passivität und einfach zu haltende Kompaktheit im Pressing

Die Russen legten ihr 4-4-2 Mittelfeldpressing sehr tief an, man konnte es fast als Abwehrpressing bezeichnen. Die Passivität der Gastgeber äußerte sich darin, dass man primär nur versuchte Anspielstationen mit Mannorientierungen zuzustellen und es den Saudis nicht allzu einfach zu machen, den Ball nach vorne tragen zu können. Generell richtete man sich jedoch sehr tief aus und ließ die Araber schalten und walten. Die Mannschaft vom Ex-Österreich Legionär Stanislav Chercheshov wollte auf Fehler von Pizzis Team warten und diese dann mit Kontern nutzen, was sie auch taten. Das russische Pressing sah sich kaum gefordert, da niemand bei den Saudis die Tiefe attackierte. So konnte man stets vertikal kompakt agieren, obwohl sogar dies nicht immer zu sehen war. Schlussendlich wurde man kaum getestet und konnte so recht einfach ohne Gegentor bleiben.

 

Fazit

Die Saudis zeigten ambitionierten Fußball, was man hervorheben sollte. Man hätte sich genauso hinten verbarrikadieren können und nur 1:0 verlieren. So zeigten die Mannen von Juan Antonio Pizzi eine mutige Leistung. Es bleibt zu hoffen, dass sich andere, auch stärkere Teams, davon inspirieren lassen. Die Russen werden wohl im Laufe des Turniers Probleme bekommen, wenn sie nicht dauernd den Kampf um den zweiten Ball gewinnen und jemand sie noch etwas intensiver unter Druck setzen wird.

90minuten.at-TV: Violetter Rasen für die Generali Arena

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