Gegen Russland fehlte Spanien Lopetegui
Topfavorit Spanien schied im Elfmeterschießen gegen Gastgeber Russland aus. Die Spanier dominierten die Ballbesitzzahlen, schafften es jedoch nicht in die entscheidenden Räume zu kommen.
Eine Spielanalyse von David Goigitzer
Fernando Hierro adaptierte die Formation, die im ersten Spiel noch gegen Portugal 4-3-3 hieß, auf ein 4-2-3-1. Busquets und Koke teilten sich die Rolle des Sechsers und sollten wohl für die berühmte „defensive Stabilität“ sorgen. Die deutlichste Wirkung hatte diese Doppelsechs jedoch darin, dass sie die Präsenz im Zwischenlinienraum verringerte. Beziehungsweise NOCH mehr verringerte, da die Spanier ja bereits das gesamte Turnier eine sehr risikoarme Art des Ballbesitzfußballs spielen. Immer wieder kippen Spieler aus der Formation heraus, um Kurzpassoptionen zu geben und den Gegner zu locken, damit man auf die andere Seite spielen kann. Dies funktioniert deswegen, weil die Spanier individuell vor allem in diesem Aspekt des Fußballspiels hervorragend geschult sind. So geschah dies auch gegen die Russen. Silva unterstützte oft weit am Flügel, Koke kippte heraus um für seine Innenverteidiger eine Anspielstation nach vorne, beziehungsweise für die Flügelspieler eine sichere Anspielstation nach hinten zu sein. Diese Bewegungen machten das Spiel flügellastig und ohne viel Zug nach vorne. Diego Costa ist noch dazu kein Stürmer, der ständig die Anbindung zu seinen Mitspielern sucht. Dies muss nicht immer ein Nachteil im spanischen System sein, dieses Spiel jedoch stach es besonders heraus und war ein Folgeproblem primärer anderer Herausforderungen, die die Spanier sich selbst stellten. Die Selección konnte also meist nur um den russischen Block zirkulieren und fand selten Wege in diesen hinein.
Die Aufstellung von Marco Asensio machte durchaus Sinn, dem spanischen Spiel hatte es in den vorherigen Partien an Tiefgang gefehlt. Diesen konnte er jedoch gegen die Russen nicht einbringen, da die Ballzirkulation der Spanier zu weit weg vom russischen Tor stattfand. Zudem gab es auch kaum Raum hinter der Kette der Gastgeber, da diese sich so tief positioniert hatten. So litt Asensios Spiel an der suboptimalen Struktur der ehemaligen Welt- und Europameister. Mit Andrés Iniesta statt Isco hätte man mehr Präsenz im Zwischenlinienraum gehabt. Zudem hätte Busquets im Aufbau alleine auf der Sechs gereicht und Koke hätte eine für ihn etwas natürlichere Rolle als Achter einnehmen können. Dieses 4-3-3 ist noch die konservativste Variante, ein 3-1-2-1-3 wäre durchaus interessant und womöglich sehr wirksam gegen das russische 5-4-1 gewesen. Die Dreierkette und der Sechser davor sind genug Absicherung in der Restverteidigung, zudem können die Halbverteidiger im Aufbau immer in den Halbraum andribbeln. Die Präsenz im russischen Zwischenlinienraum ist durch die Raute sehr groß, die breiten Stürmer binden die Fünferkette gemeinsam mit dem Mittelstürmer. Der Zehner kann sich aufgrund der Gebundenheit der Fünferkette sehr flexibel bewegen und kann oft freigespielt werden. Durch die gute Struktur hat man gute Möglichkeiten fürs Gegenpressing, zudem lässt sich diese Formation leicht in ein 5-4-1 oder 3-1-4-2 Pressing verwandeln.
Das Pressing der Spanier gestaltete sich sehr intensiv, dies lag vor allem an der langen Zeit im Ballbesitz, in der man wenige intensive Läufe machen muss. So konnten die von Fernando Hierro trainierten Iberer immer wieder schnell und intensiv ins Gegenpressing gehen und konnten auch die geordneten Abwehraktionen mit hoher Intensität ausführen. Da die Russen jedoch selten geordnet und länger im Ballbesitz waren, erübrigt sich eine längere Passage über das spanische Pressing, da es schlicht und einfach selten stattfand.
Tiefes, passives, russisches 5-4-1
Die Russen hielten in ihrem 5-2-2-1 Pressing im Mittelfeld, beziehungsweise ihrem 5-4-1 Abwehrpressing eine von Natur aus sehr dichte und kompakte Formation und wollten den Spaniern so den Weg zum Tor versperren. Durch die Fünferkette konnten sie immer wieder mit Mannorientierungen arbeiten, ohne dabei unbalanciert und nicht abgesichert zu sein. Der Zugriff auf die ballstarken Spanier wurde somit stark erleichtert. Die sehr tiefe Ausrichtung verknappte jeglichen Raum rund um das russische Tor, die letzte Reihe musste kaum Acht geben mit hohen Bällen überspielt zu werden. Costa und Asensio konnten keine Läufe starten, die Sinn gemacht hätten. So konnten die Russen immer wieder entscheidende Schritte nach vorne machen, um den leichten Druck stets aufrechtzuerhalten.
Nach Ballgewinn versuchten die Gastgeber so schnell wie möglich umzuschalten. Problematisch war natürlich hier, dass man vorne wenig Präsenz und mit Dzyuba nur einen Stürmer hatte, wobei Golovin und Samedov ebenfalls gerne in die Tiefe arbeiten. Aber da die Russen meist sehr tief den Ball gewannen, war eine Anspielstation vorne, die den Ball gut halten kann, von hoher Wichtigkeit. Dzyuba konnte diese nur zum Teil geben, da er ja in massiver Unterzahl war und so immer Schwierigkeiten hatte, die auch nicht immer sauber gespielten Klärungen zu verarbeiten. Wenn man die ersten ein, zwei Pässe sauber spielen konnte zeigten sich die Russen durchaus dynamisch und kombinativ. Das intensive Gegenpressing der Spanier verhinderte jedoch meist Konstruktives im Angriff der Russen.
Kaum taktische Veränderungen
Die Spanier gingen in Führung, ohne die russische Abwehr wirklich geknackt zu haben oder das Tor selber zu erzielen. Ignashevich erzielte nach einer Freistoßflanke der Iberer ein Eigentor per Kopf. Danach veränderten die Gastgeber ihre Strategie jedoch nicht und blieben weiter verankert vor dem eigenen Sechzehner, in der Hoffnung Bälle zu gewinnen und die Räume hinter den hoch aufgerückten Spaniern im Konter bespielen zu können. Diese Situationen gab es jedoch vor allem im ersten Durchgang nur selten, da den Russen schlicht und einfach die Präsenz vorne fehlte, um Bälle zu halten. Ein Diego Costa hätte in diesem Fall definitiv nicht geschadet. Die Spanier hielten geduldig den Ball und waren darauf aus, die Führung auf diese Weise zu verteidigen. Im Bestfall für die Iberer würde man die Russen rauslockern und selbst mit einem Konter die Führung erhöhen. Die Gastgeber waren jedoch die, die das nächste Tor erzielten. Einen Handelfmeter brachte Dzyuba kurz vor der Halbzeit im spanischen Gehäuse unter.
Weder die zweite Halbzeit, noch die Verlängerung zeigten großartige taktische Veränderung auf. Die Spanier hatten weiterhin das große Problem eine unpassende Struktur zu haben. Der Gegner ließ sich mit dem 4-2-3-1 mit wenig Verbindungen ins Zentrum nicht knacken. Die Russen schienen mit dem 1:1 zufrieden, und bevorzugten wohl das Elfmeterschießen als einen offenen Schlagabtausch. So brachte auch die Verlängerung nichts ein, und die Russen gewannen im Elfmeterschießen.
Lopetegui fehlte an diesem Abend. Der kurz vor der WM entlassene Trainer der Spanien hatte ordentliche Strukturen in die Mannschaft gebracht und mehrere Monate daran gearbeitet. Hierro zerstörte mit seiner Sicherheitsvariante diese Bemühungen und die Spanier schieden wohl zumindest teilweise zurecht aus.