ballesterer #104: Paten des Fußballs

Volkswagen sieht sich als Partner des Fußballs – der Konzern führt einen Werksverein, besitzt Anteile an zwei weiteren Erstligisten, sponsert die halbe Liga, den Pokal und viele Medien. An VW kommt in Deutschland keiner vorbei. (Text: Nicole Selmer)


Das Auto, das Geld und der Fußball sind in Deutschland eng verflochten. Die Automobilindustrie ist die umsatzstärkste Branche des Landes, VW das größte Unternehmen. Volkswagen, VW-Tochter Audi und Nationalteampartner Mercedes gehören zu den fünf wichtigsten Fußballsponsoren. Nirgends ist die Verbindung so eng wie in der Stadt, die 1938 unter dem Namen „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ als Sitz des Volkswagen-Werks entstand. Der „Kraft durch Freude“-Wagen wurde später zum Käfer, die niedersächsische Stadt zu Wolfsburg. Und Volkswagen ist in Wolfsburg immer in Sichtweite. Die vier großen Schornsteine des denkmalgeschützten Fabriksgebäudes im roten Backstein der 1930er Jahre dominieren das Stadtbild.


Neben dem Werk liegt die vor 15 Jahren gebaute „Autostadt“, sie ist so etwas wie der Volkswagen-Erlebnispark. In den Markenpavillons auf dem Gelände präsentieren sich die Modelle aus dem Konzernportfolio vom VW-Polo bis zum Porsche 911. Die Anlage mit ihrer modernen Architektur, viel Grün und viel Wasser ist eine Touristenattraktion, sie wirkt futuristisch und idyllisch zugleich. Mittendrin, ebenfalls umgeben von Wasser und Bäumen, erheben sich zwei Türme voller Autos – Neuwagen, die an diesem Tag abgeholt werden. Der Wagen bekommt sein Nummernschild, das Finish und wird dann aus dem Turm hinausgefahren und dem neuen Besitzer übergeben – es ist ein kleiner Geburtsvorgang und Teil der Markeninszenierung von Volkswagen. Zu dieser Inszenierung gehört längst auch der Fußball.


Angst vor dem Kartell
Als der VfL Wolfsburg Ende Mai den DFB-Pokal gewann, feierte der Verein standesgemäß: mit einem Autokorso durch die Wolfsburger Innenstadt. Die perfekte Gelegenheit für Klubeigentümer VW, neben der Trophäe auch gleich die Markenpalette zu präsentieren. Mannschaftskapitän Diego Benaglio saß mit dem Pokal im Arm zwischen Sportdirektor Klaus Allofs und VW-Vorstandsmitglied Francisco Javier Garcia Sanz im weißen Golf Cabrio, während Vieirinha und Daniel Caligiuri vom giftgrünen Lamborghini winkten. „Da wird nichts dem Zufall überlassen“, sagt Marco Klewenhagen, Chefredakteur des Sportbusiness-Magazins SPONSORs, über die Feier. „Volkswagen macht das sehr professionell.“


Neben dem VfL Wolfsburg, der zu 100 Prozent im Konzernbesitz ist, hält VW über seine Tochterfirma Audi auch Anteile an den in der letzten Saison erfolgreichsten Klubs der beiden höchsten Spielklassen: An Meister Bayern besitzt Audi 8,33 Prozent, an Zweitligameister Ingolstadt 19,94 Prozent. Insgesamt ist Volkswagen derzeit direkt oder über eine seiner Tochterfirmen Audi, MAN, Porsche und Seat als Sponsor bei 19 Klubs der ersten und zweiten Bundesliga aktiv – auch bei Branchengrößen wie Borussia Dortmund, Schalke 04 und Werder Bremen. Zusätzlich ist der Autohersteller Namenssponsor des DFB-Pokals, des europäischen Nachwuchsturniers Junior Masters und des hochkarätig besetzten Audi-Cup. Das Unternehmen präsentiert die wöchentliche Sport1-Talksendung „Doppelpass“ und ist als häufiger Inserent in Fußballmagazinen von Kicker bis zu 11Freunde zu finden. An Volkswagen kommt niemand vorbei – das Unternehmen bezeichnet sich selbst als „Partner des Fußballs“.


Doch die innige Beziehung zwischen Konzern und Fußballgeschäft sorgt zunehmend für Beunruhigung. „Die Angst vor dem VW-Kartell“ titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Februar, nachdem der VfL Wolfsburg in der Winterpause die Finanzkraft seines Eigentümers unter Beweis gestellt und Stürmer Andre Schürrle um kolportierte 32 Millionen Euro verpflichtet hatte. Auch andere Medien wie Zeit Online und das WDR-Fernsehmagazin „Sport Inside“ berichteten über die Konzernaktivitäten. Kritik an Klubs wie 1899 Hoffenheim und RB Leipzig, es handle sich um künstlich nach oben gebrachte Vereine ohne Tradition und Mitgliederbasis, greift im Fall von VW jedoch zu kurz. Denn es geht nicht nur um den finanziell gut ausgestatteten Werksverein, sondern um die Fülle an VW-Investitionen. Schließlich verteilt das Unternehmen quer über die deutschen Ligen Geld – mit Vorliebe auch an Traditionsklubs. „Die Marke Volkswagen und der Volkssport Fußball – das passt sehr gut“, sagte Stephan Grühsem, Generalbevollmächtigter der Volkswagen AG und stellvertretender Aufsichtsratschef beim VfL Wolfsburg, im Februar auf einer Sportmesse.


Der Markt und die Marken
Jedes fünfte in Deutschland zugelassene Auto ist heute ein VW. Zählt man neben der bodenständigen Kernmarke auch noch Konzerntöchter wie die erschwinglichen Fabrikate Skoda und Seat und die Luxuskategorien Audi, Porsche und Lamborghini dazu, hat VW einen Marktanteil von knapp 40 Prozent. Die Breite des Fußballengagements entspricht der Breite der Markenpalette. „Fußball ist ein Mittler für Imagepflege und Kommunikation, so erreichen wir Zielgruppen, die wir mit Anzeigen nicht ansprechen könnten“, sagt Gerd Voss von der VW-Sportkommunikation.


Welche Vereine ins Konzernportfolio passen, dafür seien verschiedene Faktoren ausschlaggebend. „Audi ist zum Beispiel schwerpunktmäßig bei weltweiten Premiumvereinen wie Bayern München, FC Barcelona und Real Madrid als Sponsor präsent, ebenso auch in Großstädten wie Berlin und Hamburg.“ Über die Konzernmarken würden Werksstandorte wie Braunschweig und Hannover unterstützt – ebenso wie tieferklassige Vereine in Chemnitz, Zwickau, Kassel, Emden und Osnabrück – oder mit Schalke und Bremen vertrieblich interessante Regionen. Lokale Händler wie die Tiemeyer Gruppe sponsern mit Bochum und Duisburg Klubs vor Ort.


„Vereine, die viele Fans und hohe Sympathiewerte haben“ – so skizziert Voss das Profil eines VW-Partners. Mit 1860 München erhält seit 2013 auch ein Klub Geld aus Wolfsburg, der mit sportlichen Krisen und Streitigkeiten in den Führungsgremien für fast ausschließlich negative Schlagzeilen sorgt und vermutlich eher vom Image des als zuverlässig geltenden Autobauers profitiert als umgekehrt. Ähnliches gilt für den Red-Bull-Klub in Leipzig, wo VW-Tochter Porsche ein Werk betreibt und, so Voss, etwas für den Standort tun wolle. Die Edelmarke allerdings ist eher ein Partner für Tennis, nicht für Fußball. „Dass jeder Spieler plötzlich Porsche fährt, das passt weder zur Automarke noch zum Klub“, sagt Voss. So hat VW als wichtigste Fußballmarke des Konzerns dort im Herbst 2014 die Automobilpartnerschaft übernommen, Porsche unterstützt den Vereinsnachwuchs. Wie mit 1860 München im Süden konnte Volkswagen damit im Osten Deutschlands eine Lücke füllen.


Lesen Sie den gesamten Artikel in der aktuellen Ausgabe des ballesterer (Nr. 104 September 2015). Seit 13. August österreichweit in den Trafiken sowie einige Tage später im deutschen und Schweizer Bahnhofsbuchhandel und digital im Austria-Kiosk der APA! (https://www.kiosk.at/ballesterer)

 


 

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