Ein Tritt zu viel
Unter den vielen Linzer Jugendkulturen Ende der 1980er Jahre waren die Hooligans des SK VÖEST die gewalttätige Avantgarde. Die Polizei war ratlos, und nicht nur den Wienern ging der Arsch auf Grundeis. Eine Reise in eine Zeit, in der im Fußball ein viel r
Linz, Februar 2014: Gut 25 Jahre ist es her, dass die Hooligans des SK VÖEST als eine der schlagkräftigsten Szenen Österreichs galten. Auffällig nicht nur im Umfeld von Fußballspielen, sondern auch in der Altstadt und an anderen Plätzen der oberösterreichischen Landeshauptstadt. Seither ist einiges Wasser die Donau hinuntergeflossen: Den ehemaligen Werksklub, in dessen Umfeld die meisten Hools aktiv waren, gibt es nicht mehr. Von Zeiten mit zwei Klubs in der ersten Liga kann Linz nur noch träumen. Und auch die Stadt selbst, einst geprägt von der Stahl- und Schwerindustrie, hat ihr Gesicht verändert: Statt mit den VÖEST-Werken wird sie nun mit der Ars Electronica assoziiert. Die Erinnerung an die gewalttätigen Provokateure aus den 1980er und 1990er Jahren ist aber nicht verblasst. An den Wirtshaustischen wird immer noch gern erzählt, wie es war, als man den Wienern nicht nur auf dem Rasen Paroli geboten hat. Damals, als Linz im österreichischen Fußball noch etwas galt.
Hinter einem Busch auf der Gugl
Über die Fanszene des FC Blau-Weiß Linz lässt sich Kontakt zu ehemaligen Protagonisten der Linzer Szene herstellen. Doch die Fortschritte sind zäh, Mails und Telefonanrufe versanden. Die Hools geben sich scheu. Viele haben eine bürgerliche Existenz aufgebaut, einige meiden die Öffentlichkeit aus anderen Gründen. Schließlich erklärt sich aber doch einer bereit, die Fragen des ballesterer zu beantworten – allerdings nur anonym.
Max S. (Name von der Redaktion geändert) hat mit Fußballgewalt schon seit Jahren nichts mehr am Hut. Er sei auch kaum mehr bei den Spielen des FC Blau-Weiß Linz, des Nachfolgeklubs des SK VÖEST, anzutreffen, sagt der 40-Jährige. Dennoch schwingt das Hochgefühl vergangener Zeiten mit, wenn er sich an seine Hooligankarriere erinnert. Den Auftakt nahm sie für den damals 16-Jährigen an einem Samstagnachmittag Ende der 1980er vor einem Spiel gegen die Wiener Austria – in einem Gebüsch am Linzer Froschberg, in unmittelbarer Nähe zum Stadion auf der Gugl.
„Wir haben uns in der Altstadt angesoffen, es war schräg und witzig. Ich war relativ neu in der Gruppe, und die Jungs wollten auf dem Weg zum Stadion auf die Wiener drauffahren", erzählt S. „Wir haben uns mit rund 50 Leuten hinter den Büschen versteckt, und einer der Alten hat zu mir gesagt: ‚Such dir einen aus, einen einzigen. Egal, was passiert, der gehört nur dir. Und wenn du dir einen Namen machen willst, hol dir einen, den sich keiner in deinem Alter zutraut.'" Begleitet von der Polizei kam der Wiener Mob grölend und singend immer näher, hinter den Stauden stieg die Aufregung. „Mir ist der Arsch auf Grundeis gegangen, doch um nichts in der Welt wollte ich woanders sein", sagt S. „Dann ist es abgegangen. 50 gegen 200 – und ich mittendrin! Ich hab mir einen Hünen ausgesucht, ihn fixiert und bin voll auf ihn los."
Unter Mods, Skins und Psychobillys
Die erste Schlacht endete ernüchternd für den Linzer Teenager: mit einem Nasenbeinbruch und zahlreichen Blessuren, in Polizeigewahrsam. Doch S. hatte sich erstmals profiliert in einer Gruppe, die immer mehr zur gewaltbereiten Avantgarde der Linzer Jugendszene avancierte. In einer Stadt, in der es von verschiedenen Typen nur so wimmelte: Von Rockern über Mods, Skindheads, Punks, Psychobillys bis hin zu türkischen Jugendbanden war im Linz der 1980er Jahre alles vertreten – und das Stadion war ein beliebter Tummelplatz für einige von ihnen.
Der LASK hatte zwar mehr Zuschauer, doch kamen diese zu einem guten Teil aus dem Mühlviertel und anderen ländlichen Regionen. In der verbleichenden Stahlstadt hatte hingegen der SKV die Oberhand, auch bei den Hools. 70 bis 100 Personen zählte die Hooligan-Partie der Blau-Weißen, während Schwarz-Weiß nur auf 30 bis 40 schlagkräftige Fans zurückgreifen konnte. Ein durchaus beachtlicher Zulauf für ein Phänomen, das wenige Jahre zuvor noch niemand gekannt hatte und das wohl auch im damaligen gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden muss. „Ende der 1980er befanden sich Linz und Oberösterreich in einer Krise. Mit dem Niedergang der verstaatlichten Industrie und ihrer Flaggschiffen VÖEST und Chemie Linz sind viele Arbeitsplätze verlorengegangen. Die Restrukturierung hat mehr als ein Jahrzehnt gedauert", sagt der Linzer Historiker Michael John, der 2009 die Textreihe „Stadt im Glück" herausgegeben hat. In Verbindung mit verstärkter Migration und politischer Scharfmacherei sei ein Gefühl der Unsicherheit entstanden. „All das hat ein gesellschaftliches Klima begünstigt, in dem Jugendliche in Linz vermehrt zur Gewalt gegriffen haben."
Teurer Stil, stählerne Identität
Avantgarde waren die Hools jedoch nicht nur in Bezug auf Gewalt, sondern auch wegen ihrer äußeren Erscheinung. „Sie waren sehr modebewusst, haben großen Wert auf teure Kleidung und Turnschuhe gelegt und hatten deshalb auch einen beachtlichen Zuspruch von Mädchen", sagt Manfred Novak, Rechtswissenschaftler an der Johannes Kepler Universität in Linz. Novak hat 1994 in seinem Buch „Hooligans und Skinheads" die beiden Jugendkulturen gegenübergestellt und dafür zahlreiche Interviews mit Mitgliedern der blau-weißen Hoolszene geführt. S. zählte zwar nicht zu seinen Gesprächs-partnern, bestätigt aber die Beobachtungen des Wissenschaftlers: „Burlington, Best Company, Blue System, Fred Perry – etwas Billigeres konnten wir uns nicht leisten." Am Anfang habe er nicht verstanden, warum man dem Gegner nicht auch im Puma-Jogger aufs Maul hauen könne, so der Ex-Hooligan. „Aber dann habe ich kapiert, dass diese Bewegung von zwei Sachen lebt: ihrem Namen und ihrem Style."
(erhältlich seit 14. März im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk)
Inhalte des ballesterer (www.ballesterer.at) Nr. 90 (April 2014) – seit 14. März im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk ( http://kiosk.at/ballesterer)!
SCHWERPUNKT: HOOLIGANS
EIN TRITT ZU VIEL
Eine Zeitreise zu den Linzer Hooligans vor 25 Jahren
http://ballesterer.at/heft/thema/ein-tritt-zu-viel.html
ERLEBNISSPIELPLATZ STADION
Heino Hassler über Aufstieg und Niedergang der deutschen Hools
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Fanarbeiter Thomas Gander im Interview
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