ballesterer #98: Bruno Pezzey - Der unsichtbare Dritte

In Österreich fällt sein Name meist erst nach denen der beiden Wiener Offensivspieler Hans Krankl und Herbert Prohaska. Dabei war Bruno Pezzey – Libero, Vorstopper, Stratege und mitunter auch Stürmer – einer der größten Fußballer seiner Zeit. (Text: Cleme

Der 31. Dezember ist einer der ruhigeren Tage in den Zeitungsredaktionen. Neujahrsgeschichten werden vorbereitet, zumeist ist das Blatt am frühen Nachmittag fertig. So auch der Kurier am Silvestersamstag 1994. Der frischgebackene Sportchef Jürgen Preusser hat den Kollegen bereits ein frohes neues Jahr gewünscht und sich seinen Mantel zum Verlassen des Büros gerichtet, als das Telefon klingelt. Die Nachricht ist niederschmetternd: Bruno Pezzey, 39 Jahre alt, 84-facher Teamspieler, langjähriger Deutschland-Legionär und amtierender U21-Teamchef, ist tot. „Zuerst haben wir es für einen schlechten Scherz gehalten. Wir haben es zwei-, dreimal gecheckt“, erinnert sich Preusser im Gespräch mit dem ballesterer.


Doch schnell bestätigt sich die Nachricht: Pezzey ist bei einem Eishockeyspiel zusammengebrochen und anschließend verstorben. 20 Jahre zuvor war Pezzeys Stern bei Wacker Innsbruck aufgegangen. Rasch folgten Einberufungen ins Nationalteam. Der Innenverteidiger war 1978 in Cordoba dabei und 1982 in Gijon, neun Jahre in der deutschen Bundesliga tätig und gewann mit Eintracht Frankfurt den UEFA-Cup. Zurück in Österreich feierte er unter Ernst Happel mit dem FC Swarovski Tirol weitere Erfolge. Und dennoch: Während er bei der Frankfurter Eintracht und bei Werder Bremen als legendärer Spieler in Erinnerung geblieben ist, scheint in Österreich bereits viel Gras über Pezzeys Verdienste gewachsen zu sein.


UEFA-Cup-Sieger 1980
„Beim Namen Pezzey denken Eintracht-Fans vor allem an zwei Spiele: das Halbfinale im UEFA Cup gegen Bayern und das DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Stuttgart“, sagt Mattias Thoma, Leiter des Museums von Eintracht Frankfurt. Am 22. April 1980 bestritt die Eintracht das Halbfinalrückspiel im UEFA-Cup gegen den FC Bayern. Das Spiel in München hatte sie verloren, wobei Pezzey ein Abseitstor erzielte und den Elfmeter zum 0:2-Endstand verursachte. In seinem Buch „Der große Triumph“ berichtet Jörg Heinisch, dass Bayern-Trainer Pal Csernai vor dem Rückspiel nicht mit großen Schwierigkeiten rechnete. Schließlich war seine Mannschaft auswärts immer für ein Tor gut, zudem hatte die Eintracht wenige Tage zuvor in der Bundesliga einen 3:1-Vorsprung gegen Kaiserslautern verspielt und noch 3:5 verloren.


50.000 Zuschauer im Waldstadion sollen jedoch einen unvergesslichen UEFA-Cup-Abend erleben. Nach 31 Minuten trifft Pezzey zum ersten Mal. Aus kurzer Distanz verwertet er eine von Bayern-Tormann Walter Junghans kurz abgewehrte Flanke. Es folgt ein Frankfurter Sturmlauf, der nach der gefühlt hundertsten Ecke, wie sich ein Eintracht-Fan im Fanforum erinnert, in der 83. Minute zu Pezzeys zweitem Treffer per Kopf führt. In der Verlängerung gewinnt die Eintracht 5:1. Pezzey ist die auffälligste Figur im Spiel, wie der deutsche TV-Kommentator Eberhard Stanjek sagt. Einen Monat später stemmt der damals 25-Jährige den UEFA-Cup in die Höhe: Dank der Auswärtstorregel reicht gegen Borussia Mönchengladbach nach einem 2:3 im Hinspiel ein 1:0-Sieg im Waldstadion für den Titel.


Keine Gratiswerbung
Bei den Feierlichkeiten machen die Frankfurter mit einer Pezzey-Eigenart Bekanntschaft: seiner Sturheit. „Bei internationalen Spielen war damals noch keine Werbung erlaubt“, sagt Thoma. „Nach dem Match haben sich alle Spieler die Dressen mit dem Sponsorenaufdruck fürs Siegerfoto übergestreift. Pezzey hat gefragt: ‚Was kriege ich denn dafür?‘. Als der Zeugwart gesagt hat ‚Nichts‘, hat er sich umgedreht und ist gegangen. Auf dem Foto haben alle die frischen Minolta-Dressen an, nur Pezzey trägt sein verschwitztes Trikot mit der Nummer fünf.“ Knapp ein Jahr nach seinem größten Erfolg darf Pezzey auch im deutschen Cup jubeln. Mit einem 3:1-Sieg gegen den 1. FC Kaiserslautern holt Eintracht Frankfurt im Mai 1981 zum dritten Mal in der Vereinsgeschichte den DFB-Pokal. Seinen Heldenstatus am Main festigt Pezzey schon im Viertelfinale, als er gegen Stuttgart ab der zweiten Halbzeit im Sturm spielt und in der Nachspielzeit zum 2:1 einköpft.


Höhepunkte, die beinahe nicht stattgefunden hätten. Denn nach der WM 1978 lieferten sich Frankfurt-Manager Udo Klug und die Verantwortlichen von Wacker Innsbruck einen harten Transferpoker. Von der Einigung erfährt Pezzey im Kino. „Plötzlich hat uns Brunos Vater aus dem Saal geholt und nach Hause gebracht. Eintracht Frankfurt war am Telefon“, erzählt die Witwe Silvia Pezzey. Der Transfer des damals 23-Jährigen ist nicht unumstritten. Die Ablöse von 900.000 Deutschen Mark ist für damalige Verhältnisse horrend, das erste Jahr wird für Pezzey schwierig. Die Eintracht qualifiziert sich 1979 erst im letzten Moment mit Platz fünf für den UEFA-Cup.


Angebote aus England und Italien
Im zweiten Jahr in Frankfurt hat Pezzey trotz der internationalen Erfolge zu kämpfen. Eine Verletzung setzt ihn für 13 Runden außer Gefecht, kaum zurück wird er nach einem Faustschlag gegen den Leverkusener Jürgen Gelsdorf nach Videobeweis zunächst für zehn Spiele gesperrt, die Strafe schließlich auf sechs Spiele reduziert. Am Ende landet Pezzey mit der Eintracht nach nur 14 Einsätzen auf Rang neun. 1980/81 geht es mit Platz fünf wieder bergauf, Pezzey wird von den Lesern des Fachmagazins Kicker zum beliebtesten ausländischen Spieler der Liga gewählt. Es folgen Angebote vom AC Torino, aus England und vom FC Bayern, doch Pezzey bleibt vorerst in Frankfurt.


Sein Klub gerät nach den verpassten Europacupteilnahmen 1982 und 1983 allerdings in Schwierigkeiten. „Die Eintracht war finanziell schwer angeschlagen. Es gab die Anweisung, beim Personal zu sparen“, sagt Matthias Thoma. Zu Saisonende wird Pezzey auf den Transfermarkt geworfen. „Viele Fans haben das als schäbig empfunden“, sagt Thoma. Ihre Verehrung für den „Beckenbauer vom Bodensee“, wie Pezzey genannt wurde, ist in Frankfurt noch heute lebendig. Als 2011 die Legenden der Eintracht gewählt werden, gehört Pezzey dazu. Ihm und den anderen Frankfurt-Größen werden Säulen in der U-Bahnstation bei der Oper gewidmet. „Wenn man bedenkt, dass seine Zeit in Frankfurt doch schon einige Spielergenerationen her ist, finde ich das durchaus beachtlich“, sagt Museumsleiter Thoma.


Zweikampf a la Pezzey
Das Geld, das die Eintracht im Sommer 1983 mit dem Verkauf ihres Kapitäns verdient, kommt vom SV Werder Bremen. Um 1,25 Millionen Mark sichert sich der Klub von Trainer Otto Rehhagel Pezzeys Dienste. „Wenn man sich einen Profi basteln müsste, wäre er die Vorlage“, sagt Thomas Wolter, jahrelanger Teamkollege Pezzeys bei Werder. In einer Mannschaft mit erfahrenen Spielern wie Rune Bratseth, Benno Möhlmann und Rudi Völler hat das Wort von Österreichs Teamlibero Gewicht: „Wenn er etwas gesagt hat, hat das gesessen. Auch auf dem Platz war er der Vorreiter“, sagt Mirko Votava, der von 1985 bis 1987 mit Pezzey bei Bremen spielte. Hinzu kommt die Spielweise des wegen seiner Grätschen und Zweikämpfe gefürchteten Österreichers. „Was ist ein gewonnener Zweikampf? Den Ball aus dem Stadion schießen?“, fragt Votava. „Bruno war ein intelligenter Spieler: Er hat Bälle abgelaufen, im Spiel gehalten und den Gegenangriff eingeleitet. Das ist ein gewonnener Zweikampf.“ Und Thomas Wolter ergänzt: „Bruno war kein typischer Libero. Heute würde er im defensiven Mittelfeld als Stratege agieren.“


Strategisch dachte der spätere Trainer schon als Aktiver. Und er hielt seine Gedanken auch vor Otto Rehhagel nicht verborgen, wenn er anderer Ansicht war, wie Votava und Wolter übereinstimmend berichten. Der Erfolg und seine Leistungen geben ihm Recht. Pezzey ist immer für die Mannschaft da, auch als er sich zu Saisonbeginn 1986 einen Innenbandriss zuzieht und fast die gesamte Hinrunde ausfällt. „Präsent musst sein, hingucken wie’s läuft, einen Schmäh musst draufhaben“, erklärte er in einem Spiegel-Artikel vom August 1986, warum er trotz Verletzung jeden Tag in der Werder-Geschäftsstelle auftauchte.


Eine deutsche Meisterschaft sollte Pezzey auch bei Werder Bremen versagt bleiben, zwei fünfte Plätze und zwei Vizemeistertitel stehen am Ende der vier Saisonen zu Buche. Vergessen ist er jedoch auch in Norddeutschland nicht: „Gäbe es eine Bremer Jahrhundert-Elf, dann wäre Pezzey darin vertreten“, sagt Thomas Wolter. Nach neun Jahren, 255 Spielen und 45 Toren in der deutschen Bundesliga zieht es den 32-Jährigen zurück in die Heimat. Über seine Verdienste im Ausland war in Österreich nur unregelmäßig berichtet worden. Große Homestorys wie über Hans Krankl in Barcelona oder Herbert Prohaska in Mailand und Rom sucht man in den Archiven vergeblich.


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SCHWERPUNKT: BRUNO PEZZEY

DER LIBERO
Das zu kurze Leben eines
großen Fußballers

DIE EINTRACHT-LEGENDE
Karl-Heinz Körbel im Interview über die gemeinsame Zeit mit Bruno Pezzey

DER HELD
Peter Hörmanseder erinnert sich

DER TRAINER
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