ballesterer #94: Der letzte Doppelpass unterm Doppeladler
Das Fußballspiel begann sich in Wien gerade erst zu etablieren, als die k.-u.-k.-Monarchie in den Ersten Weltkrieg ging. Die Stars der Frühzeit meldeten sich freiwillig oder wurden mit Zwang eingezogen, sie versuchten die Kriegswirren zu umgehen und starb
Das Fußballspiel begann sich in Wien gerade erst zu etablieren, als die k.-u.-k.-Monarchie in den Ersten Weltkrieg ging. Die Stars der Frühzeit meldeten sich freiwillig oder wurden mit Zwang eingezogen, sie versuchten die Kriegswirren zu umgehen und starben an der Front – und dennoch machte der Fußball im Großen Krieg den großen Sprung nach vorne. Text: Matthias Marschik, Clemens Gröbner & Alexander Juraske
Der 28. Juni 1914 ist ein heißer Sonntag. In Wiens Schanigärten ist kein Platz mehr frei. Ausflugziele wie Karlsbad oder Marienbad in Böhmen haben Hochsaison. Der Dichter Stefan Zweig notierte: „Jener Sommer 1914 wäre auch ohne das Verhängnis, das er über die europäische Erde brachte, ein unvergessener geblieben.“ Kurz vor elf Uhr fallen in Sarajewo die tödlichen Schüsse auf das Thronfolgerpaar Franz Ferdinand und Sophie Chotek. Nahezu zeitgleich kosten in Simmering zwei Schüsse den Sportklub Rapid den sicher geglaubten Meistertitel der Saison 1913/14. Die 1:2-Niederlage gegen Simmering und ein 4:2-Sieg des WAF gegen eine laut Presse schaumgebremste Vienna machen den Hütteldorfer Bezirksrivalen Rapids erstmals zum Fußballmeister.
An eben jenem Sonntag erzielt ein 18-Jähriger beim unterklassigen Penzinger Verein Blue Star wiederum zwei Tore gegen Wacker Wien. Josef Uridil soll kurz darauf wie viele Wiener Fußballer der Kriegsbegeisterung erliegen. In seiner Autobiografie erinnert er sich, wie er am 28. Juli 1914 nach der Kriegserklärung an Serbien und der Verkündigung der allgemeinen Mobilisierung mit vielen anderen vor dem Kriegsministerium das Prinz-Eugen-Lied gesungen habe. Als der Steinmetzgeselle Uridil in die elterliche Wohnung zurückkehrt, erfährt er von seinem Wechsel zu Rapid, weshalb er „vor lauter Freude noch einmal zum Kriegsministerium stürzt und noch vier Stunden lang das Prinz-Eugen-Lied“ singt.
Die Monarchie Österreich-Ungarn stand, auch wenn das im Sommer 1914 nur wenige glauben wollten, vor ihrem Untergang. Der österreichische Fußball hingegen an seinem Beginn – erst seit drei Jahren existierte ein regulärer Meisterschaftsbetrieb zwischen Wiener Vereinen, die ihre Basis vornehmlich im Bürgertum hatten. Während die k.-u.-k.-Armee eine militärische Niederlage nach der anderen einsteckte, errang der Fußball in und durch den Ersten Weltkrieg enorme Popularität.
Sportpause für Kriegseuphorie
Zunächst jedoch musste der Fußball hinter die staatlichen Ziele zurücktreten. Als die Kriegsmobilisierung anlief, wurde der Spielbetrieb eingestellt. Hier erging es dem Fußball wie anderen Freizeitvergnügen, so musste etwa das Burgtheater seine Sommerpause um ein Monat verlängern. Auch der Sport ruhte in den ersten fünf Kriegswochen, die Sportzeitungen stellten ihr Erscheinen vorübergehend ein. Die Auswirkungen der Mobilmachung waren gravierend. Je nach Verein wurden 60 bis 80 Prozent der aktiven Fußballer einberufen. Bei der Vienna und dem Wiener Sport-Club blieb kein Spieler der Kampfmannschaft in Wien. In der Vorkriegszeit waren nur 20 bis 25 Prozent der wehrfähigen Bevölkerung überhaupt in die Armee eingezogen worden.
Wien war in Kriegseuphorie. Künstler und Intellektuelle wie Oskar Kokoschka, Robert Musil, Heimito von Doderer und Hugo von Hofmannsthal meldeten sich umgehend zum Kriegsdienst, und auch unter den einrückenden Fußballern waren viele Freiwillige. Eduard Schönecker, WAF-Funktionär und Bruder von Rapid-Sektionsleiter Dionys, schrieb im Oktober 1914 von der Front: „Trotz allem was ich erlebt habe, kann ich von ganzem Herzen versichern, meinen Entschluss habe ich nie bereut und werde ich nie bereuen. Möge dieser Krieg für uns siegreich enden.“ Von jener vielversprechenden Nationalmannschaft, die im Mai 1912 Ungarn im Prater 2:0 besiegt hatte, rückten sämtliche Spieler ein. Vier von ihnen fielen in den ersten beiden Kriegsjahren, zwei erlagen den Spätfolgen, weitere drei sollten nach Kriegsende nicht mehr spielen. Nur Tormann Heinrich Phlak vom FAC und Rapids Josef Brandstätter blieben auch nach 1918 aktiv.
Die ersten Toten an der Front
Während der Fußball in Wien ruhte, drohte die Offensive der k.-u.-k.-Armee am Balkan und in Galizien früh zu scheitern. Bis zum Winter 1914/15 verlor sie 80 Prozent ihrer Offiziere, insgesamt waren im Winter 1914 knapp 1,2 Millionen Tote, Verwundete und Vermisste zu beklagen, etwa ein Drittel der Streitkräfte bei voller Mobilmachung. „Die Verluste in den ersten Monaten waren exorbitant hoch. Und keiner hat das ernstgenommen“, sagt Christian Ortner, Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums, bei einer Führung mit dem ballesterer durch die neu überarbeitete Dauerausstellung über den Ersten Weltkrieg. „Alle teilnehmenden Mächte drängten auf rasche Entscheidungsschlachten, deswegen bestand zu Kriegsbeginn eine unglaubliche Unempfindlichkeit gegenüber Verlusten.“
Unter den ersten Kriegsopfern war auch ein prominenter Fußballer: Der 22-fache Internationale Robert Merz fiel beim Gefecht von Poturzyn „durch einen Herzschuss und wurde noch am Gefechtsfelde begraben“, wie Sport-Club-Archivar Michael Almasi-Szabo in seinem Buch „Von Dornbach in die ganze Welt“ schreibt. Fast gleichzeitig fiel Ende August 1914 in der Schlacht von Komarow der erste Torschützenkönig der Meisterschaft, Hans Schwarz, der für den WAF und die Vienna aktiv gewesen war. Die Nachricht vom Tod der beiden Stars sorgte in der Sportwelt für Erschütterung. Ihr Nationalteamkollege Felix Tekusch, der 1916 selbst an der Isonzo-Front ums Leben kommen sollte, schrieb an das Illustrierte Sportblatt: „Eine Bitte hätte ich. Schreibt bestimmt, ob das alles wahr ist, dass Schwarz schon gestorben ist. Der arme Kerl. Gott mit ihm.“
Die unerschöpflichen Reserven des Fußballs
Währenddessen kehrte in der Heimat nach den ersten Kriegswochen wieder sportliche Normalität ein. Der Fußball rückte jedoch in den Dienst des Staats: Viktor Silberer, Herausgeber der Allgemeinen Sport-Zeitung, schrieb, der Sport könne wesentliche Arbeit für die Kraft und Rüstigkeit des Volkes leisten. Zum einen fördere er die Gesundheit, zum anderen setze die Aufrechterhaltung des Sports ein politisches Signal nach außen und ein selbstbewusstes Zeichen nach innen. Zudem könnten Länderspiele Geld für gute, also militärische, Zwecke einbringen. Sport und Fußball fanden so als Mittel der „Heimatfront“ politische Anerkennung. Beim Kriegsgegner England wurde Fußball hingegen zunächst weiter unter kommerziellen Vorzeichen gespielt, auch wenn die Profiklubs für die Fortführung der Meisterschaft stark kritisiert wurden. Als in Wien die Meldung aus England eintraf, dass der Sport Fußballer vom Krieg abhalte, höhnte das Illustrierte Sportblatt im Dezember 1914 über den englischen Oberbefehlshaber: „Lord Kitchener wird einmal sagen müssen, dass der europäische Krieg auf den Feldern von Chelsea, Tottenham und Chrystallpalast verloren wurde.“
In Wien trugen die erst- und zweitklassigen Fußballklubs regelmäßig Freundschaftsspiele aus, dazu kamen Ländermatches gegen Ungarn und Städtespiele gegen Berlin, von denen das erste im Oktober 1914 11.000 Zuschauer anlockte. Ausgebaut wurde auch der Spielverkehr mit Prager und Budapester Klubs. Von jedem Spiel gingen zehn Prozent der Einnahmen an den Kriegsfürsorgefonds. Etliche Matches hatten Benefizcharakter, ihr Erlös kam dem Roten Kreuz oder einem Spital zugute. Ab dem Winter 1914/15 herrschte in den beiden obersten Klassen beinahe ein Fußballprogramm wie in Friedenszeiten, und auch der Zuschauerschnitt veränderte sich kaum. Auffällig war nur das auf den Rängen reichlich vertretene Feldgrau der Soldatenuniformen. Auch auf den Sportseiten war das Militär durch Meldungen über eingerückte Spieler oder Grüße von der Front präsent. Berichte über gefallene Sportler wurden aufgrund der demoralisierenden Wirkung bald eingestellt und durch Tapferkeitsauszeichnungen ersetzt, wie ein Vorortbericht des Illustrierten Sportblatts von der galizischen Front im Herbst 1914 zeigt. Der Autor schreibt über die verwundeten Fußballer Josef Brandstätter, Leopold Grundwald, Karl Heinlein und Harald Oppenheim: „Sie beweisen, dass sich unsere Fußballer so gehalten hatten, wie man es von ihnen erwarten durfte: Tapfer und treu!“
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SCHWERPUNKT: ERSTER WELTKRIEG
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Während die k.-u.-k.-Monarchie zerfiel, blühte der Fußball in Wien auf
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