ballesterer #93: Die Bundesliga - Auf der Suche nach dem Sinn
Die Bundesliga ist 40. Doch die Diskussionen um zu viele Dorfklubs und fehlende Rasenheizungen geben ebenso wenig Grund zum Feiern wie der jüngste Wettskandal und der stetige Zuschauerrückgang. Ist die Liga schon im 21. Jahrhundert angekommen? Text: Micha
Ein zweites Grödig wird es nicht mehr geben“, sagte Georg Pangl vor Beginn der abgelaufenen Saison. Der damalige Vorstand der Bundesliga bezog sich auf die zahnlosen Übergangsbestimmungen der Liga in Sachen Infrastruktur. Seinen harten Worten folgte eine historische Saison für die Salzburger: Am 11. Mai 2014 sicherten sich die Grödiger in der letzten Runde mit einem 3:3 in Innsbruck – und der gleichzeitigen 1:2-Heimniederlage der Austria gegen Sturm – den dritten Platz. Ein dritter Platz, der die Teilnahme an einem internationalen Bewerb bedeutete. Für den Innsbrucker Traditionsverein wiederum, der 1975 den ersten Meistertitel der neuen Bundesliga erringen konnte, war es vorerst das letzte Spiel in der höchsten österreichischen Spielklasse.
Der Aufstieg der Grödiger in den vergangenen Jahren ist beachtlich: Noch in der Saison 2005/06 kickten die Salzburger in der 1. Landesliga, drei Jahre zuvor hatten sie den Meistertitel in der 1. Klasse Nord gefeiert. Das Jahr 2002 sollte für den Klub richtungsweisend werden: Ex-Austria-Salzburg-Vizechef Toni Haas, Gründer einer Schrott- und Metallrecycling-Firma, entdeckte den Verein, für den er schon zu seinen Jugendzeiten die Schuhe geschnürt hatte, in der sechsthöchsten Spielklasse wieder für sich. Mittlerweile ist Toni Haas Ehrenpräsident, sein Sohn Christian hat das Ruder fest in der Hand. „Ich habe damals gesagt: Wenn wir hier etwas machen, dann ordentlich“, so Christian Haas heute. „Unser Ziel war von Anfang an die Bundesliga, also die zweithöchste Liga. Leider sind wir 2009 wieder in die Regionalliga abgestiegen, das war der schwierigste Moment, weil es in solchen Situationen für viele Vereine bergab geht. Wir haben es dennoch noch einmal geschafft.“
Bargeldoses Zahlen auf gefrorenem Rasen
Das Modell Grödig ist kein Einzelfall. Die Geschichte der Mäzene im österreichischen Fußball ist lang – von Red Bull Salzburg bis zum Wolfsberger AC, von der Wiener Austria bis zu Wiener Neustadt. Und dennoch ist Grödig im vergangenen Jahr zum Synonym der Dorfliga geworden, wie die Bundesliga derzeit oft genannt wird. Nicht zur Freude von Bundesliga-Präsident Hans Rinner. „Ich bin nicht sehr glücklich damit. Es hat zwar auch einen Charme, dass Grödig gegen den Rest der Liga spielt. Das Duell David gegen Goliath ist immer reizvoll“, sagt er. „Wenn ein, zwei kleinere Klubs dabei sind, ist das gut. Wenn die Anzahl zu hoch ist, ist es das nicht mehr. In den vergangenen Jahren hatten wir zu wenige Stadtklubs in der obersten Liga.“ Tatsächlich ist Wiener Neustadt mit seinen knapp über 40.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt der Liga, mit Altach, Grödig und Maria Enzersdorf haben drei Heimatgemeinden von Bundesligisten sogar weniger als 10.000 Einwohner.
Während Grödig den sportlichen Höhenflug fortsetzt, ist Pangl mittlerweile Geschichte. Seit September 2004 hatte er den Ligavorstand inne, Ende Dezember 2013 platzte ihm im Interview mit der Sportwoche der Kragen. Auf die mangelnde Bereitschaft von Kleinvereinen wie Grödig und Wolfsberg angesprochen, eine Rasenheizung zu installieren, sagte er: „Bei allem Respekt, was die Herrschaften dort für ihre Verhältnisse leisten, dann haben sie nicht den professionellen Zugang zum Profifußball, der notwendig ist.“
Schon wenige Wochen zuvor war Pangl für die schlechte Öffentlichkeitsarbeit der Bundesliga nach Bekanntwerden des Matchfixing-Skandals heftig kritisiert worden. Selbst als die Polizei täglich mit neuen Enthüllungen im Manipulationsskandal rund um Grödig-Kapitän Dominique Taboga aufhorchen ließ und die Glaubwürdigkeit des österreichischen Fußballs von zahlreichen Medien infrage gestellt wurde, versuchte Pangl noch, das Problem kleinzureden. Im Jänner zog die Liga die Konsequenzen, der achtköpfige Aufsichtsrat einigte sich mit ihm auf eine einvernehmliche Beendigung des Dienstvertrags. Lange arbeitslos war Pangl jedoch nicht, er ist mittlerweile als Generalsekretär der European Professional Football Leagues tätig und kann sich dort den Visionen des europäischen Fußballs widmen.
An Visionen hat es dem 49-Jährigen auch in seiner Amtszeit bei der Bundesliga nicht gemangelt. Stolz präsentierte er nach internationalen Reisen die Errungenschaften des modernen Fußballs wie etwa das bargeldlose Zahlen des Stadionwürstels oder die personalisierte Ansprache von Zuschauern mittels Stadion-App. Visionen, deren Umsetzung in einer Liga, in der nicht einmal alle Vereine über eine Rasenheizung verfügen, nicht unbedingt an der Tagesordnung standen. Aber warum hat sich die Liga in den vergangenen Jahren nicht entsprechend entwickelt? Warum hinkt Österreich in der Infrastruktur hinterher? Und verfolgt die Liga überhaupt ein übergeordnetes Ziel? Bundesliga 2000 Die Suche nach den Antworten beginnt vor fast 20 Jahren. Damals verfolgte Reinhard Nachbagauer als Vorstand der Bundesliga das Ziel, die Liga fit für die Zukunft zu machen. Das Ergebnis war das Konzept „Bundesliga 2000“, 123 Seiten stark und geschrieben im Jahr 1996, unter anderem von Nachbagauer, Rapid-Manager Werner Kuhn, Austria-Funktionär Werner Hebenstreit, FC-Linz-Manager Jürgen Werner und dem Marketing-Verantwortlichen der Bundesliga, Karl Wieseneder. „Wir wollten eine Initiative setzen, zunächst gegen interne Widerstände“, sagt Nachbagauer rückblickend. „Wir haben sehr viele Daten gesammelt, eine Studienreise durch Europa durchgeführt und parallel dazu eine Marktforschung gemacht. Insgesamt hat es ein Jahr gedauert.“
Der Ausblick aus dem Jahr 1996 in die Zukunft ist düster. Die Autoren sehen die Gefahr, dass der österreichische Fußball und die Bundesliga es nicht schaffen, im europäischen Konzentrationsprozess der Klubs und der damit verbundenen wirtschaftlichen Kräfte eine wichtige Rolle zu spielen, viele Stadien würden zukünftig nicht mehr europacuptauglich sein. Die öffentliche Hand werde aufgrund knapper Budgets nicht alle Stadien in den notwendigen Zustand bringen können und wollen. Als einer der zentralsten Punkte der Studie wird die Zusammensetzung der Bundesliga nach weitgehend sportlichen Kriterien kritisiert. Daraus folge, dass nie das mögliche Zuschauerpotenzial abgeschöpft werden könne. Regionale Überkonzentrationen von Bundesliga-Klubs und damit Überschneidungen der Zuschauereinzugsgebiete seien daher sehr wahrscheinlich.
Die geschlossene Gesellschaft und ihre Feinde
Was die Studienautoren 1996 prognostizierten, liest sich wie eine Analyse aus der abgelaufenen Saison: „Der österreichische Fußball verliert an andere Sportarten Marktanteile im Zuschauerbereich und langfristig auch die Position als Zuschauersport Nummer eins.“ Mit ihrem „Konzept Bundesliga 2000“ stießen die Klubmanager vor knapp 20 Jahren jedoch nicht auf ungeteilte Begeisterung. Kein Wunder: Das Konzept sah vor, die Liga zur mehr oder weniger geschlossenen Gesellschaft zu machen. Der Aufstieg in die höchste Spielklasse sollte an nicht verrückbare sportliche, wirtschaftliche aber auch regionale Kriterien geknüpft werden. Eine Idee, die Red-Bull-Sportdirektor Ralf Rangnick Mitte Juli in einem Interview mit dem Kurier wieder aufgriff. Die Bundesliga sollte aufgestockt und so zur Liga der geilsten Vereine werden, sagte er.
Die Annahmen der Projektgruppe damals: Das volle Potenzial des österreichischen Fußballs könne nur dann ausgenützt werden, wenn in jeder Landeshauptstadt ein Klub in der obersten Spielklasse spielt, einzig die Bundeshauptstadt solle zwei Vereine stellen. Denn sportlicher Erfolg sei ohne wirtschaftliche Grundlagen nicht verwirklichbar, und diese Grundlagen finde man nur in den in Österreich ohnehin raren größeren urbanen Gebieten. Nachbagauer und seine Mitstreiter konnten keine Mehrheit für ihr Konzept finden.
„Der Widerstand der konservativen Kräfte vor allem rund um das Thema Auf- und Abstieg war sehr groß“, sagt der ehemalige Bundesliga-Vorstand heute. „Schlussendlich sind wir die Sache zu blauäugig angegangen und haben zu wenig Lobbying betrieben.“ Das Konzept wurde nie umgesetzt, die Zustimmung des ÖFB, der Landesverbände aber auch aus der eigenen Liga blieb aus. Ein neuer Wind wehte Ende der 1990er Jahre dennoch durch die Liga. 1999 war der austro-kanadische Selfmade-Milliardär Frank Stronach zum neuen Bundesliga-Präsidenten gewählt worden, der mit Versprechen und kühnen Ansagen wie der Prognose, dass die Austria bald ernsthaft in der Champions League mitspielen werde, aufhorchen ließ.
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>>>Zum Thema: Hans Rinner im Interview: "Das Risiko neue Wege zu gehen war mir zu groß">>>
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