Wir sind der Verein
Die Tradition verraten, die Farben gestohlen, die Heimat verlassen – der moderne Fußball hält für Fans viele Härten bereit. In Salzburg, Manchester, Leipzig und London haben Anhänger die Konsequenzen gezogen und mit ihrem eigenen Klub von vorne angefangen
Es ist ein regnerischer und wolkenverhangener Tag in Salzburg. Vom Bergpanorama rund um das Stadion von Austria Salzburg im Stadtteil Maxglan keine Spur. Der Verein geht als souveräner Tabellenführer in die zwölfte Runde der Regionalliga West gegen Seekirchen: zehn Siege, eine Niederlage. Im vierten Regionalligajahr will Austria Salzburg den Sprung in den bezahlten Fußball schaffen. Den Sprung zurück, wie es aus Sicht der Fans heißt, die dieses Jahr den 80. Geburtstag der Austria feiern. 2005, nach dem Einstieg von Red Bull, gründeten sie den SV Austria Salzburg neu und nahmen mit, was für sie die Seele des Vereins war: die Farben Violett und Weiß, den Namen und sich selbst. Farben und Name sind heute in den Statuten verankert, ebenso wie die Mitbestimmungsrechte der etwa 800 Vereinsmitglieder. Ein durch die Hauptversammlung gewählter Vorstand leitet den Verein.
In der Anfangszeit setzte sich dieser Vorstand aus organisierten Fans zusammen, bis 2008 war Moritz Grobovschek, Mitgründer des Fanklubs „Tough Guys Salzburg", Obmann. Fünf Jahre lang gehörte auch Volker Rechberger zum Vorstand. Inzwischen ist er „nur noch" Fan – zumindest fast. Wenn kurzfristig Hilfe gebraucht wird, springt er ein und sitzt deswegen beim Spiel gegen Seekirchen im Kassenhäuschen. „Ich glaube, dass jeder Vereinsfunktionär bei uns auch Fan ist", sagt er über die heutige Austria.„Aber für gewisse Prozesse braucht man Leute, die nicht nur Fans sind, sondern auch das nötige Know-how haben." So wie Walter Windischbauer, der seit Juni 2010 Vereinsobmann ist. Einen violett-weißen Schal über dem grauen Sakko, kommt er vor dem Spiel zum Gespräch in das neben dem Stadion gelegene Gasthaus Kuglhof. Windischbauer ist Austria-Anhänger seit den 1970ern, er ist noch geblieben, als Red Bull mit Dosenwerbung und Disco-Flutlicht kam – bis die Liebe dann erlosch. Die Anfänge des von aktiven Fans gegründeten Vereins hat er mit Wohlwollen, aber aus der Distanz verfolgt. Er sagt: „Ohne ihre Fans würde es die Austria gar nicht geben, ihre Wiedergeburt verdankt sie den Anhängern."
Aus der Asche des modernen Fußballs
In England heißen diese wiedergeborenen Vereine Phoenix Clubs, nach dem mythologischen Vogel, der in der Glut der Sonne verbrennt und aus der eigenen Asche wiederaufersteht. Das Mutterland des Fußballs hat mit der Gründung der Premier League vor 21 Jahren das Feuer entfacht, in dem nach Ansicht vieler Fans die Seele des Sports verbrannt ist. Erhöhte Eintrittspreise, zunehmende TV-Vermarktung und Kommerzialisierung, wechselnde Besitzer, kurz: Fußball als Geschäft, der Verein als Investitions- und Umschuldungsobjekt. Die bekanntesten Klubs, die durch ihre Fans nach dem Modell eines Mitgliedervereins neu gegründet wurden, sind der AFC Wimbledon und der FC United of Manchester. Beim Londoner Klub war es 2002 der Umzug des Wimbledon FC in das rund 90 Kilometer entfernte Milton Keynes, in Manchester brachte die Übernahme von United durch Malcolm Glazer 2005 das Fass zum Überlaufen. Beide Ereignisse waren das Ergebnis einer längeren Entwicklung. Andy Walsh war 2005 Vorsitzender der „Independent Manchester United Supporters Association", aus der der FC United entstand. Heute ist er Geschäftsführer des Vereins und sagt: „Viele Fans waren über die Entwicklung des englischen Fußballs besorgt. Sie sind immer stärker zurückgedrängt worden und werden heute wie Kunden behandelt. Diese Entfremdung zwischen Fans und Verein ist für viele nicht mehr hinnehmbar gewesen."
Mithilfe der bereits 1998 gegründeten Initiative hatten die United-Fans versucht, auf ihre Interessen aufmerksam zu machen und die Glazer-Übernahme zu verhindern. Nicht zuletzt, indem Walsh Trainer Alex Ferguson persönlich darum bat, in diesem Fall zurückzutreten. Vergeblich. Auch die Wimbledon-Fans hatten sich im „Dons Trust" formiert, um mehr Einfluss auf Vorstand und Besitzer des Vereins ausüben zu können. Ihre Einwände gegen den englischen Präzedenzfall eines Franchisemodells, mit dem ein Klub und dessen Lizenz in eine andere Stadt verkauft wurden, verhallten ungehört. Am 28. Mai 2002 genehmigte eine vom englischen Verband eingesetzte Kommission den Umzug und stellte zudem fest, eine Wimbledon-Neugründung am alten Standort durch die Fans sei „nicht im Interesse des Fußballs". Zwei Tage später schrieben die Fans den AFC Wimbledon in die unterste Klasse der englischen Ligapyramide ein. Er ist bis heute im Besitz der Fanvereinigung und spielt inzwischen in der vierthöchsten Liga, nur eine Stufe unter Milton Keynes.
Letzter Ausweg
Die Gründung des AFC Wimbledon war der vielleicht sichtbarste Ausdruck des Auseinanderklaffens der Interessen des Fußballs und der Fans. Bereits in den Jahren zuvor hatte dieser Konflikt bei verschiedenen Vereinen zur Einrichtung von demokratisch organisierten Fanvereinigungen, den „Supporters Trusts" geführt. Um eine solche Mitbestimmung zu unterstützen, wurde im Jahr 2000 die Organisation „Supporters Direct" gegründet. Seit 2007 berät sie auch Fans außerhalb von Großbritannien, zuständig für die Europa-Abteilung ist Antonia Hagemann gemeinsam mit ihrem Kollegen Ben Shave. In den vergangenen Jahren ist ihre Arbeit mehr geworden, das Thema Fanbeteiligung boomt – auch weil der Fußball finanziell kriselt. „Zu uns kommen Fans, deren Klub ruiniert ist oder kurz davor steht und die sich zusammentun, um ihn zu retten", sagt Hagemann. „Andere fühlen sich schlecht behandelt und wollen mehr Einfluss auf Vereins-entscheidungen nehmen. Eine dritte Variante ist der endgültige Bruch, wenn Fans sagen ‚Wir machen jetzt unser eigenes Ding.'" Von Fans neu gegründete Vereine gibt es mittlerweile nicht nur in England und Österreich, sondern auch in Belgien, Finnland, Israel und Spanien. Ein Neustart nach Ruin, Verrat oder Verkauf des alten Vereins ist jedoch meist nicht die erste, sondern die letzte Option.
Auch die Fans von Austria Salzburg hatten 2005 nach den ersten Meldungen zum Red-Bull-Einstieg nicht an eine Neugründung gedacht. Der Verein steckte in einer sportlichen und finanziellen Krise. „Als Red Bull gekommen ist, haben viele von uns zuerst gedacht: ‚Wow, endlich'", sagt Neu-Austria-Mitgründer Rechberger. „Die schienen der perfekte Partner, als Salzburger Unternehmen mit viel Geld." Aber Red Bull sah sich nicht als Sponsor, sondern als Besitzer und verkündete: „Das ist ein neues Team, ein neuer Klub. Es gibt keine Tradition, es gibt keine Geschichte, es gibt kein Archiv." In Salzburg wurde der Streit um die Farben zum Symbol für die unüberbrückbare Differenz zwischen den alten Fans und dem neuen Hausherren. Die Faninitiative „Violett-Weiß" verhandelte mit Red Bull einige Monate darüber, die Traditionsfarben beizubehalten. Aber die Farben, der Name, die Fankultur – das alles war nicht wichtig. Wichtig war nur die Bundesliga-Lizenz. „Dieser gewollte Bruch war für mich nicht in Ordnung", sagt Volker Rechberger. „In meiner Welt kann man Fußballvereine nicht kaufen." Am 7. Oktober 2005, sechs Monate nach der Übernahme durch Red Bull, gibt es einen neuen Eintrag im Vereinsregister: Der Sportverein Austria Salzburg beginnt zunächst in einer Spielgemeinschaft mit dem Polizeisportverein Salzburg in der 1. Landesliga, das Experiment wird jedoch nach einem halben Jahr abgebrochen, die Austria startet ganz unten in Liga sieben neu.
Platzwart, Maler, Bürokrat
Wenn aus Fans Vereinsgründer werden, ist damit ein abrupter Rollenwechsel verbunden. Sind sie als Ultras und organisierte Anhänger für Stimmung, Auswärtsfahrten und Fanklubtreffen verantwortlich, stehen für die Fans als Funktionäre nun Behördengänge und Platzbegehungen an. „Wir hätten es die letzten fünf Jahre sicher ruhiger haben können", sagt Remo Hoffmann, Vorstandsmitglied der BSG Chemie Leipzig, der gemeinsam mit BSG-Fan Menne zum ballesterer-Gespräch gekommen ist. Die Geschichte ihres Klubs führt in die komplizierten Leipziger Fußballverhältnisse, in denen Red Bull ebenfalls eine Rolle spielt. 2008 wandte sich die Ultragruppe „Diablos" von ihrem Verein, dem damaligen Viertligisten FC Sachsen Leipzig, ab. Vorausgegangen waren in den Jahren zuvor der Umzug ins ungeliebte Zentralstadion, Verhandlungen mit Red Bull und nicht zuletzt politische Differenzen zwischen den antifaschistischen Ultras und anderen Sachsen-Fans. Mit dem Namen des DDR-Oberligameisters von 1964, BSG Chemie Leipzig, starteten sie in Liga 13 und arbeiteten sich fortan in Vereinsrecht, Sicherheitsvorschriften und Spielstättenverordnungen ein. Ben Shave von „Supporters Direct Europe" sagt: „Fans können ja auch Anwälte, Buchalter und Marketingleute sein. Wenn man einen Klub übernimmt, muss man die Basis mobilisieren und die richtigen Kompetenzen finden."
Offiziell fungierte Volker Rechberger im Vorstand der Austria als Schriftführer. „Gemacht habe ich wie alle anderen auch alles: Platz markieren, im Vereinsgebäude Wände ausmalen, Wege zu Behörden, zum Fußballverband und so weiter", sagt er. Die Phönixvereine entstehen aus einer von Enthusiasmus, Wut und Enttäuschung motivierten Gruppe von Fans. Das große ehrenamtliche Engagement, das sie trägt, ist die Stärke der Vereine – und ihre Schwäche. Es gilt, die Energie der organisierten Fans, ihre Kreativität und das Gemeinschaftsgefühl, das nicht zuletzt durch die Vereinsgründung entstanden ist, auch in den Ebenen der Vereinsbürokratie zu bewahren. „Man muss ein Gleichgewicht finden zwischen effizienter Organisation und Einbindung von Freiwilligen", sagt Rechberger.
Der Übergang von rein ehrenamtlichen zu teilprofessionellen Strukturen ist die nächste Herausforderung für die Vereine. Die Prioritäten sind dabei unterschiedlich: Der FC United of Manchester stellte bereits ein knappes Jahr nach Gründung mit Andy Walsh einen bezahlten Geschäftsführer ein, während bei der Austria die Vereinsführung weiter in den Händen des ehrenamtlichen Vorstands liegt. Hier stehen die Arbeit in der Geschäftsstelle und in der Gastronomie auf der Liste bezahlter Jobs. „Es geht irgendwann nicht mehr, dass Leute Stunden um Stunden arbeiten, ohne etwas zu bekommen", sagt Rechberger. „Fans wollen eben auch das Spiel sehen, und wenn du Bier verkaufst, kriegst du davon nichts mit."
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