ÖFB-Team: Wohin geht die Reise?
Das Nationalteam ist vor den WM-Qualifikationsspielen gegen die Färöer und Irland am Scheideweg angelangt. Die Euphorie um David Alaba und Marcel Koller verlangt nach neuem Treibstoff, und den können nur Erfolge liefern. Für den ÖFB steht dabei nicht nur
Die Bilanz fällt zwiespältig aus. Wer dieser Tage mit ÖFB-Präsident Leo Windtner über das Nationalteam spricht, kriegt einerseits zu hören: "Wir haben vor eineinhalb Jahren eine durchaus couragierte Teamchefentscheidung getroffen, und Marcel Koller hat die Erwartungen bisher erfüllt. Die Öffentlichkeit hat registriert, dass im ÖFB professionell gearbeitet wird. Der Zusammenhalt im Team ist beeindruckend. Man spürt das Wollen." Gleichzeitig macht Windtner aber kein Geheimnis daraus, dass er die Ergebnisse von Kollers Team für ausbaufähig hält: "Schlussendlich sind die Resultate die Messlatte – und damit können wir nicht zufrieden sein. Wir waren nicht unbedingt vom Glück verfolgt und in manchen Situationen zu wenig konzentriert."
Genau daran arbeitet Marcel Koller vor dem Freundschaftsspiel gegen Wales Anfang Februar. Auf dem Trainingsplatz des Ernst-Happel-Stadions lässt er seine Kicker Abschlüsse trainieren. Die rund 20 anwesenden Journalisten werden von einem fehlgeleiteten Schuss von Marko Arnautovic wachgerüttelt und bekommen eine klassische Übungsanordnung zu sehen: Innenverteidiger und defensive Mittelfeldspieler werden an der Mittellinie angespielt und lassen die Bälle prallen. Es folgen Wechselpässe auf die Flügel, die die Stürmer im Sechzehner bedienen. Koller schaut sich die Übung an und spendet Motivation. Die Trainingsbälle sind dieselben Fabrikate, die zwei Tage später auch in Swansea verwendet werden. Vor dem Test für das Auswärtsspiel in Dublin soll nichts dem Zufall überlassen werden.
Warten auf den Auswärtssieg
Die Generalprobe geht dennoch 1:2 verloren. Probleme im Spielaufbau führen dazu, dass die ÖFB-Elf die trainierten Abschlüsse viel zu selten anwenden kann. Der walisische Superstar Gareth Bale nützt seine Freiräume auf der rechten Seite zu einem Tor und einer Vorlage. Auf der Gegenseite erwischt David Alaba nicht den besten Tag, und Veli Kavlak macht im defensiven Mittelfeld gegen Joe Ledley keinen Stich. Mehr als das Anschlusstor von Marc Janko nach Vorlage des starken Arnautovic schaut nicht heraus. Es wird offenkundig, wie verwundbar Kollers Nationalmannschaft noch ist.
Vor dem Match gegen die Färöer am 22. März in Wien verschlechtert sich die Bilanz des Schweizers auf vier Siege, zwei Unentschieden und vier Niederlagen. Auswärts wartet sein Team noch auf den ersten Sieg. Seit 1. November 2011 trainiert Marcel Koller Trainer die österreichische Nationalmannschaft. In diesen knapp eineinhalb Jahre hat er mit seinem Team um die Co-Trainer Fritz Schmid und Thomas Janeschitz einiges auf die Beine gestellt. Der bei seiner Bestellung deutlich spürbare Gegenwind ist abgeflaut, weil Koller mit seinem professionellen Auftreten wenig Angriffsfläche bietet und eine klare Handschrift erkennen lässt. Koller hat dem Team eine auf Pressing basierende Spielphilosophie verpasst, die er nicht nur in zahlreichen Interviews predigt, sondern die bei der 1:2-Niederlage gegen Deutschland in der WM-Qualifikation auch einem großen Gegner Schwierigkeiten bereitet hat. Sein 4-2-3-1-System ist zeitgemäß, variabel und passt zum vorhandenen Spielermaterial.
Auf diesem Sektor hat der Teamchef im abgelaufenen Länderspieljahr einen – vorwiegend im Ausland spielenden – Stamm gefunden. Zentrale Säulen wie Alaba, Arnautovic, Martin Harnik und Zlatko Junuzovic haben bei ihren Vereinen in der deutschen Bundesliga Fixplätze und eignen sich ausgezeichnet als Sympathieträger. "Die Nationalmannschaft hat gewissermaßen Kultcharakter entwickelt. Vor allem dank Gallionsfiguren wie Alaba und Arnautovic, die zusammen über 400.000 Facebook-Freunde haben. Das sind Zugpferde, die die Massen ansprechen und mit denen sich unsere Fangemeinde identifizieren kann", sagt ÖFB-Präsident Windtner.
Das Team befindet sich trotz der durchschnittlichen Ergebnisse in einem Stimmungshoch: Gegen Kasachstan kamen trotz eines enttäuschenden 0:0 im Hinspiel vier Tage zuvor 43.000 Zuschauer ins Happel-Stadion, freilich begünstigt durch die Abopolitik des Verbands, der die Tickets nur in Verbindung mit dem Deutschland-Spiel verkaufte. Das Linzer Stadion war beim 0:3 im Test gegen die Elfenbeinküste genauso ausverkauft, wie es der 2.500 Zuschauer fassende Auswärtssektor im Aviva Stadium von Dublin am 26. März sein wird.
Eigenartige Beharrlichkeit
Doch mit dem Glanz der Zugpferde kann es auch rasch wieder vorbei sein. Die Schnelllebigkeit des internationalen Spitzenfußballs bekamen zuletzt Marc Janko und Christian Fuchs zu spüren. Mittelstürmer Janko kam nach seinem Wechsel vom FC Porto zu Trabzonspor nur in sieben Meisterschaftsspielen von Beginn an zum Einsatz und musste sich zudem mit kleineren Verletzungen herumschlagen. Fuchs fand sich nach durchwachsenen Leistungen und einer Niederlagenserie von Schalke 04 auf der Ersatzbank wieder. Auch beim Teamkapitän kam eine Rückenverletzung dazu.
Ersatz stünde mit Philipp Hosiner und Markus Suttner bereit. Dem Duo von Bundesliga-Spitzenreiter Austria Wien fehle es allerdings an internationaler Erfahrung, argumentiert der Teamchef. Koller hat mehrmals deutlich gemacht, dass er seine Stammformation nicht von Spiel zu Spiel über den Haufen werfen will. Doch der Grat zwischen Kontinuität und Flexibilität ist schmal – und öffnet die Flanke für Personaldiskussionen.
Im Fall von Hosiner sind sie auch wegen des guten öffentlichen Standings Kollers noch schaumgebremst ausgefallen. Seine Entscheidung, den mehr als 30-fachen Saisontorschützen gegen Wales 90 Minuten auf der Bank schmoren zu lassen, nachdem er ihn im Herbst überhaupt nicht berücksichtigt hatte, sorgt dennoch für Unverständnis. Unter anderem bei Paul Gludovatz. Der langjährige ÖFB-Nachwuchstrainer – vor eineinhalb Jahren selbst Teamchefkandidat – warnt davor, Legionäre ohne Spielpraxis aufzustellen. "Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen alle Beteiligten 100 Prozent bringen. Ein Spieler, der nicht regelmäßig zum Einsatz kommt, kann das gar nicht bringen. Egal, ob er in Deutschland, England oder Italien spielt", sagt Gludovatz. "Das Beharren auf dieser Ordnung ist eigenartig. Gerade wenn man aus einem Kreis von 30 bis 35 Spielern auswählen kann."
Gludovatz will seine Aussage mehr als Anmerkung denn als Kritik an der Person Koller verstanden wissen. Den frischen Wind rund um das Nationalteam hat auch der Hartberg-Trainer zur Kenntnis genommen. "Wir dürfen uns aber nicht über eine Niederlage gegen Deutschland freuen, sondern müssen schauen, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt. Das versteht jeder Spieler, das versteht jeder Fan." Vom Umfeld her finde das Team ausgezeichnete Bedingungen vor, sagt Gludovatz. "In diesem Bereich kommt es auf viele kleine Details an, die auf internationales Niveau angehoben worden sind." Er selbst habe rund um die Teamchefbestellung in einem Gespräch mit ÖFB-Präsident Windtner einige Punkte aufgezeigt: "Da geht es um videounterstütztes Individualtraining, um die ständige Überwachung des Belastungsgrads. Das haben Vorgänger negiert und das ist jetzt erfüllt worden. Solche Dinge können den Ausschlag geben, dass wir wieder einmal die Qualifikation für eine WM oder EM schaffen."
Überbewertete Betreuerstäbe
Tatsächlich hat der ÖFB seit der Bestellung Kollers beim Personal nachgebessert. Im Rahmen der Strukturreform wurde eine neue Direktion für den Bereich "Medien und Kommunikation" geschaffen, zudem wurden die Trainerteams vergrößert. "In Anlehnung an führende Verbände wie den DFB haben wir die Teams mit Experten aufgestockt, der ÖFB kann hier durchaus dem internationalen Vergleich standhalten", sagt Windtner. "Das ist noch nicht die Formel, die uns nach Brasilien bringt, aber eine Grundvoraussetzung, um erfolgreich sein zu können." Außerhalb des Verbands wird der personelle Mehraufwand ambivalent bewertet. Peter Linden, Fußballchef der Kronen Zeitung, sieht jedenfalls einen deutlichen Unterschied zu früher. ...
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