Die Geburt des Planeten Fußball

Vor 150 Jahren gründete eine Handvoll Gentlemen die englische Football Association, den ersten Fußballverband der Welt. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde aus einem Zeitvertreib der Elite ein populärer Massensport. Text: Hans Georg Egerer, Illustrationen:

 

01

 

Für die Pioniere des Fußballs begannen die Schwierigkeiten, bevor der erste Ball getreten wurde. „Soll das Spiel mit einem Anstoß beginnen oder mit einem Bully? Darf der Ball aufgenommen und getragen werden oder im Flug gefangen werden? Was ist Abseits? Und was nicht?", schreibt der zeitgenössische Journalist John Dyer Cartwright über die Grundsatzfragen, die zu lösen waren, bevor an ein Spiel überhaupt zu denken war.

 

Doch am 31. Oktober 1863 vermeldete die Sportwochenzeitung Bells's Life in London: „Am Montagabend, 26. Oktober, fand in der Freemason's Tavern, Great Queen Street, Lincoln's Inn Fields ein Treffen von Kapitänen und anderen Vertretern von einigen Fußballklubs aus London und Umgebung statt, um einen Verband zu gründen, mit dem Ziel einen endgültigen Satz an Regeln für die Regulierung des Fußballspiels zu schaffen." An der breiten Öffentlichkeit dürfte die Nachricht, die als Geburtsanzeige des organisierten Fußballs gesehen werden kann, vorbeigegangen sein. Die Diskussionen über die Vereinheitlichung der Fußballregeln wurden im eigenen Interesse von einer Handvoll Aktiver geführt. Die Entwicklung zum Massensport stand noch bevor.

 

Von der Keilerei zum Elitesport
Die Verbreitung des traditionellen Volksfußballs, bei dem ganze Stadteile versuchten, mit einer unbeschränkten Anzahl an Spielern und ohne festgelegtes Spielfeld den Ball ins gegnerische Tor zu treiben, war in der Mitte des 19. Jahrhunderts stark zurückgegangen. Stephen Glover beschreibt in seiner 1829 erschienenen „History of Derbyshire" ein solches Aufeinandertreffen zwischen den Pfarrsprengeln St. Peter's und All Saints in der mittelenglischen Stadt Derby: „Der Kampf um den Ball, der in den Armen getragen wird, ist gewalttätig und die Bewegung der menschlichen Flutwelle, die hin und her wogt, ohne den leisesten Gedanken an die Folgen, ist ungeheuerlich. Ein Franzose auf Durchreise meinte, dass, wenn die Engländer das Spielen nennen, es unmöglich wäre, zu sagen, was sie dann unter Kämpfen verstehen."

 

Auch der Obrigkeit missfiel die Rohheit des Massenfußballs, was 1846 zum endgültigen Verbot des Spiels in Derby führte. Weitere regionale Verbote aufgrund der immer wieder auftretenden Gewaltausbrüche sowie der Rückgang an Freizeit durch die Industrialisierung hatten den Volksfußball nur noch an wenigen Orten überleben lassen. Heute gibt es davon nur noch wenige Überbleibsel. Das Royal-Shrovetide-Football-Match, das jährlich am Faschingsdienstag in der Kleinstadt Ashbourne in Derbyshire ausgetragen wird, vermittelt eine gute Vorstellung des damaligen Spiels.

 

02

 

Die englischen Public Schools hingegen nahmen Fußball Mitte des 19. Jahrhunderts in ihre Lehrpläne auf. Wobei der Name „Public School" irreführend ist. Denn die Eliteschulen waren nicht vom Staat finanziert, es handelte sich um Privatschulen. „Public" waren sie nur in dem Sinn, dass sie der gesamten Bevölkerung für ihren männlichen Nachwuchs offenstanden und nicht nur Schülern aus einem Gebiet, allerdings nur der sehr gut zahlenden Klientel. Um der immer schon moralisch verdorbenen Jugend Teamwork, Ausdauer und Härte beizubringen, setzten die Pädagogen auf Sport.

 

Der Fußball erschien als eine wintertaugliche Alternative zu Cricket. „Dieses Spiel kann nur bei kaltem oder zumindest kühlem Wetter gespielt werden, da es eine ununterbrochene Bewegung und die totale Verausgabung von jedem Spieler erfordert, dass niemand fähig wäre, ein hitziges Spiel im Sommer durchzuhalten", schreibt 1862 der ehemalige Schulmeister George Forrest in seinem Aufsatz „How to Play at Football", in dem er auch erklärt, wie man das Spielgerät fachgerecht mit Ochsenblasen auffüllt.

 

Keine Kompromisse
Einheitliche Regeln gab es damals noch nicht, jede Schule spielte nach dem eigenen Hauskodex. Der an der Universität Oxford ausgebildete Jurist Montague Shearman, Leichtathlet, Fußball- und Rugbyspieler, erklärt in seinem Standardwerk „Football. Its History for Five Centuries" von 1885 den Grund für die Verschiedenheit der Spielweisen. „In jeder Schule wurden die Regeln an die Kapazität der Spielplätze angepasst, und da diese sehr verschieden waren, waren es auch die Regeln."

 

Die Mehrzahl der Schulen hatte wenig Platz, die Schüler spielten in den Innenhöfen. „Ohne Zweifel war das Spiel (der Massenfußball, Anm.) schon riskant für die Gliedmaßen, wenn es auf einer guten Grasdecke gespielt wurde", schreibt Shearman. „In einem ummauerten Raum wäre es jedoch möglicherweise sogar lebensgefährlich gewesen." Einen offenen, großzügig dimensionierten Grasplatz hatte nur eine Schule: jene in Rugby. Daher hat das ursprüngliche Spiel dort Shearman zufolge fast unverändert in seiner primitiven Form überlebt.

 

Die Studenten an den Universitäten waren die ersten, die die Notwendigkeit einheitlicher Regeln erkannten. Die Absolventen der verschiedenen Public Schools trafen an den Hochschulen aufeinander. Die Universität Cambridge stellte schon 1848 eigene Regeln auf. Darin war das Balltragen verboten. In den späten 1850ern schossen immer mehr Klubs aus dem Boden, da die Abgänger der Public Schools und Universitäten auch nach ihrer Bildungszeit Fußball spielen wollten. Dank des Eisenbahnnetzes, das mittlerweile die großen Städte verband, wurden auch Spiele zwischen weit voneinander entfernten Klubs möglich. Umso dringlicher war daher die Klärung der Regelfrage.

 

Auf die Gründungsversammlung der FA folgten weitere fünf Treffen, bei denen die Regeln erarbeitet wurden. Ursprüngliches Ziel war ein breiter Kompromiss, der die Vorzüge des „Running Game", bei dem man mit dem Ball in der Hand laufen durfte, und des „Dribbling Game", bei dem man den Ball mit den Füßen fortbewegte, vereinen sollte. Noch im vierten Meeting der neu gegründeten FA lag ein Entwurf vor, der das Laufen mit dem Ball erlaubte, wenn er aus der Luft gefangen wurde. Schienbeintreten und Beinestellen gegen den balltragenden Spieler waren ebenso zugelassen.

 

Unter Einfluss der Dribbler aus Cambridge wurde ein Antrag eingebracht, das Schienbeintreten zu verbieten. „Wenn wir das Schienbeintreten erlauben, wird niemand Fußball spielen", erklärte Ebenezer Cobb Morley, jener Anwalt, der zum Gründungstreffen geladen hatte. Ein Vertreter von Blackheath entgegnete: „Wenn wir das Schienbeintreten aufgeben, geben wir die Tapferkeit und die Schneid auf, die das Spiel verlangt." Er sah die englische Kardinaltugend der Härte und Leidensfähigkeit in Gefahr. Ohne Schienbeintreten könnten sogar Franzosen die Anwesenden mit einer Woche Übung schlagen, sagte der Blackheath-Funktionär. Er zog seinen Klub aus der FA zurück. Der Blackheath FC wurde 1871 Gründungsmitglied der Rugby Football Union. Die Mehrheit entschied sich gegen das Schienbeintreten und auch gleich gegen das Balltragen. Der Versuch eines Kompromisses war gescheitert. Fußball sollte fortan mit den Füßen gespielt werden. ...

 

Den gesamten Artikel gibt es in der aktuellen Printausgabe des ballesterer (Nr. 86, November 2013). Ab 19.10. österreichweit in den Trafiken, im deutschen und Schweizer Bahnhofsbuchhandel und digital im Austria-Kiosk der APA ( http://kiosk.at/ballesterer)!

>>> Seite 2: Inhalte ballesterer #86


86coverInhalte des ballesterer (www.ballesterer.at) Nr. 86 (November 2013) – mit 16 Seiten mehr Umfang und im neuen Design (http://ballesterer.at/aktuell/ballesterer-im-neuen-gesicht.html) - ab 19. Oktober im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (http://kiosk.at/ballesterer)!

 

SCHWERPUNKT: 150 JAHRE FUSSBALL

DIE GEBURT DES PLANETEN FUSSBALL
Wie aus einem Spiel der Elite ein Massensport wurde
http://ballesterer.at/heft/thema/die-geburt-des-planeten-fussball.html

 

„DIE GROSSEN REVOLUTIONEN SIND VORBEI"
Taktikexperte Jonathan Wilson im Interview
http://derstandard.at/1381368801280/Die-grossen-Revolutionen-sind-vorbei

 

SCHIENBEINTRETEN VERBOTEN
Die Fußballregeln von 1863

 

DIE ERSTEN STARS
Adelige, Ärzte & Playboys

 

BACK TO THE ROOTS
Der Sheffield FC ist dem Amateurstatuts seit 156 Jahren treu

 

NEUGIERIGE NARRISCHE
Wie der Fußball nach Österreich kam

 

Außerdem im neuen ballesterer:

VIENNA FALLING
Österreichs ältester Klub baut auf Sand und Fast Food
http://ballesterer.at/heft/weitere-artikel/vienna-falling.html

 

DISZIPLIN IM DORF
Grödig-Trainer Adi Hütter im Porträt

 

KAMPF UM DIE STADT
Das Wiener Derby in Zahl und Bild

 

FUSSBALL UNTERM HAKENKREUZ
Grazer Straßenbahner

 

AUSWÄRTSSEKTORCHECK
Red Bull Salzburg kann punkten
http://ballesterer.at/heft/serien/partyzone-bullenstadl.html

 

„ES SITZEN UNSCHULDIGE IM GEFÄNGNIS"
Gesteuerter Mordprozess gegen einen Kiewer Ultra

 

DERBY DER WEISSEN STÜHLE
Nach dem Istanbuler Platzsturm bleiben viele Fragen offen
http://ballesterer.at/heft/weitere-artikel/das-derby-der-weissen-stuehle.html

 

„WENN DU HIER BIST, DANN FÜR ARIS"
Fanrechte und rechte Fans in Griechenland

 

DER GLAUBE AN DIE O'NEILLS
Was Irland und Nordirland bald vereinen könnte

 

DIE SCHÖNE UND DAS SPIEL
Brasiliens größtes Amateurturnier samt Misswahl in Manaus

 

UNSERE MÄNNER IN HAVANNA
Die Kuba-Offensive des Bonner SC

 

DIKTATUR IM STADION
Der chilenische Militärputsch vor 40 Jahren
http://ballesterer.at/heft/weitere-artikel/diktatur-im-stadion.html

 

TOTTENHAM
Der Streit um „Yids" und Diskriminierung

 

PROFESSOR GASSLER
Rapid entdeckt die Demokratie
http://ballesterer.at/heft/kommentare/rueckschritt-als-fortschritt.html

 

TAKTIK TOTAL
Das körperlose Spiel

 

DR. PENNWIESERS NOTFALLAMBULANZ
Die Sportsucht

 

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus Deutschland, England und den Färöer
http://ballesterer.at/heft/groundhopping/b36-torshavn-vikingur-goeta.html