News-Archiv / 2013

ballesterer #88: Barcelona - Kicken, Kommerz & Katalonien

Seit über hundert Jahren sind die Stadien der beiden Großklubs von Barcelona Schauplätze des Ringens um die katalanische Identität. Eine Städtereise mit ungewissem Ziel. (Text: Klaus Federmair) .


Am letzten Heiligen Abend des 19. Jahrhunderts verließ die Mannschaft des Football Club Barcelona erstmals als Sieger den Fußballplatz. Dem mit etlichen englischen Geschäftsleuten gespickten Team stand eine von Einheimischen dominierte Mannschaft gegenüber, der heute weitgehend vergessene Catala Futbol Club. Etwa hundert Fans bejubelten zwei Treffer des Schweizer Buchhalters Hans Gamper, ein Tor steuerte der englische Unternehmerssohn Ernest Witty zum 3:1-Sieg bei. Gamper hatte den FC Barcelona einen Monat zuvor gegründet. In den folgenden vier Jahren erzielte er für den Verein in weniger als 50 Spielen über 100 Tore, zwischen 1908 und 1925 diente er in fünf Amtsperioden als Vereinspräsident.


Katalanische Ausländer
Der Aufstieg des FC Barcelona ging mit einem Aufschwung des katalanischen Nationalbewusstseins einher. Dass ein von Ausländern dominierter Verein mit englischem Namen immer mehr zum Identifikationsobjekt der katalanischen Seele werden konnte, lag nicht zuletzt an Hans Gamper. Er ließ an seinem Zugehörigkeitsgefühl nie Zweifel aufkommen, lernte Katalanisch und änderte seinen Vornamen in Joan.


Nur wenig jünger ist der andere große Verein Barcelonas: Am 28. Oktober 1900 gründete der Student Angel Rodriguez die Sociedad Espanola de Football, die nach einem Jahr in Club Espanol de Futbol umbenannt wurde. Espanol grenzte sich von Beginn an vom FC Barcelona ab. Der Verein stand zunächst nur Spaniern offen und nahm 1912 den Königstitel Real an. Zu diesem Zeitpunkt war die Krone aus Barcas Wappen schon wieder verschwunden, damals wie heute zierten es das Georgskreuz des Stadtpatrons Sant Jordi und die gelb-roten Streifen Kataloniens. Damit war ein Gegensatz etabliert, der sich über die Jahrzehnte verschärfen sollte: Auf der einen Seite das Barca der autonomie-hungrigen Katalanen, auf der anderen das Espanol der königstreuen Spanier.


Der Sportjournalist Jimmy Burns berichtet in seiner Klubgeschichte „Barca“ von gewalt-tätigen Auseinandersetzungen zwischen Spielern und Fans der beiden Vereine in der Saison 1909/10, die den Beginn zahlreicher Konflikte markierten: „Es wurde zur Seltenheit, dass ein Derby nicht von irgendeiner Kontroverse überschattet war.“ Während der Militärdiktatur unter Miguel Primo de Rivera in den 1920er Jahren waren die katalanischen Fahnen in Barcas neuem Stadion Les Corts ebenso verboten wie der Gebrauch der katalanischen Sprache. 1925 trug der FC Barcelona ein folgenschweres Freundschaftsspiel gegen ein englisches Team aus, das eine Musik-kapelle ins Stadion mitnahm. „Sie spielten die spanische Nationalhymne, sie haben es gut gemeint“, erzählt Emma Gamper dem Schweizer Radio und Fernsehen. „Aber die Katalanen pfiffen die Hymne aus. Das wurde als politische Demonstration und Opposition gewertet. Mein Großvater war der Präsident und wurde verantwortlich gemacht.“ Als Konsequenz verwies das Regime Gamper des Landes und sperrte das Stadion für ein halbes Jahr.


Der Sturz der Diktatur und die Errichtung der Zweiten Spanischen Republik gaben ab 1931 der Arbeiterbewegung und den katalanischen Autonomiebestrebungen deutlichen Aufwind. 1936 wurde Katalonien kurz zur Bastion des Anarchismus und der revolutionären Bewegung. Enteignungen und Kollektivierungen von Betrieben standen auf der Tagesordnung – auch im Fußball. Der FC Barcelona und Espanyol übergaben die Klubführung jeweils für kurze Zeit einem Arbeiterkomitee. Zu diesem Zeitpunkt formierten sich schon die Truppen von General Francisco Franco, der das Land in einen langen Bürgerkrieg stürzen sollte. 1937 entfloh Barcas Kampfmannschaft für mehrere Monate den Kriegswirren, tourte durch Mexiko und die USA. Ein Großteil der Spieler blieb im Exil.


Espanyol: Verein am Rand
113 Jahre und einen Tag nach der Vereinsgründung empfängt Espanyol den Malaga CF. Es sind nur wenige Espanyol-Fans im Regionalzug, der im Grenzgebiet der Vororte Cornella und El Prat Halt macht. Danach haben sie noch einen 15-minütigen Fußweg vor sich, ehe sie die Drehkreuze ihres Heimstadions passieren können. 40.500 Besucher haben in dem modernen, erst 2010 eröffneten Bau Platz, 16.000 sind an diesem Dienstag-abend gekommen. Obwohl die Fans auf alle Sektoren des Stadions verteilt sind, machen sie mehr Stimmung, als man bei einem spanischen Mittelständlerduell erwarten würde. „Puta Barca!“ tönt es zwischenzeitlich aus dem Fanblock, der sich mit der Schmähung des übermächtigen Rivalen auf das Derby einstimmt, das drei Tage später im Camp Nou stattfinden wird.


Auf Transparenten gratulieren Fans ihrem Verein zum 113. Geburtstag, und sogar El Mundo Deportivo, die Barca-treue Sporttageszeitung, widmet den Feierlichkeiten eine halbe Seite. Überschrift: „Wir sind Katalanen, wir müssen das nicht extra beanspruchen“. Mit diesen Worten zitiert die spanischsprachige Zeitung, deren Breitensport-regionalteil auf Katalanisch erscheint, Espanyols Präsidenten Joan Collet. Dass er sich rechtfertigen muss, zeigt, dass Espanyol immer noch vielen Katalanen als Repräsentant des spanischen Zentralstaats gilt. Der Name trägt viel dazu bei, obwohl er 1995 gemäß der katalanischen Schreibweise von „Espanol“ in „Espanyol“ umgewandelt wurde. Auch die Vereinshymne wird inzwischen auf Katalanisch gesungen. Zudem genießt Präsident Collet den Ruf, ein aufrechter Katalanist zu sein.


Nach dem Ende des Spiels gegen Malaga posieren drei glatzköpfige junge Männer auf der Tribüne mit einer Spanien-Fahne. Diese Provokation des offenbar rechtsextremen Grüppchens bleibt weitgehend unbemerkt. Viel auffälliger ist das Gelb-Rot der katalanischen Fahne, das in vielen Sektoren immer wieder zwischen den Klubfarben Blau und Weiß hervorblitzt.


Hierarchie der Sprachen
Auch im offiziellen Auftreten ist der Klub auf die Betonung des Katalanischen bei Duldung des Spanischen bedacht. Der Pressesprecher führt auf Katalanisch durch die Pressekonferenz. Mit Malaga-Trainer Bernd Schuster kommunizieren die Journalisten ganz selbstverständlich auf Spanisch. Javier Aguirre, Espanyols mexikanischer Trainer, versteht alle katalanischen Fragen und antwortet auf Spanisch. Das problemlose Nebeneinander der beiden Sprachen ist in Barcelona ebenso Alltag wie die demonstrative Pflege des Katalanischen. Peter Kuranda, der bei Espanyol im Marketing arbeitet, bestätigt die auch in seinem Klub herrschende Sprachhierarchie: „Kommuniziert wird auf Katalanisch, Spanisch, Englisch – und zwar in dieser Reihenfolge.“ Der mit einer Katalanin verheiratete Österreicher beherrscht alle drei Sprachen, seine zweijährige Tochter wächst vorerst mit Katalanisch und Deutsch auf.


Um den Überresten des historischen Gegensatzes zwischen dem spanischen Espanyol und dem katalanischen FC auf den Grund zu gehen, besuchen wir Jaume Sobreques i Callico. Der Geschichtsprofessor war zwischen 1993 und 2000 im Vorstand des FC Barcelona. 1994 veröffentlichte er die erste Auflage der sechsbändigen Geschichte des Klubs. Nach der Franco-Diktatur formulierte der damalige sozialistische Abgeordnete Ende der 1970er Jahre das katalanische Autonomiestatut mit. Sobreques empfängt uns in seinem Büro. Hinter seinem Sessel lehnt eine historische Karte Kataloniens, das Gespräch führen wir auf Spanisch. Der freundliche Mann winkt seinen Assistenten herbei, um uns Taschenbuchausgaben seiner in Gelb-Rot gehaltenen „Geschichte Kataloniens“ auf Deutsch, Englisch und Spanisch zu schenken. – „Oder hätten Sie gern Japanisch?“


„Kurioserweise war Espanyol ursprünglich in der katalanischen Gesellschaft viel stärker verwurzelt als der FC Barcelona“, sagt Sobreques. „Aber die beiden Klubs haben sich in verschiedene Richtungen entwickelt, und schon bald wurde Espanyol als Verein der spanischen Beamten gesehen.“ Derzeit, meint der Historiker, verhalte sich Espanyol in Bezug auf die katalanische Identität nicht anders als der FC Barcelona. Eine sozialwissenschaftliche Studie über die sozialen Hintegründe der Espanyol-Anhänger würde vermutlich einige Überraschungen zutage fördern, mutmaßt Sobreques.

Lesen Sie den gesamten Artikel in der aktuellen Printausgabe des ballesterer (Nr. 88, Jänner/Februar 2014). Ab 11. Dezember österreichweit in den Trafiken sowie im deutschen und Schweizer Bahnhofsbuchhandel!

 


Inhalte des ballesterer Nr. 88 (Jänner/Februar 2014) – seit 11. Dezember im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk 


SCHWERPUNKT: Barcelona
MEHR ALS EINE STADT
Barca, Espanyol und der Fußball Kataloniens 
KATALONIEN IM ZEITRAFFER Von der Römersiedlung bis zur Unabhängigkeitsbewegung
„DAS IST UNSER VERMÄCHTNIS“ Ex-Barca-Präsident Joan Laporta über Messis Glück und Kataloniens Freiheut 
ZU GAST BEI EUROPA Der kleine Klub von Barcelona
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