Ultras im Fokus

Für viele Fußballfans, Einsatzkräfte, Politiker und Medien sind Ultras nicht mehr als ein Haufen Radaubrüder, die mehr am Support als am Spiel ihrer Mannschaft interessiert sind. Stimmt nicht, sagt der deutsche Fanforscher Christoph Ruf, der in seinem Buc

 

kurvenrebellenDas Grünwalder Stadion in München war am vergangenen Samstag Schauplatz schwerer Randale. Rund 70 Fans des 1. FC Schweinfurt 05 sollen nach dem Regionalliga-Auswärtsspiel ihres Klubs beim FC Bayern München II auf dem Weg zurück zu den abgestellten Reisebussen ausgeschert sein, um den Mannschaftsbus der Bayern zu attackieren. Dabei haben sie laut Angaben der Exekutive die zur Sicherung errichtete Polizeikette massiv bedrängt und brutal attackiert, nur unter Einsatz von Schlagstöcken konnten die Einsatzkräfte die Angreifer zurückdrängen. Im weiteren Verlauf wurden die Polizisten aus der Menge heraus bespuckt, mit brennenden Zigaretten und Bierbechern beworfen und weiterhin geschlagen und getreten. Eine Schweinfurterin soll sogar ihren 9jährigen Sohn in die Polizeikette geschubst haben, um eine Verletzung zu provozieren und die Einsatzkräfte damit in ein schiefes Licht zu rücken.


Vor allem letzteres klingt unglaubwürdig, geht es nach Berichten der Schweinfurter Fans ist aber auch der Rest erstunken und erlogen. Die Behauptung eines Angriffs auf den Mannschaftsbus der Bayern sei völlig absurd, gibt der Schweinfurter Fanbeauftragte Dominik Gross im Internet-Magazin in-und-um-Schweinfurt.de zu Protokoll. Man habe den Bus vom Stadion aus überhaupt nicht gesehen, die Anhänger der Schweinfurter seien ihrerseits ohne Vorwarnung von den Einsatzkräften attackiert und geschlagen worden. Im Zuge der Auseinandersetzungen habe es dann zahlreiche Verletzte gegeben.


Wie so oft nach Konflikten zwischen Exekutive und Fußballfans steht hinterher Aussage gegen Aussage. Während die Fans in Medien und der öffentlichen Wahrnehmung aber kaum Gehör finden, nehmen viele Zeitungen Presseberichte der Polizei für bare Münze, die sie ohne weitere Recherchen abdrucken. Das liegt laut Christoph Ruf, Autor des Buches „Kurvenrebellen – die Ultras“ (Verlag Die Werkstatt, 2013) auch daran, dass sich Fußballfans ingesamt und Ultras im Speziellen gerne in ihre Opferrolle fügen und sie durch ihren Verzicht jeglicher Kommunikation mit Medien an so mancher negativer Schlagzeile selbst (mit)schuld seien.


Wer nach diesen Aussagen eine Abrechnung mit Ultras erwartet, wird allerdings enttäuscht. Christoph Ruf beleuchtet vielmehr in zahlreichen Fallbeispielen (u.a. kommen Mitglieder der Ultras Nürnberg, der Schickeria München, der Horidos Fürth, der Coloniacs, der Kohorte Duisburg, des Commando Cannstatt, der Aachen Ultras, der Ultras Essen und Ultras des Karlsruher SC und von Borussia Dortmund zu Wort) das Spannungsverhältnis zwischen den Fangruppierungen auf der einen sowie Ordnern, Einsatzkräften und oft auch Vereinsoffiziellen auf der anderen Seite. Da ist von brutalen Polizeiübergriffen wie in München die Rede, von sinnlosen Schikanen, denen sich die Ultras ausgesetzt sehen, aber auch vom politischen Selbstverständnis der Ultras, ihren Konflikten mit Hooligans und rechten Szenen, ihrem Kampf gegen Rassismus und Intoleranz sowie ihrer Ignoranz und tiefgehenden Abneigung gegenüber der Polizei.


All das liest sich auf den knapp 200 Seiten kurzweilig und vor allem informativ. Das 11Freunde-Magazin sieht deshalb darin „ein wichtiges Buch das in ‚Knüppel-aus-dem-Sack-Zeiten’ nicht nur von Szenekennern und Hardcore-Fans gelesen werden sollte.“ Auch wenn die deutschen Verhältnisse nicht 1:1 auf die heimischen Kurven umgelegt werden können, wollen wir uns dieser Meinung vollinhaltlich anschließen. Zwar wird man wohl auch nach getaner Lektüre keine Mitgliedschaft bei der Ultrasgruppierung seines Vertrauens beantragen, in jedem Fall bekommen Leser aber mehr Verständnis für die Sichtweisen und Handlungen von Ultras und deren Verständnis von Fankultur. Und auch dafür, dass Polizeiberichte durchaus der Wahrheit entsprechen können, aber das nicht zwingend müssen.

 

Kurvenrebellen
Die Ultras - Einblicke in eine widersprüchliche Szene

208 Seiten
ISBN: 978-3-7307-0044-0

2. Auflage 2013

Erschienen im Verlag die Werkstatt