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Russkij Futbol - Blick hinter die Kulissen

In „Russkij Futbol – ein Lesebuch“ tauchen 16 Autoren fern von Fußball-Weltmeisterschaft und Fifa-Korruption in die wechselvolle Geschichte des russisch-sowjetischen Fußballs ein.

Gelesen von Jürgen Zacharias

 

Bis am 14. Juni mit dem Spiel Russland gegen Saudi-Arabien im Moskauer Luschniki-Stadion die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 beginnt, wird der Fußballfan mit Wissenswertem und Anekdoten zu den Mannschaften und Stars des Turniers überladen. In unzähligen Sonderheften und TV-Berichten wird bis dahin der Fitnesszustand von Neymar zerpflückt werden. Experten und solche, die sich dafür halten, werden die taktische Ausrichtung der Teams kritisieren, analysieren und in den Himmel loben. Die Kaderzusammenstellung der Teams ist bis hin zum zweiten Ersatzgoalie und dem dritten Physiotherapeuten ermüdendes Thema und natürlich kommt kein ernstzunehmendes Special ohne einen Blick auf den Menüplan der Stars und deren bessere Hälften aus.

 

 

So weit, so bekannt. Was Fußballfan mit Ankick um 17.00 Uhr vermutlich verpasst haben wird, ist ein Blick auf die Geschichte des russisch-sowjetischen Fußballs abseits von Fifa und Millionenshow. Wo hat der Sichel-und-Hammer-Kick seine Wurzeln? Wer waren die Stars und Wegbereiter des nationalen Fußballs? Welche großen Triumpfe und Tragödien prägten die Geschichte der „Sbornaja“? Und wieso gehörte die Nationalmannschaft des größten Landes der Welt in der Vergangenheit nur bedingt zur globalen Elite?

 

Die 16 Autoren von „Russkij Futbol – ein Lesebuch“ geben Antworten auf diese Fragen und beleuchten in je einem Kapitel unterschiedliche Episoden des russisch-sowjetischen Fußballs. Krachende Niederlagen wie das 0:16 Russlands bei den Olympischen Spielen 1912 gegen Deutschland (allein ein gewisser Gottfried Fuchs erzielte damals zehn Tore – in seinen insgesamt sechs Länderspielen scorte der geborene Karlsruher weltrekordverdächtige 13 Mal!) thematisieren sie dabei ebenso wie den Einfluss des russischen Geheimdiensts auf die aufsehenerregenden Wechsel von Stürmerstar Sergei Salnikow von Spartak zu Dinamo und wieder zurück zu Spartak Moskau in den 1950er-Jahren. Thema ist aber auch die fragwürdige Vergabe des globalen Großereignisses an Putins Russland – ganz ohne Weltmeisterschaft kommt also auch dieses Werk nicht aus.

 

Dabei lassen es die Autoren nie an inhaltlicher Tiefe vermissen, trotzdem gehen auch wenig Russland-affine Leser im Buch nicht verloren. Den wichtigsten Wegbereitern des russischen Kicks von Georgi Duperron über Lew Jaschin bis Andrei Arschwin sind abseits der 16 Kapitel Kurzbiografien gewidmet und inhaltlich wechselt Bekannteres mit eher Unbekanntem. Hat man vom Showkick der Spartak Moskau-Spieler vor den Augen Stalins am Roten Platz im Jahr 1936 schon einmal gehört, beschreitet Jörg Ganzenmüller im Kapitel „Blockadespiele“ eher neues Terrain. Der deutsche Historiker berichtet von den Fußballspielen im 1942 von der deutschen Wehrmacht belagerten und beinahe völlig ausgehungerten Leningrad. In der in der Zwischenzeit in St. Petersburg umbenannten Stadt hätte damals wohl niemand gedacht, dass 76 Jahre später gleich sechs WM-Spiele vor Ort über die Bühne gehen werden. Den Auftakt machen am 15. Juni Marokko und der Iran – aber das wissen Sie dank der umfangreichen WM-Vorberichterstattung sicherlich bereits.

 

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