Wenig Überraschung, schwer zu bespielen

Siegen oder fliegen – so einfach ist das heute Abend. "Einfach", sagt Oliver Lederer in seiner Analyse, "ist auch die Taktik von Island, aber schwer zu bespielen." Gegen Portugal gewonnene Erkenntnisse können helfen. Von Oliver Lederer & Georg Sander

 

Es war nicht alles schlecht, was das heimische Nationalteam bislang in Frankreich geboten hat. Aber es ist auch viel in die Hose gegangen. Ein 0:0 gegen Portugal, das ist grundsätzlich eher etwas, was Grund zur Freude bereitet, auch wenn man sich kaum aufregen hätte dürfen, hätten Cristiano Ronaldo und Co. Österreich am Samstag mit einer Packung – und das nächste Verb gilt im besten Wortsinne – heimgeschickt. Wer das Spiel gesehen sagt, könnte meinen, es handelte sich um nichts als pures Glück. Stimmt das, Herr Lederer? „Pures Glück war es nicht, es gab auch Situationen, in denen die Führung möglich gewesen wäre.“ Insgesamt sei es jedoch ein 0:0 „der glücklicheren Sorte“ gewesen. Österreich habe unfassbare Moral bewiesen, ein Asset, das auch heute Abend schlagend werden wird.

 

Oliver Lederer analysiert für 90minuten.at die Gegner Österreichs

 

„Manchmal“, so Lederer weiter, „sind es eben banale Dinge, die den Erfolg bringen, in dem Fall die Moral. Bei einer EM-Endrunde oder in einem KO-Duell ist es auch egal, wie der Sieg errungen wurde.“ Mühte sich Deutschland nicht auch bei der WM 2014 nach einem furiosen 4:0 gegen Portugal zu einem 2:2 gegen Ghana, einem 1:0 gegen die USA und musste gegen Algerien im Achtelfinale gar in die Verlängerung, ehe es das famose 7:1 gegen Brasilien gab? Österreich ist keinesfalls Deutschland, aber das Beispiel zeigt, dass es nicht immer das schöne Spiel sein muss, das zum Erfolg führt und auch Weltmeister schlecht spielen können und trotzdem erfolgreich sind.

 

„So eine Umstellung ist auch eine große Herausforderung“, fährt der Admira-Trainer fort. Österreich spielte gegen Portugal ultradefensiv, etwas, was man in der Form jahrelang nicht getan hatte. „Das war für mich und wohl auch den Gegner überraschend. Es wurde wohl so trainiert, Portugal hat diese Spielart auch aufgezwungen. Die haben das auch gut gemacht, sind angelaufen, haben aber mit einer tollen Verteidigung Harnik und Co. wenig Raum zum Kontern gelassen.“ Etwas, was gegen Island wohl auch auf Österreich zukommen wird.

 

Taktische Grundordnung
Island birgt kaum Überraschungen. Lars Lagerbäck vertraut auf ein 4-4-2. "Die Stürmer sind gut aufeinander abgestimmt und sehr laufstark. Sie wissen wann der eine wohin gehen muss", beschreibt Oliver Lederer. Im Mittelfeld gibt es eine Kette, ein zentraler Mittelfeldspieler agiert aggressiver als der andere. Die stärkere Seite ist die linke, dort können die Isländer gut kombinieren und so schnell nach vorne kommen. Die Nordländer bauen das Spiel also eher nicht über die Mitte auf.

 

Die Stärken liegen auch aufgrund der Spielergröße definitiv bei Standards, sowohl hinten als auch vorne. Ansonsten ist es laut Lederer eben die linke Seite, die definitiv stärker als die rechte ist, wenn es nach vorne geht. Das passt dann auch aus isländischer Sicht auf die im Vergleich zu links schwächere rechte heimische Seite.

 

Outeinwurf, Kopfballverlängerung, zwei Spieler hechten Richtung Ball –solche Szenen können die Isländer und es gilt, sie zu vermeiden.

 


Was kann Österreich tun?
Mit Island hat man einen Gegner, der die Mittelfeldzentrale eher dem Gegner überlässt und die zwei Viererketten ab und an etwas weiter auseinander zieht; es gäbe durchaus Raum für ein Kombinieren zwischen die Linien. Der eine Mittelfeldspieler rückt aggressiv raus, der zweite Zentrale verschläft da manchmal einen Moment. Standards im letzten Abwehrdrittel sind zu vermeiden, weil Island das kann. Alles bekannt und doch nicht leicht zu bespielen.

 

Szene aus dem Spiel gegen Portugal. Ein Mittelfeldspieler ist herausgerückt, Portugal hat zwei ballnahe Spieler zwischen den Viererketten der Isländer.

 

Für Oliver Lederer stellt sich eine Grundsatzfrage, wenn es ums Risikonehmen geht. Denn gewinnen muss man: Also Brechstange oder spielerisch lösen. "Wir brauchen eine offensivere Ausrichtung", stellt Lederer klar, "Spielerische Typen bergen die Gefahr, dass man bei Standards vorne wie hinten maximal die zwei Innenverteidiger hat." Das wäre die ultraspielerische Variante, mit Schöpf auf der 10, Alaba dahinter und vorne gar Sabitzer/Harnik. Der Gegenentwurf wäre Ilsanker und Janko. Das sind Maximalvarianten, die Wahrheit wird wohl dazwischen liegen: "Ich beneide den Teamchef und das Trainerteam darum, sich diese Gedanken zu machen.

 

Personalfragen
Trotz Nibelungentreue zu seiner Stammmannschaft wich Koller gegen Portugal davon ab - zum Teil gezwungen, zum Teil freiwillig. Darum darf nun auch wieder spekuliert werden, was sein wird. "Die Alaba-Frage ist in den Medien dominant", stellt er klar, "er ist einer der besten drei Linksverteidiger weltweit, zentral ist er "nur" richtig gut. Links hinten haben wir aber den Verteidiger des Premier League-Siegers. Es ist nicht immer alles nur ja und nein oder gut und schlecht." Alaba gehe viele Wege, versuche viel. Gegen Portugal gelang wenig. Ähnliche Überlegungen können für Janko gelten. Und dann wäre da noch Junuzovic.

 

„Wenn Juno irgendwie kann, wird er entscheiden, ob er spielen kann", vermutet Lederer, "stimmen alle zu, dann lässt der Teamchef ihn spielen. Er ist nun einmal ein essentieller Spieler für Nationalmannschaft. Wir haben dennoch ein Luxusproblem: wenn Juno spielt, wäre es super, wenn nicht, dann Schöpf, der ist ein richtig geiler Spieler." Man darf hier also gespannt sein,

 

Fazit
"Island ist nicht schwer zu analysieren, man weiß was kommt, aber sie sind schwieirg zu bespielen", schließt Oliver Lederer. Mit dem moralischen "Sieg" gegen Portugal im Rücken wäre ein Sieg drinnen. Und wenn er irgendwie ernudelt ist, gibt es auch drei Punkte.

 


Was am Stammtisch über Island gewusst werden sollte
Bisher konnte sich Island für kein Fußballgroßereignis qualifizieren. Nicht einmal den Autoren des Wikipedia-Eintrags ist mehr eingefallen, als eine Einwechslung von Sohn für Vater im Jahre 1996 und Rudi Völlers Ausraster 2000 nach einem 0:0 des von ihm betreuten deutschen Nationalteams gegen Island; allerdings jener ohne Weißbier. Das war's.

 

Also nicht ganz. Islands Nationalteam war jahrzehntelang weit ab vom Schuss, bis man sich entschloss, einfach zu investieren. Klar gab es auch früher bekannte Spieler, wie Asgeir Sigurvinsson, der Anfang der in den 80ern für Bayern und Stuttgart spielte, oder Atli Edvaldsson, der im selben Zeitraum in Deutschland für unter anderem Dortmund und Fortuna Düsseldorf kickte. Und freilich Eidur Gudjohnsen, der für Chelsea, Barca und noch eine Reihe weiterer guter Adressen im europäischen Klubfußball die Schuhe schnürte.

 

Nun steht man aber auf breiter Basis. Viele spielen naheliegenderweise in Norwegen oder Schweden, Dänemark. Auch Championship ist noch keine große Hirnwindung wert. Mit Kolbeinn Sightorsson von Nantes, Alfred Finnbogason von Augsburg oder Gylfi Sigurdsson von Swansea sind einige Kicker aus den besten Ligen Europas dabei und auch Jankos Kollege Birkir Bjarnason von Basel und Neo-Rapidler Arnor Traustason. Trainer ist Lars Lagerbäck, der 2011 antrat und damals auch für Österreich in Frage gekommen war. Nachdem man 2014 noch in der Barrage scheirtete, schaffte man trotz namhafter Gegnerschaft wie der Türkei oder den Niederlanden die direkte Qualifikation für die EM. Das allein sollte Visitenkarte genug sein für das Spiel gegen Österreich.