Ganz anders als vor vier Jahren

Frankreichs letztes Gruppenspiel gegen Ecuador geriet zur Makulatur. Didier Deschamps ließ rotieren und gab sich nach dem 0:0 betont nüchtern. Die Euphorie der französischen Fans will er aber nicht bremsen. Von Reinhard Krennhuber aus Rio de Janeiro

 

Die Sicherheitskräfte vor dem Maracana hatten wohl mit einem ruhigeren Arbeitstag gerechnet. Schließlich waren es nicht die Chilenen oder die Argentinier, die an diesem Nachmittag in Rio gastierten, sondern lediglich Franzosen und Ecuadorianer. Von letzteren ging wenig Unruhe aus, die Franzosen machten in den Bars rund um das Stadion aber mächtig Betrieb. Friedlich, aber sehr ausgelassen und in erstaunlich großer Anzahl trieben sie den Polizisten, die in der Sperrzone eine Gasse für immer wieder durchfahrende Einsatzfahrzeuge freihalten mussten, die Schweißperlen ins Gesicht.

 

Frankreichs Nationalteam hat wieder an Popularität gewonnen – das ist an diesen Szenen vor dem letzten Gruppenspiel deutlich abzulesen. In vielen Händen und auf vielen Wangen findet sich die französische Fahne, und den Gesängen kann man die Intensität nicht absprechen. Mit den Gründen für die neugewonnene Euphorie halten die Fans der Equipe Tricolore auch nicht hinter dem Berg. „Wir haben einen ausgezeichneten Trainer. Blanc war schon ein Fortschritt zu Domenech und Deschamps finde ich noch besser", sagt Martin aus Paris. „Außerdem ist es gut, dass komplizierte Spieler wie Anelka oder Nasri nicht mehr in der Nationalmannschaft spielen."

 


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Nicolas Anelka war es gewesen, der bei der WM 2010 in Südafrika den Konflikt zwischen Trainer Raymond Domenech, einigen Spielern und der Verbandsspitze auslöste, der als „Fiasko von Knysna" in die französische Sportgeschichte einging. Als Konsequenz wurden neben Anelka unter anderem auch Patrice Evra und der in Brasilien verletzungsbedingt zum Zuschauen verurteilte Franck Ribery zwischenzeitlich suspendiert. Doch an diesen Fall denkt an diesem Mittwochnachmittag in Rio niemand mehr – auch nicht Maurice aus Bordeaux. „Es ist alles ganz anders als vor vier Jahren", sagt der Girondins-Fan. „Das Team ist eine Einheit. Und es hat beim 3:0-Erfolg über die Ukraine gesehen, dass es auch in schweren Spielen bestehen kann."

 

Der hart erkämpfte Aufstieg in der WM-Barrage gilt als Schlüsselmoment einer neuen Nationalelf, der man nicht nur in Frankreich Großes zutraut. 0:2 hatten die Franzosen das Hinspiel in Kiew verloren, vor dem Retourmatch waren die Hoffnungen von Fans und Medien auf dem Tiefpunkt. Doch dann passierte etwas Außergewöhnliches, wie Pascal Duvernet-Coppola vom französischen Fußballmagazin „So Foot" meint: „Das Stade de France ist nicht unbedingt als Hexenkessel bekannt. Bei diesem Match sind die aber Fans voll hinter der Mannschaft gestanden und haben 90 Minuten lang gesungen und sie nach vorne gepeitscht." Nach zwei Toren von Mamadou Sakho und einem von Karim Benzema war die WM-Qualifikation geschafft. „Und so etwas schweißt natürlich zusammen", sagt Duvernet-Coppola.

 

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Im Match gegen Ecuador im Maracana ist von der Aufbruchsstimmung jedoch wenig zu spüren. Frankreichs Teamchef Didier Deschamps lässt nach den klaren Erfolgen gegen Honduras und die Schweiz eine bessere B-Elf auflaufen, in der unerfahrene Spieler wie Morgan Schneiderlin und Lucas Digne zum Einsatz kommen, während Fixgrößen wie Mathieu Valbuena, Olivier Giroud und Patrice Evra zumindest vorerst auf der Bank Platz nehmen. Die Franzosen sind gegen den Vierten der Südamerika-Quali zwar die bessere Mannschaft und kommen zu zahlreichen Chancen, am Ende reicht es aber trotz 40-minütiger Überzahl nur zu einem 0:0.

 

Trotz des mageren Resultats und der enden wollenden Aussagekraft des Spiels will sich Deschamps den souveränen Aufstieg ins Achtelfinale, in dem Nigeria wartet, nicht madig machen lassen. „Wir hatten unglaublich viele Chancen, leider haben wir sie ausgelassen. Aber das ändert nichts an unserem Gruppensieg und den guten Leistungen, die mich mit großer Genugtuung erfüllen", sagt der Teamchef in der Pressekonferenz nach dem Spiel. Deschamps wirkt dabei nüchtern und ist kurz angebunden. Während des 15-minütigen Frage-Antwort-Spiels kommt ihm nur ein kleiner Scherz über die Lippen. Auf die Frage, was die jetzige Generation von der Weltmeistermannschaft von 1998 unterscheide, in der er selbst das defensive Mittelfeld beackerte, meint er zuerst nur: „Naja, wir waren besser." Um sich gleich darauf mit dem Verweis auf die zu lange Zeit, die dazwischen liege, selbst in die Schranken zu weisen.

 

Die PK wird zu einem typischen Deschamps-Auftritt, denn der ehemalige Juventus- und Marseille-Coach ist kein Mann der Show oder der großen Worte. Dafür hat er in den Augen der französischen Öffentlichkeit etwas verinnerlicht, dass das mehr als wettmacht: eine Siegermentalität. Den Fans, die vor dem Match nicht nur französische Fahnen, sondern auch WM-Pokale geschwungen hatten, will er die Euphorie deshalb auch nicht verleiden. „Ich bin nicht hier, um die Leute zu beruhigen. Wenn sie träumen wollen, ist das nicht mein Problem", sagt der Teamchef. „Lasst sie ruhig feiern. Die Spieler brauchen diese Unterstützung um weiterhin so gute Leistungen zu bringen."