Martin Scherb zum 2:0 der Schweden gegen Frankreich: ‚Superstars auf dem Egotrip zerstören die Einheit'
Martin Scherb gibt anhand einiger Situatioen im Spiel Schweden gegen Frankreich interessante Einblicke in den Umgang mit Starspielern, taktische Variabilität und Vorgänge im Spiel, wie etwa das Einwechseln eines Routiniers. Ibrahimovic – ja oder nein?
Martin Scherb gibt anhand einiger Situatioen im Spiel Schweden gegen Frankreich interessante Einblicke in den Umgang mit Starspielern, taktische Variabilität und Vorgänge im Spiel, wie etwa das Einwechseln eines Routiniers.
Ibrahimovic – ja oder nein?
Dass ein Superstar nicht immer ein Segen für ein Team ist, wenn das Spiel auf ihn ausgerichtet ist, war bei den Schweden in den ersten beiden Spielen ersichtlich: „Diese Entscheidung pro oder kontra extravaganter Spieler kann nur der jeweilige Trainer bzw. das Trainerteam treffen. Diese Ibrahimovics oder Ronaldos sind ja auch die Kapitäne ihrer Teams und das wird man nicht durch die Anzahl der Presseartikel in den Glamourschlagzeilen, sondern durch Leistung und durch den Status im Team entscheiden." In der Partie gegen Frankreich legitimierte der AC Milan-Akteur nicht nur durch sein Tor einen Einsatz. „Jeder Trainer muss abwägen, wie der Nutzen des Spielers für seine Mannschaft ist und wie groß ein etwaiger 'Schaden' durch Egotrips wäre. Ich glaube, dass ein Superstar in der Mannschaft nicht schadet. Er gibt den anderen Spielern auch eine Art Deckung, durch die sie ihren Job etwas ruhiger angehen können", beurteilt Scherb in diesem Fall die Aufstellung als richtig.
"Superstars auf Egotrip zerstören die Einheit und die Fokussierung auf ein gemeinsames Ziel"
Auch die Franzosen verfügen über viele tolle Einzelspieler: „Mehrere Superstars, die sich auf einem Egotrip befinden, zerstören die Einheit und die absolut notwendige Fokussierung auf ein gemeinsames Ziel." Diesmal wirkte die Grande Nation noch dazu etwas müde, im Gegensatz dazu machten es zuvor Deutschland und Spanien besser. „Sie wirken nach außen unglaublich homogen und auf das Wesentliche konzentriert. Neben der sportlichen Qualität ist diese gesunde und ausgewogene Struktur einer Mannschaft ein Erfolgsfaktor. Deshalb sind diese beiden Teams auch für mich die großen Favoriten", gibt er schon einmal einen Ausblick auf das Viertelfinale zwischen Spanien und Frankreich.
Laurent Blancs Umstellungen
Der Teamchef Frankreichs stellte sein Team im letzten Gruppenspiel anders ein als sonst. Große Probleme sollten verschiedene Systeme und Ausrichtungen nicht machen, denn „ich denke, dass es für Mannschaften auf diesem Niveau kein Problem ist, auf Kommando auf zwei oder drei verschiedene System umzuschalten." Dass es gegen die beherzt auftretenden Schweden nicht so klappte, könnte aber trotzdem am Training liegen. „Die Vorarbeit wird beim Taktiktraining in Theorie und Praxis gelegt und dann ist es eine Entscheidung des Trainers, rechtzeitig auf eine geänderte Spielsituation zu reagieren."
Reaktionen auf Spielsituationen an der Linie
37. Minute: Foul an Nasri, der Schiedsrichter ließ weiterspielen, obwohl der Edelkicker offensichtlich zumindest kurzfristig behandelt werden musste. Martin Scherb sieht solche Situationen nicht so eng: „Wie immer bei strittigen Entscheidungen, fühlt man sich subjektiv benachteiligt, andererseits sah man auch schon viele Situationen, in denen man dachte, der Spieler ist schwer verletzt und läuft aber nach einer Minute wieder komplett rund und wollte nur den Angriff unterbrechen oder auf Zeit spielen." Die Auswechslung Malouda für Ben Afra in der 59. Minute - also mehr Routine - hätte der St. Pölten-Trainer auch so getroffen: „Gerade bei diesem Spielstand sehr wichtig. Das sind Spieler, die schon viel erlebt und gesehen haben. Solche Spieler sind extrem wichtig, sie bringen durch ihre überlegte Art Ruhe hinein."
Spielstand verraten oder nicht?
Durch das 1:0 von Wayne Rooney kurz nach Wiederanpfiff hätten die Ukrainer noch zwei Tore gebraucht, um an Frankreich vorbeizuziehen. Scherb hält es für wichtig, solche Situationen schon vorab zu besprechen: „Ich hätte in solchen Situationen vor dem Spiel mit der Mannschaft die möglichen Szenarien und die Konsequenzen für unsere Spielanlage durch besprochen und dann mit dem Kapitän die entsprechende Kommunikation gemacht." Diese Vorgaben würden im Spiel umgesetzt, denn „der Kapitän weiß dann, dass bei diesem Spielstand nicht letztes Risiko gegangen werden muss, sondern ruhig weitergespielt werden kann."
Erkenntnisse aus dem schwedischen Auftritt für die WM-Quali
„Schweden ist ein kompaktes, mental starkes Team mit einer klaren Grundordnung, die aber in manchen Situationen unflexibel wirkt", so Scherb, „in diesen Momenten werden unsere Möglichkeiten liegen, mit der einen oder anderen taktischen Variante zum Erfolg zu kommen." Es werde ein Duell auf Augenhöhe: „Ich erwarte bei einer kontinuierlichen Fortsetzung der Mannschaftsentwicklung zwei Duelle, die dann durch Cleverness, taktische Finessen und natürlich auch durch eine Portion Spielglück entschieden werden."
Martin Scherb ist Trainer des SKN St. Pölten und analysiert exklusiv auf 90minuten.at ausgewählte EM-Spiele. Dabei nimmt er Stellung zur Taktik, strittigen Szenen und bewertet die Spiele aus der Sicht eines Fußballtrainers.
.