Martin Scherb zum 1:0-Erfolg Portugals gegen Tschechien: ‚Aus meiner Sicht war es klar, dass dieses Tor fallen wird'
90minuten.at-EM-Experte Martin Scherb hat auch gestern wieder ganz genau hingeschaut. In seiner Analyse erklärt er, warum Tschechien wenig nach vorne zeigen konnte, Cristiano Ronaldo nicht zu halten war und Portugal trotzdem im Halbfinale ausscheiden wird
90minuten.at-EM-Experte Martin Scherb hat auch gestern wieder ganz genau hingeschaut. In seiner Analyse erklärt er, warum Tschechien wenig nach vorne zeigen konnte, Cristiano Ronaldo nicht zu halten war und Portugal trotzdem im Halbfinale ausscheiden wird.
Nervöse Anfangsphase
Martin Scherb ortete viel Unordnung zu Beginn des Spiels: „Die Anfangsphase war von Nervosität geprägt, dazu stand der Sicherheitsgedanke im Vordergrund." Das war zwar nicht sonderlich attraktiv, aber eine nicht unwichtige Sache in einem KO-Spiel. „Beide Teams versuchten zu Beginn eben erst einmal, den defensiven Spielplan auf dem Rasen zu finden, umzusetzen und dadurch Sicherheit und Stabilität zu gewinnen." Zunächst schien es so, als ob die Tschechen „vor allem über Jiracek, den ich aktiver gesehen habe" besser ins Spiel kommen würden.
Defensivtaktik und Konter funktionierten nicht
„Die Tschechen versuchten zu Beginn, Ronaldo zu doppeln. Defensiv war er durch Meireles meistens auch gut abgesichert", erklärt Scherb den Umstand, warum Tschechien nach vorne so wenig zeigen konnte. Die Defensivarbeit verbrauchte viel Personal. Ein weiterer Faktor war Milan Baros, der „seinen Zenit bereits überschritten hat. Tschechien war in diesem Turnier generell vor allem im Offensivspiel limitiert." Dazu kam dann einerseits zu wenig Entschlossenheit im ersten Durchgang: „Das Spiel war aus meiner Sicht für die Tschechen nur in der ersten Halbzeit zu gewinnen, als sie zwei gute Halbchancen vorfanden". Andererseits „konnten sie auch aufgrund offensichtlicher körperlicher Defizite dann nicht mehr zulegen bzw. reagieren." Am Ende hatte Portugal-Schlussmann Rui Patricio nicht einen einzigen Schuss zu halten gehabt.
Cristiano Ronaldo
„Er brauchte einige Zeit um mental im Spiel anzukommen. Dann war der flexible Ronaldo offensiv überall zu finden", so der St. Pölten-Coach. Allgemein wurden die Portugiesen „dann immer initiativer. Als Cristiano Ronaldo dann auch mehr in die Mitte zog, da die Seite meist zu war, kam er mit Tempo in die freien Räume und prägte das Offensivspiel seiner Mannschaft." Die quasi-Manndeckung durch Gebre Selassie funktionierte demnach nicht mehr ganz so gut. In der 45. und der 50. Minute verhinderte nur die Stange einen Treffer, auch Petr Cech musste oft eingreifen. Zu dem Superstar dazu kamen spätestens ab dem Ende der ersten Halbzeit noch zwei weitere wichtige Faktoren: „Nani, der die Außenposition an der Linie hielt, ging immer wieder in eins-gegen-eins Situationen. Mit Almeida hatten die Portugiesen später einen robusten Stürmer, der ein bis zwei Verteidiger im Zentrum binden konnte." Hugo Almeida war in der 40. Minute für den verletzten Helder Postiga gekommen.
Eine Frage der Zeit
Es war letztlich wohl für alle ersichtlich, dass die Portugiesen gewinnen würden. 57 Prozent Ballbesitz, 20 zu fünf Torschüsse und die optische Feldüberlegenheit sprachen eine deutliche Sprache: „Aus meiner Sicht war es klar, dass dieses Tor fallen wird. Wäre es nicht in den 90 Minuten gefallen, dann hätten die Portugiesen in der Verlängerung getroffen, Die Tschechen wollten sich nur mehr in die Verlängerung schleppen." Das Tor in der 79. Minute war dann auch ein Ergebnis der Müdigkeit und mangelnder Konzentration: „Die Flanke wäre vielleicht mit aggressiverem Verteidigen zu verhindern gewesen. Dann ging Almeida entgegen, zog dadurch den einen Innenverteidiger mit und schaffte Raum für Ronaldo, der aus dem Rückraum ein blitzsauberes Tor erzielte."
Portugal dennoch nicht Titel-reif
Den ganz großen Wurf traut Scherb der Nationalmannschaft aus dem Westen der iberischen Halbinsel dennoch nicht zu. „Sie haben sich gesteigert, vor allem das Offensivspiel wirkte sehr flexibel", findet er trotzdem lobende Worte. Allerdings sei „das Semifinale ein Erfolg. Für mehr wird es nicht reichen, dazu wirkt die Verteidigung vor allem in den eins-gegen-eins Situationen, die nach schnellen Angriffen erfolgen, behäbig und steif. Portugal wird zufrieden nach Hause fahren."
Martin Scherb ist Trainer des SKN St. Pölten und analysiert exklusiv auf 90minuten.at ausgewählte EM-Spiele. Dabei nimmt er Stellung zur Taktik, strittigen Szenen und bewertet die Spiele aus der Sicht eines Fußballtrainers.
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