Matchanalyse mit Philipp Lahm und Thomas Müller: Zwischen Realitätsverweigerung und 'Mia san mia'
Zum Teil widersprüchliche Aussagen machten die zwei Bayern-Kicker nach dem Spiel. Philipp Lahm war überrascht vom Pressing, Thomas Müller nicht. 90minuten.at präsentiert eine Spielanalyse mit Aussagen zweier Charaktere, die über das 2:1 der Deutschen aus
Zum Teil widersprüchliche Aussagen machten die zwei Bayern-Kicker nach dem Spiel. Philipp Lahm war überrascht vom Pressing, Thomas Müller nicht. 90minuten.at präsentiert eine Spielanalyse mit Aussagen zweier Charaktere, die über das 2:1 der Deutschen aus erster Hand berichten können.
Aus dem Ernst Happel-Stadion berichtet Georg Sander
Während Marko Arnautovic wie ein Häufchen Elend durch die Katakomben des Praterstadions schlich, liefen Mario Götze und Marco Reus schnellen Schrittes Richtung DFB-Teambus. Österreich hat Deutschland gefordert, hat sie zumindest an den Rand eines Punkteverlustes gebracht. Die „Bundesligaauswahl" in Rot-Weiß-Rot setzte dem Lieblingsnachbarn mehr zu, als es diesen lieb war – vielleicht wollte Reus deshalb nicht so viel sagen. Philipp Lahm und Thomas Müller stellten sich aber den kritischen Fragen der Journalisten. Das eben Geschehene wurde aber unterschiedlich verarbeitet.
„Die ersten 20 Minuten haben wir für das Pressing der Österreicher keine Lösung gefunden. Wir sind nicht davon ausgegangen, dass sie so früh Pressing spielen und normal können wir auch gegen Pressing hinten raus spielen, das ist uns in den ersten 20 Minuten überhaupt nicht gelungen" – Philipp Lahm
„Die ersten zehn Minuten hat man schon gemerkt, dass die etwas Druck machen wollten und uns überraschen, wir hatten den Hummels-Fehlpass, der eine Riesentorchance ermöglicht hat." – Thomas Müller
Interessante Aussagen nach diesem Spiel. Man sich nun die Frage stellen, wie sehr Joachim Löw sein Team auf das Auswärtsspiel in Wien vorbereitet hat. Immerhin spielt „unser" Nationalteam nicht erst seit gestern Pressing, sondern im Grunde genommen seit dem Beginn der Ära Marcel Koller. Welches Standing dieses Spiel im Lande des Gegners haben würde, hätten die beiden Münchner auch bei Teamkollegen David Alaba nachfragen können – das hätte auch die Extraportion Motivation erklärt, die Lahm so überraschte. Ganz von der Hand weisen konnte auch Müller nicht, dass er von der Intensität des Gegners übertölpelt war.
„Wir haben schlecht hinten raus gespielt plus eine schlechte Raumaufteilung gehabt – dann wird es auch gegen eine Mannschaft aus Österreich schwer." – Philipp Lahm
„Ich bin glücklich über das 2:1 aber ich denke es gibt genügend Dinge, die man ansprechen muss. Wir hatten viele leichte Fehler im Spielaufbau, die Österreich eingeladen haben." – Thomas Müller
Der Druck auf Deutschland ist zwar immer groß, das Forechecking von Fuchs und Co. war giftig, aber dennoch verschenkten die Deutschen unerwartet und unnötig viele Bälle. Vor allem Veli Kavlak und Julian Baumgartlinger stopften Löcher, mitunter noch bevor diese entstanden. Dass die Innenverteidiger den Ball hin und her schieben mussten und ungewohnt oft einen hohen Pass nach vorne schlagen mussten lag aber nicht nur an schlechten Raumaufteilung oder leichten Fehlern im Spielaufbau. Das ÖFB-Team war stark genug, um dem deutschen Spiel phasenweise den Zahn zu ziehen.
„Dass wir nach dem 2:0 sofort das 2:1 bekommen haben, dass man da unter Druck gerät ist normal gegen einen Gegner, der eigentlich schon am Boden lag. Wenn man sie zum 2:1 einlädt, dass war das große Problem. Nach dem 2:0 waren sie ja am Boden, das steht außer Frage." – Philipp Lahm
„Dass Österreich eine harte Nuss wird, wussten wir. Vom kämpferischen Einsatz her haben wir gut dagegengehalten und hatten in der Situation kurz vor Schluss Glück, das kann man nicht anders sagen." – Thomas Müller
Anspruch und Wirklichkeit, das attestieren auch die nüchtern analysierenden deutschen Medien, klaffen derzeit weit auseinander. Österreich ist in der FIFA-Weltrangliste weit hinter den an zweiter Stelle liegenden Deutschen. Dementsprechend hätte man davon ausgehen müssen, dass die Heimmannschaft wirklich mit dem 2:0 gebrochen war. Es spricht deshalb sehr stark für die Koller-Elf und ihren hohem Reifegrad, nicht nur zurückgekommen zu sein, sondern mehr oder weniger den Ausgleich zu hundert Prozent selber versemmelt zu haben. In der 87. Minute gab es keinen deutschen Fehler, nur einen wunderbaren Pass auf Jakob Jantscher, der einen wunderbaren Pass in die Mitte spielte ...
„Wir haben zwei Qualifikationsspiele und gehen mit sechs Punkten weg. Da darf man zufrieden sein. Mit der Art und Weise von heute darf man nicht zufrieden sein, wir haben höhere Ansprüche." – Philipp Lahm
„Ich nehme das gerne mit, denn ich bin einer, der gerne auch einmal knapp gewinnt. Es ist immer das Beste, wenn man drei Punkte holt, ob man 6:1 gewinnt oder 2:1 ist am Ende des Tages nicht wichtig." – Thomas Müller
Diese zwei Aussagen pendeln zwischen den Extremen, zwischen Realitätsverweigerung aufseiten des Abwehrspielers und „Mia san mia" auf der Seite des Angreifers. Es waren nur Österreich und davor die Färöer, gegen welche sechs Punkte geholt wurden. Dennoch gilt für Österreich die bittere Wahrheit, die Müller nüchtern ausspricht: Null Punkte für Rot-Weiß-Rot. Auch wenn so mancher Fan Gary Linekers Spruch („Soccer is a game for 22 people that run around, play the ball, and one referee who makes a slew of mistakes, and in the end Germany always wins.") nach dem Spiel auf den Lippen hatte und auch wenn dem Elfmeterfoul ein Abseits vorausging, so hätte Fußballösterreich auch ein fades 0:0 oder ein unverdientes 1:0 dankend aufgenommen.
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