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Vergiss mein nicht

Marcel Koller hat das Nationalteam gegenwärtig in ungeahnte Höhen geführt. Doch die Zukunft entscheidet sich auch am Bewusstsein für die Vergangenheit. Ein Kommentar von Gerald Gossmann

Marcel Koller wird von seinen Spielern in die Luft geschupft, der österreichische Fußball hat ungeahnte Höhen erreicht. Unvorstellbar schien das noch vor wenigen Jahren. Der jetzige Erfolg des Nationalteams manifestiert sich auch als Misserfolg für all jene, die Koller zu Beginn kritisierten. Rainer Pariasek sprach gestern sogar Herbert Prohaska – mehr naiv, weniger gezielt – darauf an. Vor laufender Kamera. Im Beisein von Marcel Koller. Prohaska brachte das sichtlich aus der Fassung. Am Schluss stammelte er: „Gott sei Dank habe ich mich geirrt." Marcel Koller ging einen Schritt auf ihn zu, umarmte ihn gar.

 

Was immer wieder festzuhalten ist: Prohaska & Co. irrten sich nicht. Sie hatten keine fachlichen Vorbehalte gegen Koller. Sie versuchten schäbig ihre Vormachtstellung im österreichischen Fußball zu verteidigen. Die damalige ORF-Diskussionssendung brachte das offen wie nie zuvor für jedermann ersichtlich an die Öffentlichkeit. Danach verstanden alle, die vorher nicht verstehen wollten, welches Spiel hier gespielt wird und welche persönlichen Interessen hinter der vermeintlichen Kritik stehen.

 

Die letzten Tage versuchte so mancher den Erfolg Kollers zu relativieren. Das Spitzenargument dabei: das Team ist jetzt reifer als unter Constantini. Hans Krankl betont gerne, dass Koller eben das Glück einer Legionärsauswahl habe. Roland Kirchler befand sogar, dass Koller die Früchte seines Vorgängers Constantini ernte. Prohaska, Schinkels oder auch Polster haben publikumswirksam auf realitätsnähere Töne eingeschwenkt und loben die Arbeit des Schweizers.

 

Die Geschichte der letzten Jahre kann für den österreichischen Fußball Gutes bewirken. Dann, wenn man in Erinnerung behält, welche Kräfte den heimischen Kick über lange Zeit in Geiselhaft nahmen. Das österreichische Nationalteam kam mit ähnlichem Spielermaterial wie heute lange nicht von der Stelle. Jetzt klopft es an den Top 10 der Welt. Das ist nicht alleine mit einem Reifeprozess einiger Spieler zu erklären. Sollten Marcel Koller oder Willi Ruttensteiner dem ÖFB irgendwann abhanden kommen, wären schnell wieder Landesverbandspräsidenten und deren Einflüsterer an den Hebeln der Entscheidungsmacht.

 

Der österreichische Fußball hat aktuell ungeahnte Höhen erreicht. Man sollte die Tiefen und deren Entstehungsgeschichte nicht vergessen, wenn man sie dauerhaft verhindern will.

g.gossmann@90minuten.at

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