Marcel im Glück, Hans im Pech

Hans Krankl denkt noch immer, dass Marcel Koller das Glück hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Eine Replik von Gerald Gossmann

 

Hans Krankl wurde von der „Kleinen Zeitung" befragt, ob er seine anfänglich kritische Meinung über Marcel Koller als Teamchef heute revidieren würde. Krankls Anwort: "Koller hatte das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Er hatte das Glück, eine Mannschaft übernehmen zu können, die aus guten Legionären bestand, die aber als Team nicht optimal funktionierten. Koller hat aus ihnen ein gutes Nationalteam geformt, was für seine Qualitäten als Trainer spricht. Aber noch einmal: In Österreich sollte ein Österreicher das Team betreuen."

 

Die Gegenwart ist meist nur mit der Vergangenheit zu erklären
Noch einmal in Zeitlupe: Koller hatte also das Glück zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, spricht Krankl und meint damit zugleich, dass seine österreichischen Vorgänger wieder einmal das Pech hatten zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Krankl, der Ex-Teamchef, miteingeschlossen. Dass das nicht stimmt ist mittlerweile einer Mehrheit durchaus bewusst. Die Gegenwart ist meist nur mit der Vergangenheit zu erklären. Auch die des Nationalteams. Nur wird die Vergangenheit in Österreich meist zu schnell vergessen, deshalb meint nicht nur Krankl, sondern auch so mancher Journalist, das Team stehe in erster Linie so gut da, weil das Spielermaterial noch nie so gut war. Es stimmt natürlich: Österreich verfügt über sehr gute Spieler. Gegen Liechtenstein machte das umso mehr Eindruck, nachdem es keinen nennenswerten Ausfall zu beklagen gab. Im Spiel gegen Russland davor sah das noch anders aus. Alaba fiel aus, auch Baumgartlinger, auch Junuzovic. Es spielten stattdessen Leitgeb oder Ilsanker. Trotzdem besiegte Österreich Russland. Koller schien wieder einmal das Glück zu haben, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Trotz vieler Ausfälle. Ein Glückskind, der Schweizer.

 

Viele zählen aktuell die Gründe für den Erfolg des Nationalteams auf. Natürlich kommt darin auch Koller vor. Aber vor allem Teamgeist, Legionärs-Vielzahl, Abgebrühtheit etc. Marcel Koller hat seit seinem Amtsantritt einen Stamm geformt und ist nie mehr davon abgerückt. Vorgänger Constantini war da noch unentschlossener. Was man jetzt immer öfter vergisst: Auch Constantini hatte ein ähnliches Spielermaterial. Janko schoss in Constantinis Amtszeit für Twente in jedem zweiten Spiel ein Tor, Harnik traf 14 Mal in einer Saison für Stuttgart, Arnautovic und Prödl spielten für Bremen, David Alaba war Stammspieler in Hoffenheim, Pogatetz und Fuchs wurden zu den besten Abwehrspielern der deutschen Bundesliga gewählt, Dragovic spielte in Basel, Scharner in England, Ivanschitz in Mainz, Garics in Italien, Stranzl in Gladbach etc. Auch Constantini hatte ein Legionär-Ensemble zur Verfügung. Nur setzte er immer seltener auf diesen Joker. Legionäre forderten Taktikeinheiten, Constantini setzte vermehrt auf Spieler der heimischen Liga.

 

„Wir haben keine Lust mehr zu kommen"

Die Aufstellung bei der Heimniederlage unter Constantini in der Quali gegen Belgien sah noch so aus: Macho, Pogatetz, Dragovic, Fuchs, Dag, Baumgartlinger, Alaba, Arnautovic, Harnik, Junuzovic, Janko.
Zwei Spiele und zwei Niederlagen später baute er die Mannschaft um. Constantini fühlte sich enttäuscht und warf den Spielern Rudelbildung vor. Er holte Kulovits in die Startelf, Royer oder Gratzei. Viele Teamspieler sagten bewusst ab, wenn eine Einberufung eintrudelte. Ein Legionär verriet mir einmal: „Wir haben keine Lust mehr zu kommen, nicht aufs Spiel vorbereitet zu werden und dann noch den schwarzen Peter für die Niederlage zu kassieren."

 


Koller hat die Mannschaft nicht nur taktisch an internationales Niveau herangeführt, sondern auch eine Team gebildet, weil er ihm Vertrauen schenkte. Auch an Janko, der lange nie spielte, auch an Arnautovic, der im Verein nicht immer zum Zug kommt, hielt Koller fest. Beide trafen jetzt gegen Liechtenstein.

 

Die große Entwicklung des Nationalteams war nur deshalb möglich, weil zuvor so wenig entwickelt war. Den Eindruck, dass der ÖFB jahrelang aufgebaut hat und jetzt die Früchte erntet, zu bestätigen, wäre falsch, weil er nicht stimmt. Der ÖFB hat rechtzeitig einen kompletten Kurswechsel in der Teamcheffrage vollzogen. So könnte man es formulieren. Doch immer mehr macht sich die Meinung breit, dass Koller die besten Möglichkeiten aller Teamchefs hat und eben das Glück, so wie es Krankl formuliert, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Im Paradies der Legionäre, die auf Knopfdruck laufen, kämpfen, dribbeln und Tore schießen. Wären ausschließlich die Spieler ausschlaggebend, hätte auch Argentinien unter Diego Maradona Erfolg gehabt. Constantini hatte ein vergleichbares Spielermaterial. Manche Spieler mögen unter ihm ein bisschen unerfahrener und jünger gewesen sein, andere gerade in der Blüte ihrer Karriere. Es scheint sich schlussendlich aufzuwiegen, wer die stärkeren Spieler zur Verfügung hatte. Koller und Constantini hatten gute Mannschaften. Das sollte auch im Verlauf der Jahre nicht vergessen werden. Der Unterschied: Jetzt hat die gute Mannschaft auch einen guten Trainer. Einen, der zur richtigen Zeit kam, um zu verhindern, dass eine goldene Generation erfolglos bleibt.

>>> Die taktische Erklärung zum "Glück" von Marcel Koller: Marcel Kollers unheimliches Gegenpressing

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