Auf dem Weg zum Wohlfahrtsverein
Der Verein, der wie kein anderer in Österreich für gehobene Spielkultur steht, hat vergessen, wie man eigentlich Fußball spielen will. Jetzt soll ein neuer Sportdirektor alles richten. Aber schon der Auswahl-Prozess zeigt, woran es bei der Austria eigentl
Austria-Präsident Wolfgang Katzian hat gestern verkündet, was ohnehin schon jeder wusste. Der neue Sportdirektor der Wiener Austria heißt Franz Wohlfahrt. Die Entscheidung für einen neuen sportlich Verantwortlichen war überfällig. Der Traditionsverein überwintert auf dem sechsten Tabellenplatz. Von neunzehn Spielen im Herbst hat die Mannschaft nur sechs gewonnen. Das Schlimme dabei: das ist gar nicht das größte Problem des Vereins. Viel schlimmer ist: Die Austria spielt keinen schönen Fußball mehr. Und das obwohl kein anderer Verein in Österreich so für gehobene Spielkultur steht, wie die Wiener Violetten. Dabei wäre alles so klar definiert. Im Leitbild des Vereins steht, dass man schönen und intelligenten Fußball spielen möchte.
Noch mehr verpflichtet den Verein die Tradition. Stand Konkurrent Rapid immer für den kampfbetonten Fußball der Arbeiterklasse, steht die Austria für ein technisch hochwertiges Scheiberlspiel. Wirklich gehalten hat man sich schon lange nicht mehr daran. Die letzten Trainer ließen ganz unterschiedlich spielen: Daxbacher offensiv, Vastic defensiv, Stöger offensiv, Bjelica defensiv. Der neue Cheftrainer, Gerald Baumgartner, wurde geholt, um der Austria wieder eine spielerische Identität zu verpassen. Dafür hat der Verein vergangenen Sommer festgelegt wie man spielen möchte. Bei seiner Antrittsrede sprach Gerald Baumgartner davon, so wie Dortmund spielen zu wollen. Modern, Angriffspressing, zum Zunge schnalzen.
Funktioniert hat das im Herbst fast nie. Zuletzt verlegte sich die Austria aufs Kontern. „Ziel war und ist, dass wir spielen wie Dortmund in der Hochphase", erklärte Wirtschafts-Vorstand Markus Kraetschmer gegenüber 90minuten.at vor ein paar Wochen. Da der Kader aber nicht ganz dem propagierten Spielsystem entspreche, will man im Winter die Mannschaft verändern, hieß es. 15 Spielerverträge laufen aus. „Das ist ein Prozess, der länger dauern kann", erklärte Kraetschmer. „Dortmund hat in den ersten zwei Transferperioden 26 Spieler ausgetauscht. Es ist logisch, dass der ein oder andere Spieler nicht ins System passt und man Neue dazu holen muss."
Vakuum Sportdirektor
Das Problem dabei. Es gibt aktuell niemanden, der diese Entscheidungen treffen kann. Niemanden, der den Kader zukunftsfit macht. Der alte Sportdirektor, Thomas Parits, weiß nicht, ob seine Entscheidungen dem neuen Mann recht sind, der neue Chef, Franz Wohlfahrt, kann noch nicht entscheidend eingreifen, so lange er Angestellter des ÖFB ist und seine offizielle Präsentation aussteht. Im Sommer meinte Präsident Katzian noch, dass er nicht „zu viele Bälle gleichzeitig in die Luft werfen wolle". Katzian wollte neben einem neuen Trainer und einer neuen Spielphilosophie nicht auch noch einen neuen Sportdirektor installieren. Jetzt drängt die Zeit.
Präsident Wolfgang Katzian ist im Zivilberuf Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten. Die Austria bezeichnet er als sein „größtes Hobby". Manchmal nennt er den Verein auch „Familie". Während der 100-Jahr-Feier des Vereins vor einigen Jahren bekräftigte er: „Tradition war in der Austria-Vergangenheit die Wurzel für Erfolge und daher wird Tradition auch in den nächsten hundert Jahren ein wichtiger Bestandteil bei der Austria sein." Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl hat ihn vor beinahe acht Jahren gefragt, ob er das Präsidentenamt ehrenamtlich ausüben wolle. Damals, nach der Ära Stronach, konnte er den Verein wirtschaftlich wieder aufpäppeln, als die Austria zu siebzig Prozent von ihrem Mäzen abhängig war und plötzlich ganz mittellos da stand. Heute hat man über hundert Einzel-Sponsoren.
Auch die Legenden des Vereins holte Katzian wieder ins Boot. Herbert Prohaska, Andreas Ogris, Felix Gasselich – sie alle werden heute im Gegensatz zur Ära Stronach wieder um ihre Meinung gefragt. „Ich brauche Leute, die hingreifen und nicht nur blöd reden", sagte Häupl damals zu Katzian. Aktuell muss Katzian wieder richtig anpacken. Der neue sportliche Leiter stellt die wichtigste Personalie seiner Amtszeit dar. Dafür hat Katzian sogar einen Expertenrat, eine so genannte Task-Force, bestellt.
Anforderungsprofil: „Deutsch in Wort und Schrift"
Im Expertenrat, der dem Präsidenten, bei der Suche zur Seite steht, sitzen Wirtschafts-Vorstand Markus Kraetschmer, Verwaltungsrats-Vorsitzender Karl Blecha, Sponsor-Vertreter Hannes Sereinig, Präsident Wolfgang Katzian, Jahrhundertfußballer Herbert Prohaska und der Präsident von Borussia Dortmund, Hans-Joachim Watzke. „Wir haben ein sehr umfassendes Anforderungsprofil entworfen", erklärte Katzian. Details enthüllte er nicht. Karl Blecha, ehemaliger SPÖ-Innenminister und Vorsitzender des Verwaltungsrates im Verein meinte gegenüber 90minuten.at: „Es gibt ein eindeutiges Anforderungsprofil." Er überlegte kurz und erklärte dann: „Deutsch in Wort und Schrift, er sollte eine Fremdsprache fließend sprechen und Erfahrung im Fußballbetrieb haben – entweder als Spieler, Trainer oder Funktionär." Karl Blecha ist bereits seit 1973 Funktionär bei seinem Herzensklub. Gemeinsam mit Wirtschafts-Vorstand Kraetschmer führte der 81-jährige die Gespräche mit den Kandidaten. In Vertretung für Präsident Katzian, der an der Hüfte operiert wurde. Mit den restlich verbliebenen Kandidaten sprach Katzian selbst. Zu einem Zeitpunkt als der Name Franz Wohlfahrt längst durch die Medien geisterte. „Die Task-Force-Mitglieder Herbert Prohaska, Karl Blecha, Johannes Sereinig und Präsident Wolfgang Katzian selbst machen sich für Wohlfahrt stark", schrieb der gut informierte „Kurier" vor einigen Tagen. Herbert Prohaska soll seinen Kumpanen empfohlen haben. Auch Toni Pfeffer, selbst Austria-Legende, erzählt davon freizügig. Der Kurier titelte vor einigen Tagen: „Katzian boxt Wohlfahrt durch." Gestern präsentierte der Präsident dem Aufsichtsrat seinen Vorschlag, der angenommen wurde, aber nicht einstimmig.
Entscheidungen bei der Austria: Viele Männer reden mit
Dass viele Männer bei der Austria in Entscheidungsprozesse eingreifen, ist bekannt. Aktuell konnte Herbert Prohaska ein gutes Wort für Franz Wohlfahrt einlegen. Lobbyismus hat Tradition im Verein. Das wohl prominenteste Beispiel: Ivica Vastic, damals Werbegesicht von Sponsor Raimund Harreither, wurde auf dessen Drängen Austria-Trainer. Verwaltungsrats-Vorsitzender Karl Blecha erzählt gegenüber 90minuten.at: „Dass ein Sponsor mitreden will, wenn er in sein Börsel greift, ist ja klar. Aber bestimmen was zu Geschehen hat, das kann er nicht. Das wird genau geprüft. Nur weil der Herr Harreither sagt: 'Ich zahl´euch den´ haben wir ihn nicht genommen. Sondern man hat überlegt: 'Passt er ins Anforderungsprofil?"
Er passte nicht. Thomas Parits, der scheidende Sportdirektor, der immer betonte, offensiv spielen zu wollen, sagte nach der kurzen Ära Vastic: „Wir wussten nicht, dass der Ivo defensiv spielen lassen wollte."
Auch aktuell sitzen fünf Sponsorvertreter im Aufsichtsrat, die Mehrheit bilden aber Vereinsfunktionäre. „Die Sponsoren sehen dadurch, was mit ihrem Geld passiert und reden natürlich auch mit, wie das Geld ausgegeben wird", erklärt Katzian. Oft machte es in der Vergangenheit den Eindruck, als ob Entscheidungen - vorbei an einem sportlichen Vorankommen und gesteuert von anderen Interessen - über die Bühne gehen würden. Auch jetzt, wo monatelang eine Task-Force aus über hundert Kandidaten auswählte. Wo sogar Dortmund-Präsident Watzke um seine Expertise bemüht wurde, um dann doch einen Kandidaten aus dem Legendenklub des Vereins zu wählen.
Die Entscheidung für Franz Wohlfahrt lässt sich schwer argumentieren
Der neue Sportdirektor heißt seit gestern offiziell Franz Wohlfahrt. Markus Kraetschmer sagte noch vor einigen Wochen: „Herr Watzke war sehr hilfreich, weil er viele Leute kennt. Wir wollen ja nicht nur in Österreich schauen, sondern auch am internationalen Markt." Präsident Katzian erklärte: „Ich könnte ja gleich sagen: Ich suche einen ehemaligen Fußballer, der eine gewisse Affinität zur Austria hat und der, mit dem wir am besten können, wird es dann. Aber so einfach ist das nicht."
Es scheint nun doch so einfach zu sein. Dass die Entscheidung auf die Austria-Legende fiel, ist auch deshalb überraschend, weil vor wenigen Monaten noch niemand wusste, dass Franz Wohlfahrt überhaupt damit liebäugelt als Sportdirektor zu arbeiten. Wie das Anforderungsprofil im Detail ausgesehen hat, bleibt weiterhin ein Geheimnis. Auch der Umstand, wie man auf Franz Wohlfahrt als Kandidaten aufmerksam wurde. Die Entscheidung für den Ex-Austrianer lässt sich schwer argumentieren. Als Sportdirektor hat er keine Erfahrung.
Wohlfahrt war Austria-Tormann, später Legionär in Deutschland, aktuell ist er Tormann-Trainer beim ÖFB. Wohlfahrt ist aber auch Austria-Urgestein und Mitglied der „Austria-Familie". Das könnte sein entscheidender Vorteil gewesen sein. Gestern erklärte Katzian: „Der Franz ist ein Austrianer mit internationaler Erfahrung, hat ein klares Konzept vorgelegt, ist erfolgsorientiert, steht für einen ballbesitzorientierten modernen Fußball und bringt internationale Kontakte mit. Franz will diese Verantwortung übernehmen und wir freuen uns sehr, dass er bereit ist mit der Austria diesen Schritt zu gehen." Kritiker sagen scherzhaft: Der Verein wird zum „Wohlfahrtsverein" und meinen damit, dass mit der Bestellung des Jahrhundert-Torhüters weniger der Austria sondern mehr Wohlfahrt geholfen werde.
Diskrepanz: Austria will Pressing spielen, Wohlfahrt Ballbesitz-Fußball?
Fest steht: Wohlfahrt soll für die nächsten drei Jahre die sportliche Richtung des Vereins vorgeben. Im Sommer wurde Gerald Baumgartner als Trainer verpflichtet, um so zu spielen wie Dortmund. Dortmund spielt Pressing-Fußball, Balleroberung, schneller Abschluss. Katzian betonte jetzt, dass Wohlfahrt für „ballbesitzorientierten Fußball" steht. Also für eine andere Spielweise, als im Sommer von Vereinsseite propagiert wurde. Markus Kraetschmer betonte noch vor ein paar Wochen, dass die Austria den Kader im Winter umbauen will, um mehr dem System Baumgartners zu entsprechen. Dadurch stellen sich automatisch die Fragen: Ist die im Sommer propagierte Spielweise auch jetzt noch gewünscht? Ist Baumgartner noch der gewünschte Trainer? Und: Weiß man bei der Austria überhaupt wo man hinwill?
Die Austria hat vergessen, wie man Fußball spielen möchte. Viel Klarheit ist auch nach den gestrigen Klarstellungen nicht zurückgekehrt.