Rapid Wien: Gefangen im Neubeginn
Rapid will Ausbildungsverein sein und gleichzeitig in die Top 50 Europas. Dafür wird es künftig mehr Strategie brauchen als zuletzt. Aktuell fängt man erneut von vorne an. Eine Analyse von Gerald Gossmann
Steffen Hofmann hatte sich während des Spiels gegen Altach den Kopf angeschlagen. Auch der Rest der Mannschaft wirkte so. Rapid hatte im ehrwürdigen Prateroval gerade gegen den Aufsteiger aus Vorarlberg verloren. Das bereitet naturgemäß Kopfweh. Der Rekordmeister hält nach fünf Runden bei fünf Punkten. Es hat bessere Saisonstarts in der Vereinsgeschichte gegeben, viel schlechtere nicht. Ein schlechterer Start als derzeit liegt über 20 Jahre zurück.
Rapid hat aktuell viel zu Jammern. Der Verein hat einige Leistungsträger verkauft, man muss im ungeliebten Prater spielen, nicht jede Torchance ist auch ein Tor und zu alledem spielt der Aufsteiger aus Altach gegen den Rekordmeister äußerst defensiv. Rapid steht vor einem Neuaufbau. Wieder einmal.
Irgendwie hätte alles ganz anders kommen sollen. Rückblick in den November 2011. Vor etwas weniger als drei Jahren erklärte der damalige Rapid-Coach Peter Schöttel: „Ich möchte nun etwas für die nächsten Jahre aufbauen, eine Mannschaft weiterbringen und entwickeln. Jürgen Klopp ist nach Dortmund gekommen, hat sich im zweiten Jahr den Kader zusammengestellt, wie er ihn haben wollte und ist im dritten Jahr Meister geworden." Spätestens seit April 2013 ist klar: Schöttel war kein Klopp, Rapid wurde zu keinem zweiten Dortmund.
Kann Rapid schon wieder einen Neubeginn ausrufen und dafür Geduld einfordern?
Es war ein Fehler Schöttel frühzeitig zu verlängern, erklärte der damalige Sportdirektor Helmut Schulte. Der neue Coach, Zoran Barisic, rief den Neubeginn aus: "Es wurden hier in der Vergangenheit einige Dinge verabsäumt. Wir haben nun die Möglichkeit, etwas Neues aufzubauen, die Zukunft einzuläuten." Eineinhalb Jahre später, nach der 0:1-Niederlage gegen Altach, hört sich trotzdem alles schon wieder nach Neubeginn an. „Wir alle wissen ja, dass wir eine sehr junge Mannschaft haben, die sehr bemüht ist und die einfach Zeit braucht. Das habe ich im Vorfeld schon gesagt und wir werden weiter arbeiten", erklärt Trainer Barisic.
Es stellt sich die Frage: Geht das? Kann ein Verein wie Rapid Saison um Saison einen Neustart ausrufen und dafür Geduld einfordern? Man darf die Frage stellen: Wo will Rapid hin? Und wie? Unabhängig von dieser Saison.
Ausbildungsverein und gleichzeitig Anschluss an Europas Spitze. Geht das?
Dazu gibt es zwei konkret formulierte Ziele. Auf der einen Seite will Rapid ein Ausbildungsverein sein, der auf die eigene Jugend setzt, regelmäßig Spieler um einiges Geld verkauft und aus der eigenen Jugend nachbesetzt. Helmut Schulte hielt noch vor seinem Abgang fest: „Man kann in Österreich Spitzenverein und Ausbildungsverein sein. Man muss nur zur Kenntnis nehmen, dass es deutlich attraktivere Ligen gibt und die Spieler ihre Möglichkeiten ausreizen wollen. Wenn sie dann gehen, muss man in der Lage sein, nachzuschieben, und da ist Rapid auf einem guten Weg." Sein Nachfolger, Andreas Müller, sieht das ähnlich: „Rapid muss ein Ausbildungsverein sein", erklärt er gegenüber der Sportwoche.
Auf der anderen Seite will Rapid sportlich erfolgreicher werden. Rapid-Präsident Michael Krammer hat die Top 50 Europas als Ziel ausgegeben. Heißt konkret: Rapid soll Ausbildungsverein sein und gleichzeitig sportlich zur europäischen Klubfußball-Elite aufschließen.
Einem Punkt wird man derzeit in jedem Fall gerecht. Rapid ist Ausbildungsverein. Mit Sabitzer, Boyd, Trimmel und Burgstaller hat Rapid vier Leistungsträger aus der letzten Saison zu Geld gemacht. Ersatz steht mit Beric, Kainz, Schwab und Grahovac parat. Zwar keine Spieler aus dem eigenen Nachwuchs, aber eine ganz passable Kompensation.
Rapid hat ein Ziel aber keinen Weg definiert – derzeit dominieren Ausreden
Rapid hat im Grunde mit den Top 50 Europas ein klares Ziel definiert, dabei aber darauf vergessen, wie man dorthin kommen will. Rapid spielt ballbesitzorientierten Fußball, das ist manchmal schön anzusehen, ein übergeordnetes Konzept, wie man Dauerhaft den Spagat zwischen Ausbildungsverein und Spitzenverein hinbekommen möchte, ist aber weit und breit nicht in Sicht. Nach der Heimniederlage gegen den Aufsteiger flüchtete man sich bei Rapid vor allem in Ausreden. Sportdirektor Müller nimmt die Mannschaft in die Pflicht, was man gerne macht, wenn eine Krise droht. Trainer Barisic versucht zu erklären: "Wir haben noch sehr viel zu tun, wir haben eine sehr junge Mannschaft, das darf man nicht vergessen." Dabei stimmt das nicht ganz. Tatsächlich waren 6 Spieler (also mehr als 50 Prozent der gestrigen Mannschaft) nicht wirklich jung. Novota (30), Sonnleitner (27), Dibon (23), Schrammel (26), Petsos (23), Hofmann (33).
Was der Rapid-Trainer noch beklagte: „Sie haben so gespielt, wie wir sie erwartet haben. Sie waren gut organisiert, sie standen sehr tief und haben ihr Heil in Kontern oder Standardsituationen gesucht." Damit erklärte Barisic auch in der letzten Saison schon die vielen Ausrutscher Rapids gegen tiefstehende Teams. Rapid konnte in der letzten Spielzeit 13 Spiele gegen kleinere Teams nicht gewinnen, was auch der Hauptgrund für den großen Rückstand auf Salzburg war.
Damals hatte Barisic noch Sabitzer, Boyd, Trimmel, Boskovic und Burgstaller zur Verfügung. Trotzdem war das Problem das gleiche und wurde nur durch die Siegesserie gegen Ende der Saison in der Abschlusstabelle kaschiert. Es scheint also weder an einer zu jungen Mannschaft, an einem zu großen Aderlass, noch an einem einmaligen Ausrutscher gegen einen zu tief stehenden Gegner zu liegen. In der vorletzten Saison konnten zwölf Spiele gegen die „Kleinen" der Liga (also gegen alle außer Sturm, Austria, Salzburg) nicht gewonnen werden. Was deutlich zeigt: Rapid scheitert seit Jahren nicht vordergründig an Salzburg, sondern daran, die kleinen Mannschaften der Liga zu knacken. Und: Es liegt nicht vordergründig am derzeitigen Spielermaterial. Auch in den beiden letzten Saisonen gab es eine Blamage nach der anderen gegen Teams, die in Sachen Budget, weit von Rapid entfernt sind. Das Konzept dagegen: Man verliert sich seit Jahren in einem Neuaufbau, der wiederum in einem Neuaufbau endet.
Darf man über etwas jammern, das eigentlich zur Vereinsphilosophie gehört?
Trainer Barisic weiß insgeheim, dass Ausreden derzeit noch mehr Unruhe erzeugen. Trotzdem weiß er sich schwer anders zu helfen. "Ich muss vorsichtig sein, was ich sage", sagt Barisic gegenüber „Weltfußball.at". Und er wirft eine Frage nach: "Wieviel Zeit gibt man dieser neuen Mannschaft?" Barisic ärgert sich insgeheim über die Abgänge seiner Leistungsträger und möchte nur zwischen den Zeilen darüber jammern.
Dabei stellt sich die Frage: Darf man über etwas jammern, das eigentlich zur ausgegebenen Philosophie des Vereins gehört? Rapid will Ausbildungsverein sein, was Spielerabgänge impliziert, beschwert sich aber im Nachhinein über den Aderlass und ruft einen Neuaufbau aus. Das bewirkt, dass der Verein seit Jahren auf der Stelle tritt.
Bei Rapid spielt man seit Jahren dasselbe Spiel: Man erklärt den Fans, dass ein Neuaufbau stattfindet und die Früchte erst in ein paar Jahren zu ernten sein werden. Irgendwas (Trainerwechsel, Spielerabgänge etc.) kommt aber blöderweise immer dazwischen.
Manchmal hat man den Eindruck, dem Verein fehlt eine übergeordnete Philosophie, die erwartbare Problemfelder abfedert. Oder Automatismen in einem Spielsystem, das dem einzelnen Spieler weniger Gewicht gibt als dem großen Ganzen. Denn Abgänge sind für einen Ausbildungsverein erwartbar, ja sogar ein Ziel. Wer weiß was passiert und trotzdem nicht mit einem Plan reagiert, handelt im Grunde fahrlässig.
System trotz Fluktuation
Rapid muss sich irgendwann klar werden: Wenn man sich als Ausbildungsverein definiert, der regelmäßig Spieler verkauft, und trotzdem in die Top 50 Europas will, braucht es ein gut durchdachtes System, das sich trotz Fluktuation etablieren lässt. Man wird auf Dauer nicht erklären können, dass man trotz eines viel höheren Budgets ein Drittel aller Saisonspiele gegen Altach & Co. verliert und trotzdem dem übermächtigen Salzburg den schwarzen Peter zuschiebt. Man wird irgendwann nicht mehr argumentieren können, dass man als Ausbildungsverein die Top 50 Europas mit einem alljährlichen Neubeginn erreichen will.
g.gossmann@90minuten.at