Kein Ort für Schwule, kein Ort für Schwächen

Die Meldung ist nicht, dass Hitzlsperger schwul ist. Die Meldung ist: Da outet sich jemand in einem homophoben Umfeld. Thomas Hitzlsperger möchte eine Szene aufrütteln, in der nicht nur Homosexuelle besser ruhig sind. Ein Kommentar von Gerald Gossmann

Thomas Hitzlsperger ist schwul. Hitzlsperger der Fußballer, der deutsche Nationalspieler, der Mann mit dem strammen Schuss. Wenn Nachrichten einschlagen können wie eine Bombe, dann war das die Mutter aller Bomben. Oder wenigstens die Tochter. Zeitweise konnte auf „Zeit Online", wo der Bericht mit Hitzlsperger erschien, nicht mehr zugegriffen werden. Zu viele wollten die Bombennachricht lesen. Zu viele wollten posten, dass sie den Schritt Hitzlspergers toll finden, und mutig, und bewundernswert.

 

Und dann gab es die anderen. Jene, die die ganze Aufregung nicht verstehen konnten. Ein Mann ist schwul. Na und? Wo ist die Meldung? Ist das im 21. Jahrhundert wirklich noch einen Aufschrei wert? Wenn Lothar Matthäus jedes Jahr heiraten darf, warum soll dann Thomas Hitzlsperger nicht schwul sein dürfen, ohne einen Medienorkan zu ernten? Viele Postings gingen in dieselbe Richtung: „Ein Fußballer mag also Männer. Na und? Warum das Trara?" Den Sportjournalisten, die über Hitzlsperger schrieben, wurde sogar Homophobie unterstellt, weil sie die sexuelle Neigung eines Mannes für eine Riesensache hielten. Dabei war das nicht der Grund der Berichterstattung. Die Meldung war: Da outet sich jemand in einem homophoben Umfeld. Nicht: Da ist einer schwul.

 

Konstruierte Männlichkeit
Man muss den Fußball und sein Umfeld kennen, um die Bedeutung der Nachricht verstehen zu können. Fußballer outen sich generell nicht als homosexuell. Hitzlsperger selbst kennt keinen einzigen schwulen Fußballprofi. Vor ein paar Jahren traute sich ein wenig bekannter Schwede. Ein Brite outete sich 1990 als erster Fußballer. Acht Jahre später erhängte er sich nach einer regelrechten Hetzjagd auf ihn. Manche argumentieren, dass der Fußball eine insgesamt homophobe Gesellschaft widerspiegle. Dem widerspricht, dass bei geouteten Politikern oder Künstlern der Aufschrei heutzutage beinahe ausbleibt. Bei einem Fußballer nicht. Aber warum ist das so?

 

Die Fußballkabine ist einer der letzten Orte einer konstruierten und zur Schau gestellten Männlichkeit. Es geht um Konkurrenz und das Emporklettern auf einer selbst geschaffenen internen Hierarchie. Frauen, Autos, Machogehabe. Wer darin punktet klettert nach oben. Es geht um Rädelsführer, um Alphatiere, um den konstruierten Begriff des echten Mannes. Immer wieder erzählen Fußballer von eigenen Ritualen in der Kabine. Paul Scharner erzählte nach seinem Karriereende davon, dass er bei einem Aufnahmeritual von den Mannschaftskollegen den Hintern mit Badeschlapfen versohlt bekam. Auch der jüngere Peter Hackmair hat das erlebt. Er konnte sein Aufnahmeritual im Vorfeld verhindern, einige seiner Kollegen nicht.

 

Der Fußball hat viele ähnliche Geschichten geschrieben. Schon in Jugendmannschaften von Dorfvereinen wird die Hierarchie innerhalb der Mannschaft in Kabine und Dusche ausgefochten. Manchmal durch Rituale, oft auch unausgesprochen. Ältere gegen Junge. Starke gegen Schwache. Ein ehemaliger Bundesligaspieler, Ende Zwanzig, erzählte mir vor kurzem, dass er diese Rituale oft erlebt habe. Die Rädelsführer waren immer ältere Spieler. Oft auch Familienväter, die dann 16-jährige Knaben durch die Kabine hetzten. In letzter Zeit, erzählte er, passieren diese Dinge nicht mehr. Jedenfalls nicht bei seinem letzten Verein. Es gäbe zu viele junge Spieler, zu wenige alte. Der Hierarchiekampf bleibt aus, was er als schade empfindet. Ein Spieler, der in Zweikämpfe gehen muss, sollte in der Kabine abgehärtet werden. Ein richtiger Mann vertrage das, erzählte er. Außerdem seien die Rituale ein Spaß für die ganze Mannschaft gewesen. Dass er selbst drankam und es aushielt, sieht er noch heute als Bestätigung seiner Männlichkeit.

 

Ein schwuler Intellektueller in der Fußballkabine
Hitzlsperger denkt wohl anders. Ein Zeit-Redakteur beschreibt ihn als Fußball-Intellektuellen. Als einen, der mehr Bücher gelesen habe, als so mancher Journalist, der ihn interviewte. Fußballer wie ihn gibt es einige. Sie fallen auf. Weil sie aus dem Rollenmuster fallen. Viele andere sagen „Geiler Oasch", „geile Oide", reden vom „flotten Dreier". Zwar entwickeln sich auch Fußballer – jedenfalls optisch - immer mehr zu Metrosexuellen. Gefällt aber ein Kleidungsstück in der Umkleide nicht, sagen sie: „Oida voll schwul." Ein schnell dahingesagter Spruch muss natürlich kein Beleg für einen intoleranten Umgang mit Homosexuellen sein. Aber vor zwanzig Männern zwischen Pubertätsphase und halbstarkem Machogehabe eine Beichte zur eigenen sexuellen Neigung abzulegen, scheint ein schwieriges Unterfangen.


Hitzlsperger sagt: "Überlegen Sie doch mal: Da sitzen zwanzig junge Männer an den Tischen und trinken. Da lässt man die Mehrheit gewähren, solange die Witze halbwegs witzig sind und das Gequatsche über Homosexuelle nicht massiv beleidigend wird."

 

hitzlsperger Thomas Hitzlsperger outet sich (klick auf den Play-Button)

 

Zu viele Hürden: Mannschaftskollegen, Fans, der Boulevard, gegnerische Spieler
Aber es geht nicht nur um Homosexuelle generell. Der ehemalige deutsche Nationalspieler Sebastian Deisler zeigte Schwäche. Seine Mitspieler nannten ihn darauf die „Deislerin". Paul Scharner wurde gefragt, ob er schwul sei, nachdem er beim Meisterfeiern nicht mit ins Bordell wollte. Man kann sich bei diesen Geschichten leicht vorstellen, wie schnell eine theoretische Diskussion über das Outing homosexueller Spieler, im Umfeld einer Fußballkabine, für die Betreffenden zum untergeordneten Ziel verkommt. Und selbst, wenn die Beichte vor den Kollegen gemeistert würde. Was wäre dann? Es kämen Fans, Fangesänge, der Boulevard, gegnerische Spieler, der Trainer.

 

Hitzlsperger hat sein Outing im Umfeld einer Fußballmannschaft nicht geschafft. Wahrscheinlich verständlicherweise. Es ist trotzdem ein mutiger Schritt von Hitzlsperger, den er bewusst nach seiner Karriere gesetzt hat. Ob sein Schritt etwas bewegen wird, bleibt fraglich. Die große Schwierigkeit besteht darin, als aktiver geouteter Fußballer ins nächste Spiel zu gehen. Was wenn der geoutete Spieler bei einem Zweikampf zurückzieht? Wie viele denken heimlich: Memme? Wie viele sagen es laut? Hitzlsperger wusste, dass die Kabine der falsche Ort für ein Outing ist. Der falsche Ort für das Zeigen von Schwäche generell.
g.gossmann@90minuten.at