Die (Sturm-)Geister, die man rief
Sturm Graz wäre gerne so erfolgreich wie früher, doch der Klub versinkt immer mehr im Chaos. Auch deshalb, weil Unsitten des heimischen Fußballs gebündelt zur Vereinsphilosophie erhoben wurden. Eine Analyse von Gerald Gossmann .
Ein bestimmter Name kann in Graz bis heute viel auslösen. Ivan Osim. Kein Trainer hat den Verein nachhaltig so geprägt wie der Bosnier. Wer Osim sagt, der hört die Champions-League-Fanfare durchs Stadion heulen, der hört „Steirermen san very good", der sieht die klatschenden Sturm-Anhänger und eben Osim. Seit Osim nicht mehr in Graz ist, sollte es nie mehr so werden wie unter ihm. Nicht einmal unter Franco Foda, als Sturm zwar auch Meister wurde, aber nie mehr so glänzte, wie unter dem grantelnden Trainer. An die Strahlkraft von Osim kommen in Graz heute nur wenige heran. Am ehesten die Spieler, die damals für Sturm aufliefen: Schopp, Vastic, Haas, Reinmayr, Milanic. Als Darko Milanic vor knapp zehn Monaten zum Cheftrainer wurde, da waren sich Grazer Journalisten einig: Ein Stück Osim ist nach Graz zurückgekehrt.
Milanic war ein Trainer nach dem Geschmack der "neuen" Klubphilosophie von Jauk und Goldbrich. Als der ehemalige Sturm-Spieler die sportlichen Agenden des Vereins übernahm, fragten ihn Journalisten nach seinen Plänen für die sportliche Ausrichtung. Goldbrich antwortete: "Ich will den Sturm-Geist beschwören." Das machte deutlich: Sturm Graz lebt wie ein großer Teil des österreichischen Fußballs bis heute in der Vergangenheit. In einer Zeit, in der der Erfolg greifbar war. Die goldene Vereinsepoche Ende der Neunzigerjahre hat den Verein mit einem Stigma versehen, von dem er bis heute nicht mehr los kommt. Die Spieler von damals sehen sich seitdem als Familie, die für den Verein Sorge zu tragen hat. Wobei nie klar schien, wer für wen sorgt. Die Ex-Spieler für den Verein oder der Verein für die Spieler.
Fehlerkette der Vereinsführung
Eigentlich wollte Sturm vor eineinhalb Jahren ins Heute kommen. Der Verein verpflichtete den Deutschen Peter Hyballa und definierte ein Zukunftsprojekt unter dem Titel „Sturm Neu". Hyballa werkte 30 Spiele daran, hielt danach bei 45 Punkten. Kolportierte menschliche Defizite beschleunigten seinen Abgang. Und die Sturm-Führung um Gerhard Goldbrich war sich sicher: ein Auswärtiger kann den Erfolg nicht bringen. Sturm-Neu kann nur funktionieren, wenn man sich Sturm-Alt besinnt. Markus Schopp ersetzte, auch aus Kostengründen, Peter Hyballa. Jener Markus Schopp, der in Istanbul zur Sturm-Legende wurde, als er das 2:2 gegen Galatasaray erzielte und Sturm ein Champions League-Märchen ins Geschichtsbuch schrieb. Schopp sagte bei seiner Antrittsrede: "Was ich definitiv mitbringe, ist der berühmte Sturm-Geist." Das freute den Generalmanager, der sich bestätigt fühlte. Der Sturm-Geist schien beschworen.
Nach nur einem Sieg und fünf Niederlagen aus sechs Spielen war Schopp als Trainer der Grazer Geschichte. Und eine Legende ersetzte die andere. Darko Milanic kam für Markus Schopp.
Drei unterschiedliche Trainer innerhalb eines Jahres und der ausbleibende Erfolg sind einer Fehlerkette der Vereinsführung geschuldet. Hyballa wollte offensiv spielen, mit Pressing und schnellen Kombinationen. Nur fehlten im die Spieler dafür. Im Sommer reagierte der Verein und holte Spieler wie Hadzic oder Offenbacher, die für ein offensives System durchaus geeignet schienen. Milanic spielt aber ein eher defensives 4-4-2.
Es stellt sich daher die Frage: Nach welchen Kriterien wurden Spieler für Sturm verpflichtet? Für ein defensives System, ein offensives, eines mit Pressing, eines mit viel Ballbesitz oder eines mit vielen hohen Bällen auf sprintstarke Stürmer? Sturm-Neu hat bis heute keine Spielweise definiert, nach der der Verein strukturiert nach Spielern suchen hätte können. Und legte sich die Vereinsführung doch vage auf eine Spielphilosophie fest, prüfte man den Trainer nicht detailliert auf seine Kompatibilität.
11 ehemalige Sturm-Spieler wollen den Sturm-Geist beschwören
Immer wieder ist dagegen von einem Sturm-Geist die Rede, der alle begangenen Fehler irgendwann in einem Aufwaschen beheben soll. Anscheinend will die Vereinsführung dabei auch nachhelfen. Ganze elf Funktionen im Klub sind von ehemaligen Sturm-Kickern besetzt. Neun davon stammen gar aus der erfolgreichen Spielergeneration Ende der Neunziger. Hätte Mario Haas nicht von sich aus seinen Abschied verkündet, wäre beinahe die gesamte Champions League-Truppe der Grazer im Verein beschäftigt. Konkret sieht das so aus: Darko Milanic und Kazimierz Sidorczuk kümmern sich um die Kampfmannschaft, Markus Schopp, Günther Neukirchner und Roland Goriupp um die Amateure. Arnold Wetl, Dietmar Pegam und Gilbert Prilasnig um den Nachwuchs, Imre Szabics und Hannes Reinmayr um das Scouting. Gerhard Goldbrich ist Generalmanager und damit für so ziemlich alles zuständig.
Natürlich kann man jetzt sagen: Ein ehemaliger Sturm-Kicker disqualifiziert sich nicht automatisch mit seiner Spielervergangenheit für eine spätere Karriere als Coach, Scout oder Manager. Aber der Umstand, dass beinahe eine gesamte Elf in allen zu besetzenden Funktionen das größtmögliche Talent mitbringen soll, scheint doch unwahrscheinlich.
Ein Beispiel: Imre Szabics wurde vom aktiven Sturm-Kicker zum Chefscout ernannt. Der Hintergrund: Durch eine falsche Formulierung im Vertrag, hätte der Verein Szabics eine Bonuszahlung doppelt entlohnen müssen. Der Kompromiss: Sturm zahlte nicht doppelt, verlängerte aber den Vertrag von Sazbics ein Jahr vor Ablauf bis Sommer 2014. Inklusive Anschlussvertrag bis 2015 für Tätigkeiten im Sturm-Management. Szabics wurde schlussendlich Chefscout. Erfahrung hat er darin logischerweise keine. Aber sein Vertrag forderte nach Erfüllung. Der Posten des Chefscout bot sich an. Bis vor kurzem hatte Sturm keinen einzigen offiziellen Scout beschäftigt.
Sturm Graz hat die Unsitten des österreichischen Fußballs zur Vereinsphilosophie erhoben. Die Spielphilosophie wechselt mit jedem Trainer, es gibt kein klares Trainer-Anforderungsprofil, beinahe jede Funktion ist mit einem ehemaligen Sturm-Spieler besetzt. Dazu hat Generalmanager Gerhard Goldbrich mediale Kritik rund um Graz beinahe eingedämmt. Goldbrich hatte in seiner Karriere die Sportredaktion der Vorarlberger-Krone mit aufgebaut, war Geschäftsführer bei der Grazer „Woche". In Medienkreisen gilt er als gut vernetzt. Das Resultat: Selbst nach dem 1:4 zu Hause gegen den WAC blieb die „Kleine Zeitung" der Vereinsführung gegenüber unkritisch. Über das finanzielle Minus von 1,3 Millionen verlor das Blatt mehrere Wochen kein Wort.
Hat die Vereinsführung die Erfolgskennzahlen der Milanic-Bilanz hinterfragt?
Dabei bläst Sturm Graz finanziell und sportlich aus dem letzten Loch. Aktuell droht der Verein im Chaos zu versinken. Nach 26 Runden hält man bei 28 Punkten. Das ergibt in Summe Platz acht. Was schon im Sommer deutlich wurde, manifestiert sich immer mehr zum Faktum. Das System Milanic greift nicht. Milanic holte in Slowenien vier Meistertitel und drei Cupsiege in drei Jahren. Slowenische Journalisten behaupten aber, dass der Erfolg von Milanic zum einen an der Vormachtstellung von Maribor gelegen habe, zum anderen an der taktischen und individuellen Schwäche der restlichen Mannschaften der slowenischen Liga. „Milanic spielt kein Spiel mit hohem Druck. Es ist kein variantenreiches Spiel, sondern ein 4-4-2 mit zwei defensiven Mittelfeldspielern", betonte der slowenische Journalist Miran Zore schon im Sommer gegenüber 90minuten.at. Es stellt sich natürlich erneut die Frage, ob die Sturm-Führung über das Milanic-System Bescheid wusste oder ob die Trainerbestellung im Rausch der Emotionen, ein Stück Osim zurück nach Graz zu holen, passierte. Und unweigerlich bleibt eine Frage offen: Hat man die Erfolgskennzahlen der Milanic-Bilanz hinterfragt und durchleuchtet oder reichten die regelmäßigen Meistermeldungen aus Slowenien, um Milanic für den geeigneten Mann zu halten?
Nach keinem Sieg im Frühjahr scheint klar: Eine Beurlaubung des Trainers kann sich der Verein nicht leisten. Milanics Drei-Jahres-Vertrag ist zu gut dotiert. Schon die Trennung von Peter Hyballa und Ayhan Tumani hat dem Verein viel Geld gekostet. Geld, das man ohnehin nicht hat. Auch deshalb stellt sich Gerhard Goldbrich Woche für Woche hinter seinen Trainer. Auch nach dem 1:2 vom Wochenende.
Goldbrichs sportliche Marschroute, „den Sturm-Geist" zu reaktivieren, scheint sich dagegen immer mehr zu rächen. Die Geister, die man rief, wird der Verein nicht mehr los. Milanic gilt als der bestverdienende Sturm-Coach der Geschichte. Sein Vertrag läuft bis 2016. Nach den letzten beiden Niederlagen schien der Trainer ratlos. Der Vereinsführung bleibt aber wenig Spielraum gegenzusteuern. Das ambitionierte Projekt „Sturm-Neu" ist zu einer Beschwörung des Sturm-Geistes verkommen. Anfangs passierte das ganz freiwillig. In Zukunft scheint der Verein dazu verdammt.
g.gossmann@90minuten.at